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Eine auf den ersten Blick skurrile, aber trotzdem interessante Form der Geschichtsaufbereitung, bietet der Verein „Grenzfahrten e.V.” aus Steinwiesen bei Coburg an. Hier kann man nicht nur an der ehemaligen innerdeutschen Grenze mit Führung erwandern, sondern das Gebiet ebenso mit einem Oldtimer-Unimog (3-4 Personen) abfahren und anschließend ein Wiedervereinigungsgrillen mit Bier aus der Region genießen.

Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, dass die ehemaligen Sperranlagen nicht in Vergessenheit geraten. So schreibt Vereinsgründer Oliver Porzel auf der Internetseite des Vereins:

„Die ehemalige deutsch-deutsche Grenze darf nicht in Vergessenheit geraten, denn sie ist deutsche Geschichte! Das Projekt „Grenzfahrten” hat sich die Aufarbeitung und lebendige Darstellung der Thematik der deutschen Teilung und Wiedervereinigung zum Ziel gesetzt. Mich hat diese Grenze und die Mauer immer interessiert, berührt und bewegt.”

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Im Jahr 2008 habe ich dem Verein für dessen Internetseite einen Text zur Verfügung gestellt, der immer noch aktuell ist, da ehemalige DDR-Funktionsträger auch in den vergangenen Monaten das Grenzregime und das dadurch entstandene Leid verharmlosten:


Wenn aus einer menschenverachtenden Grenze ein Friedensbauwerk wird

In der kommunistischen Propaganda der DDR wurde die Berliner Mauer und die innerdeutsche Grenze von der Ostsee bis zum Bayrischen Wald ab 1961 als Friedensbauwerke, als “antiimperialistischer Schutzwall” bezeichnet. Über 1000 Menschen fanden hier den Tod, wurden von DDR-Grenzsoldaten erschossen, ertranken oder blieben an den Grenzbefestigungsanlagen hängen. Die meisten von ihnen hatten sich für ihr Leben eines der wichtigsten menschlichen Güter gewünscht: die Freiheit – und mussten für diesen Wunsch mit ihrem Leben bezahlen.

Nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 schrieben zahlreiche hochrangige Funktionäre der SED, der Staatssicherheit und der DDR-Grenztruppen autobiografische Berichte, in denen sie sich auch mit der Grenze auseinandersetzten. In den Schriften wurden die menschenverachtenden Zustände in der SED-Diktatur pervertiert und das Schießen auf Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze zu einem Akt der Grenzverteidigung umgedeutet.

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Klaus-Dieter Baumgarten (Mitte) im Jahr 2008 auf einer Veranstaltung des DDR-Nostalgievereins „GRH e.V.” (Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung).

Das Foto stammt von flickr-Mitglied „Leutnant H”.

Der frühere Chef der DDR-Grenztruppen Klaus-Dieter Baumgarten wehrte sich in diesem Zusammenhang noch im Jahr 2005, die untergegangene DDR als den Inbegriff des Bösen darzustellen. Die Opfer an der Grenze bringt er mit den Gegebenheiten des Kalten Krieges in Verbindung und lässt darauf in seinem mit Peter Freitag herausgegebenen Buch “Die Grenzen der DDR. Geschichten, Fakten, Hintergründe, 2., korrigierte Auflage, Berlin 2005” die Maske fallen:

“Es war aber ein humanistisches Anliegen der DDR, das Leben als höchstes Gut zu achten und menschliches Leid zu vermeiden. (…) Die Opfer des Kalten Krieges dürfen nicht länger gegen die DDR instrumentalisiert und missbraucht werden” (S. 14).

Aus verschiedenen Gründen versuchten nach Auffassung Baumgartens

“auch viele Bürger der DDR, ihr Land ungesetzlich über die Staatsgrenze zu verlassen. Wie man diese Handlungen auch immer bewerten mag: sie waren gegen die Gesetze der DDR gerichtet, und die Grenztruppen hatten in Zusammenwirken mit den anderen Schutz- und Sicherheitsorganen die Aufgabe, solche illegalen Grenzverletzungen nicht zuzulassen” (S. 238).

Vor und während des Prozesses um die Mauertoten und die Verantwortung der Politbüromitglieder für das DDR-Grenzregime vor dem Berliner Landgericht in den 1990er Jahren zeigte das frühere SED-Politbüromitglied Günter Schabowski im Gegensatz zu dem ebenfalls angeklagten letzten SED-Generalsekretär Egon Krenz Reue und bekannte seine Schuld und bat die Opfern der SED-Diktatur und ihre Angehörigen um Verzeihung. Im Prozess gegen Erich Honecker und fünf weitere SED-Repräsentanten hatte der Suhler Bezirkssekretär Hans Albrecht, zu Honeckers Zeit Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates, eine besondere Ausrede. Er könne sich an Diskussionen über Schusswaffengebrauch und Selbstschussanlagen nicht erinnern, da er bei den Sitzungen immer am Ende des Tisches gesessen und trotz seiner Schwerhörigkeit nicht über ein Hörgerät verfügt habe.

