Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht gerade medial auf 2009 zurückgeblickt wird. Ich will es daher auch tun.
Sibirien taut auf
„Die beste Verhütungsmethode ist Bildung”, sagte am 13. Dezember 2009 ein Kriegsforscher beim mitternächtlichen Zappen im ZDF. Es ging dabei um die Ein-Kind-Politik in China und um die Frage, ob sich die Chinesen nicht irgendwann Sibirien unter den Nagel reißen werden, um ihr Bevölkerungsproblem zu lösen. Wenn da nicht die russischen Atomwaffen wären. Wenige Stunden später kam dann die Mitteilung via „Heute-Journal”, dass Sibirien durch die Klimaerwärmung nun auftaut – trotz „Kopenhagen” könnte man hinzufügen. Die armen Chinesen müssen nach dem Atomkrieg nun leider im verstrahlten Schlamm wohnen.
Dominic Brunner
Bestürzt war ich am 12. September 2009 und in den Folgetagen über den Tod von Dominic Brunner, der auf dem Münchner S-Bahnhof Solln Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, weil er sich schützend vor vier Kinder stellte, die gerade erpresst wurden. Was mag in den beiden 17 und 18 Jahre alten Tätern vorgegangen sein, als sie den 50-Jährigen niederschlugen, der auch eine S-Bahn später hätte fahren können? Ich stelle mir in diesem Zusammenhang oft die Frage, wie diese rohe Gewalt überhaupt entsteht. Einfache Erklärungen oder die Forderung nach höheren Jugendstrafen reichen hier nicht aus.
Twitter im Bundestag
Als Nichtanhänger von Mikro-Blogs wie „Twitter” habe ich mich in diesem Jahr über zahlreiche zwitschernde Wahlkämpfer der Parteien amüsiert. „Bin gerade in Untertupfingen gelandet, Wahlkampf gleich für fünf Minuten unterbrochen, Pinkelpause, FW”, habe ich noch nicht einmal von SPD-Hoffnungsträger Frank-Walter „Steini” Steinmeier lesen müssen. Seine bisherige Chefin Angela Merkel „smst” bekanntlich pausenlos, hat sich nun aber mit der 32-jährigen kinderlosen und noch ledigen Twitterin Christina Köhler als Familienministerin verstärkt. Diese bildet einen gelungenen Kontrast zu Merkels eher stillem Dauer-Ehemann und Chemieprofessor Joachim Sauer (Jahrgang 1949), der mir auf einer Tagung im November 2009 wegen seines MacBooks auffiel. Unentwegt las der neben mir Sitzende E-Mails, bis mir klar wurde, dass ich diesen nachdenklichen Herrn irgendwo her kenne. Er redet übrigens genauso wie seine Gattin, nur eine halbe Oktave tiefer.
Bei der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai 2009 (Horst Köhler wurde für fünf weitere Jahre gewählt) kam es dann noch zur „Twitter-Affäre”. Unter anderem hatte es die stimmenauszählende Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner, die 2011 Kurt Beck als Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz ablösen will, gewagt, per Handymitteilung das Ergebnis preiszugeben. Auch der SPD-Abgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber hatte per Twitter gesündigt und die Wahl Köhlers sogar noch einige Sekunden vor Klöckner herausgegeben. Auf seiner Homepage verfügt er zumindest über die Rubrik „Humor”.
Bunte Republik
Knapp 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Republik bunter geworden. Im Saarland muss die CDU nun mit FDP und Grünen koalieren, weil die Ökos nicht mit Oskar Lafontaine können. Im Kalten Krieg wäre das nicht möglich gewesen. Sogar das Ministerium für Staatssicherheit bildet in Brandenburg mittlerweile eine eigene Landtagsfraktion und hat mehr Abgeordnete als die oppositionelle CDU, wenn man alle ehemaligen und noch aktiven „Inoffiziellen Mitarbeiter” aus Regierungsparteien und Opposition addiert. Da passt es gut, dass der ehemalige Polizist und Benno Ohnesorg-Todesschütze Karl-Heinz Kurras (82) als DDR-Spitzel und Mitglied der SED enttarnt wurde. Mal sehen, was für Überraschungen noch so in den Stasiakten schlummern. Da fragt man sich doch, warum Andrea Ypsilanti nicht ein größeres Gewicht in der aktuellen SPD bekommen soll, wenn nun doch alle Genossen mit den noch roteren Genossen kuscheln wollen. Auf dem Weg zur von Linkspartei-Ikone Lothar Bisky vor kurzem nicht ausgeschlossenen neuerlichen „Zwangs”-Vereinigung aus SPD und „Der Linken” zur Links-SPD – in einer besseren sozialistischen Zukunft – muss es halt auch Opfer geben. Unvergessen ist in diesem Zusammenhang immer noch das Radio-Gespräch zwischen „Franz und Andrea”:
Rüstige Rentner sind robust
Apropos Franz Müntefering: Als der 106-jährige holländische Herzensbrecher Johan Marius Nicolaas Heesters (in Deutschland auch bekannt als Johannes „Jopie” Heesters) dem neuen Ehemann der 29-jährigen Michelle Schumann per Bild-Zeitung Ehetipps gab, wurde mir mal wieder klar, dass junge Frauen beim Heiraten von rüstigen Rentnern vorsichtig sein müssen. Denn der alte Herr könnte die Jugend überleben. Nicht ausgestorben sind in der katholischen Kirche auch die sektiererischen Piusbrüder, die sich in diesem Jahr um vier Priester verstärkt haben. Frei nach Motiven von Bestseller-Autor Dan Brown stelle ich mir manchmal vor, ob sich mancher fromme Holocaust-Leugner nicht permanent geißeln sollte. Das Jüngste Gericht hat im ablaufenden Jahr zumindest Michael Jackson mit oder ohne Nase durchqueren müssen. Musikalische Verfehlungen wurden nicht festgestellt.
Politluder ins Parlament
In der Politik galt bisher der Spruch „Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis”. Diese ideologische Weisheit hat nun der allseits geschätzte und gerade hinterhältig im Gesicht verletzte italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi beerdigt. Denn für seine Partei „Volk der Freiheit” (PDL) wollte er zur Europawahl gleich drei üppige Showgirls als Kandidatinnen aufstellen, wenn dies nicht seine damals noch nicht komplett scheidungswillige Ehefrau Veronica Lario als Botox erprobte „Polit-Luder”-Gegnerin verhindert hätte. Eine dann doch nicht aufgestellte Schönheit hatte sich in der politischen Informationssendung „Big Brother” als Volksvertreterin empfohlen. Am Ende durfte nur die Schauspielerin Eleonora Gaggioli kandidieren. Die Partei Berlusconis erreichte am 7. Juni 2009 dann immerhin 35 Prozent der abgegebenen Stimmen und gewann 29 der 72 italienischen Europaparlamentsmandate. Gaggioli errang kein Mandat, verfügt aber über für den politischen Laien eine besonders informative Internetpräsenz. Die Europawahl interessierte in Deutschland kaum, die SPD-Wähler noch weniger. Die Sozialdemokraten hätten sich an italienischen Werbemaßnahmen ein Vorbild nehmen sollen. Sie haben dafür jetzt die gläubige Provinzlerin Andrea Nahles als Generalsekretärin und kamen nur auf 20,8 Prozent (CDU/CSU 37,9 %, Grüne 12,1 %, FDP 11,0 %, Linke 7,5 %)
Jubiläen und sonstige Ereignisse
60 Jahre Grundgesetz wurden 2009 genauso gefeiert wie 60 Jahre DDR durch Margot Honecker im chilenischen Exil und 20 Jahre Mauerfall. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus verlor tragisch beim Skifahren sein Amt, wogegen sein hessischer Kollege Roland Koch einfach kommissarisch wartete, bis er wieder eine Wahlmehrheit im Parlament hatte. Der Iran möchte immer noch atomar aufrüsten, während sich der Arcandor-Konzern wie eine Quelle verflüssigt hat. Da freut es doch, wenn Usain Bolt ohne Doping bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin am 16. August 2009 mit 9,58 Sekunden über 100 Meter einen neuen Weltrekord lief, genauso wie vier Tage später mit 19,19 Sekunden über 200 Meter.
Kurz notiert
Mädchenliebhaber Roman Polanski sitzt gerade noch mit eidsgenössischem Stubenarrest im Edel-Chalet in Gstaad, während Thilo Sarrazin überlegt, wie das Kopftuch aus Deutschland komplett verbannt wird. Sigmar Gabriel grübelt in den Adventstagen, ob er 2013 als Bundeskanzler dicker als Helmut Kohl sein wird und Hartmut Mehdorn weiß nicht, dass sein Bahn-Abhöraffären-Rücktritt für mich eine echte Genugtuung war. Der Mann hatte es sich bei mir verscherzt, weil er die Speisewagen im IC/ICE aus Kostengründen abschaffte. Philipp Lahm lernte, dass man manchmal in einer hierarisch geführten Firma die Klappe halten muss, während unsere Gesellschaft nach dem Amoklauf von Winnenden nichts gelernt hat. Die Mehrheit der Deutschen interessiert sich mehr für die Wettmafia oder vielleicht noch für das eingestürzte Kölner Stadtarchiv als für die Frage, was die eigenen Kinder so alles auf dem Computer spielen. Die Schweinegrippe ist doch nicht so schlimm wie vermutet, dafür lag Oskar Lafontaine mit Krebs im Krankenhaus und die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld versuchte als fleischgewordene Ost-Versuchung im Stile der Kanzlerin zu werben. Ob die Vorfälle von Kunduz auch Karl-Theodor Baron zu Guttenberg in die politische Bedeutungslosigkeit strudeln lassen, ist genauso ungewiss wie die sportliche Zukunft von Jürgen Klinsmann und Opels. Über den Tod von Robert Enke war ich genauso schockiert wie über die anschließende mediale Inszenierung und Berichterstattung. Verwundert war ich zudem über den Friedensnobelpreis für den neuen US-Präsidenten Barack Obama und über die Tatsache, dass der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer nun für BMW arbeitet. Herta Müller kannte ich vorher nicht. Die Studentenproteste habe ich nicht immer verstanden, genauso wie den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Die Anklage und der Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrechers John Demjanjuk halte ich für sinnvoll, zumal er unter Umständen nach dem Krieg weiter gemordet hat.
Nofretete steht jetzt wieder auf ihrem alten Platz, nach der Bundestagswahl ist die große Koalition endlich zu Ende und die unsinnige Abwrackprämie wird halt erst in den Jahren 2010 und 2011 zu einem Crash der Absatzzahlen der Autobauer führen. Humor hilft im gesellschaftlich-zeitgeschichtlichen Heilungsprozess am besten, gesegnete Weihnachten und ein erfolgreiches Jahr 2010!
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