Es gab nie einen Zweifel, so General a.D. Fritz Streletz, dass die DDR berechtigt war, zum Schutz ihrer Staatsgrenze gegen Angriffe von außen oder innen diese auch mit Waffen zu verteidigen. Die mögliche Anwendung der Schusswaffe sei aus dem Artikel 7 der DDR-Verfassung abgeleitet worden, der im Absatz 1 die Staatsorgane zur Sicherung der Grenzen verpflichtete.

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Heinz Keßler (Mitte links) im Jahr 2008 auf einer Veranstaltung des DDR-Nostalgievereins „GRH e.V.” (Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung).

Das Foto stammt von flickr-Mitglied „Leutnant H”.

Trotz der angeblichen Erschütterung über Tote an der innerdeutschen Grenze

(Der bis 1989 amtierende Verteidigungsminister Heinz Keßler: “Ich beklagte und beklage jeden, (…) der auf unnatürliche Weise im Zusammenhang mit dem Schutz der Staatsgrenze, auch der Angehörigen der Grenztruppen der DDR, zu Schaden, zu Tode gekommen ist.”),

die Egon Krenz als “Negativseite seines Lebens” bezeichnete, konnte sich der Nachfolger Honeckers nicht zu einem ähnlichen Eingeständnis des eigenen Versagens wie Günter Schabowski durchringen, obwohl er herausstellte, Gewaltlosigkeit sei ihm von seinem Gewissen und von der sozialistischen Weltanschauung vorgeschrieben gewesen. Er pochte immer wieder darauf, die Mauertoten im Kontext des Kalten Krieges zu betrachten und lieber insgesamt den Opfern der Auseinandersetzung der Systeme zu gedenken.

So wird auch knapp 20 Jahre nach dem Fall der Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland die Funktion des Grenzwalls verniedlicht, genauso wie dies mit der Geschichte der DDR geschieht. Zukünftigen Generationen wird deshalb die Aufgabe zukommen, die DDR-Vergangenheit weiter kritisch aufzuarbeiten. Denn ein Totschweigen der Vergangenheit verletzt die Opfer und belohnt die Täter.

Langfassung (30 Minuten): NDR-Reporter (Panorama) über Egon Krenz (3. Juni 2009).

Kommentare (6)

  1. #1 Christian Reinboth
    Dezember 28, 2009

    Seit ich einmal miterleben durfte, wie ein ehemaliger DDR-“Grenzschützer” auf einer halböffentlichen Veranstaltung den Mauerfall beweint und das eigene Tun als antifaschistische Heldentat zelebriert hat, überrascht mich in Sachen DDR-Verklärung kaum noch etwas. Nun ist Sachsen-Anhalt zwar nicht Brandenburg, Verklärung und Ostalgie gibt es hier aber trotzdem zu genüge – von “Ost-Parties” über “Ost-Läden” bis hin zu DDR-Flaggen bei öffentlichen Festen und historischen Paraden. Ich habe selbst mal erlebt, wie Gysi auf einer kirchlichen(!) Veranstaltung behauptet hat, das Justizsystem der DDR sei “stärker an der Wahrheitsfindung interessiert gewesen” als das Justizsystem der heutigen BRD – und dabei vollkommen unwidersprochen blieb.

    Es wird meines Erachtens nach leider noch ein oder zwei Generationen dauern, bis die Verklärung der DDR irgendwann ein Ende findet. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre die Verpflichtung von Schulen zu Ausflügen in Grenzmuseen und Stasi-Einrichtungen, um die hier schon seit Jahren gerungen wird…

  2. #2 ff
    Dezember 28, 2009

    Interessanter Artikel.

    Im Gegensatz zum Nationalsozialismus hatte der internationale Sozialismus am Schluss, also nach Stalin, wie zuletzt in der DDR beispielsweise, eine gewisse Konsistenz und so lässt sich dann erklären, dass u.a. bornierte Menschen die “DDR-Biographien” (gemeint: die der Genossen) nicht pauschal in Frage stellen wollen. Wenn man die Menschheitsgeschichte als Ganzes betrachtet, dann war die DDR, wenn man das denn so sehen will, am Schluss gar nicht so schlecht.

    Eine relativistische Sicht fürwahr; im Gegensatz zum geschätzten Vorkommentatoren sehe ich aber kein Veschwinden dieser Verklärung in einigen Generationen, auch weil sich der zeitgenössische und moderne Sozialismus im bundesdeutschen Parteienspektrum verfestigt hat und dieser für viele die natürliche (attraktive) Gegenthese zu unserem freiheitlichen System, das sich durch das Dreieck Freiheit-Marktwirtschaft-Demokratie auszeichnet, darstellt.

    Weil der moderne Sozialismus konsistent ist, werden sich immer wieder welche erreichen lassen, mit oder ohne den vorgeschlagenen Pflichtveranstaltungen in den Bildungssystemen.

  3. #3 Christian Reinboth
    Dezember 28, 2009

    @ff:

    Eine relativistische Sicht fürwahr; im Gegensatz zum geschätzten Vorkommentatoren sehe ich aber kein Veschwinden dieser Verklärung in einigen Generationen

    Verschwinden wäre vielleicht zuviel gehofft – aber es dürfte schon nachlassen. Kommende Generationen, die die DDR nicht mehr selbst erlebt haben, haben kaum einen solchen Anreiz, das System um jeden Preis zu verteidigen. Momentan haben leider noch viele Menschen – die meisten davon völlig unnötigerweise – das Gefühl, ihre eigene Biographie und Lebensleistung vor dem Hintergrund der historischen Wahrheiten über einen Unrechtsstaate permanent verteidigen zu müssen…

    Wobei es natürlich richtig ist, dass ein Nachlassen der DDR-Verklärung auf keinen Fall bedeutet, dass der Sozialismus als politische Idee an Attraktivität verliert…

  4. #4 Andrea N.D.
    Dezember 28, 2009

    @ff:
    I”m Gegensatz zum Nationalsozialismus hatte der internationale Sozialismus am Schluss, also nach Stalin, wie zuletzt in der DDR beispielsweise, eine gewisse Konsistenz …”

    Definiere 1. “gewisse Konsistenz”, weise 2. nach, dass diese dem NS fehlte, 3. wann in den 12 Jahren, 4. weise nach, dass die DDR diese nach Stalin besaß. Quellen? Vielleicht war doch eher Substanz gemeint? Dann bitte 1-4 mit Substanz.

    “Wenn man die Menschheitsgeschichte als Ganzes betrachtet, dann war die DDR, wenn man das denn so sehen will, am Schluss gar nicht so schlecht.”
    Ein ziemlich großes (gewagtes?) Unterfangen – die “Menschheitsgeschichte als Ganzes” mit der “DDR am Schluss” (Kausal oder chronologisch gemeint?) verglichen. Wo willst Du denn Da anfangen? Und vergleichst Du da nicht mit der “DDR am Schluss” nicht einen Teil der “ganzen Menschheitsgeschichte”, also ein Ganzes mit dem dazugehörigen Teil? Ist das möglich? Oder gehört die DDR gar nicht zur “ganzen Menschheitsgeschichte”? Der Vergleich ist wohl eher nicht durchführbar, also sagt er gar nichts aus – viel heiße Luft um eine kleine Provokation, “gell”?

    “im Gegensatz zum geschätzten Vorkommentatoren sehe ich aber kein Veschwinden dieser Verklärung in einigen Generationen, auch weil sich der zeitgenössische und moderne Sozialismus im bundesdeutschen Parteienspektrum verfestigt hat…”
    1. Definiere moderne Sozialismus (im Gegensatz zum “alten”? Sozialismus) 2. was genau ist im bundesdeutschen Parteienspektrum damit gemeint?

    “und dieser für viele die natürliche (attraktive) Gegenthese zu unserem freiheitlichen System, das sich durch das Dreieck Freiheit-Marktwirtschaft-Demokratie auszeichnet, darstellt.”
    Wenn das für “viele” so ist – Quellen? Definiere viele? Quantifiziere “viele”

    “Weil der moderne Sozialismus konsistent ist, werden sich immer wieder welche erreichen lassen, mit oder ohne den vorgeschlagenen Pflichtveranstaltungen in den Bildungssystemen.”
    Wieder die Konsistenz. Definiere “konsistenten Sozialismus”. Was soll das in diesem Zusammenhang sein? Ein von Dir geschätztes Wörterbuch in Alt (!)latein könnte vielleicht zunächst helfen.

    PS: Ich warte immer noch auf die Erläuterung, was ein Rechtspfleger bei der Polizei macht und was eine positive Definition für die von Dir behauptete “gefährliche Religion” sein könnte, “gell”.

  5. #5 ff
    Dezember 28, 2009

    Definiere 1. “gewisse Konsistenz”, weise 2. nach, dass diese dem NS fehlte, 3. wann in den 12 Jahren, 4. weise nach, dass die DDR diese nach Stalin besaß. Quellen?

    ad 1: Widersprüchlichkeit, der DDR-Sozialismus hatte sich zwar in seiner Sprachlichkeit von den Gegebenheiten für viele erkennbar stark entfernt, aber eine Widersprüchlichkeit der Ideologie in sich war nicht nachzuweisen. Es hat ja auch alles irgendwie funktioniert.
    ad 2: Ein nationaler Sozialismus, der rassentheoretischen Überlegungen folgend Minderwertigkeit erkennt und Aggression implitziert, kann nicht in der internationalen Welt existieren, es sei denn er gewinnt. Letzteres war nicht der Fall.
    ad 3: Die Österreich-Übernahme, dann insbes. die Aggression gegen die Tschechoslowakei (immerhin seit 1918 demokratisch), dann der Polenüberfall…
    ad 4: Eine behauptete Konsistenz kann man nur widerlegen (also nicht “nachweisen”), das ging beim DDR-Sozialismus nicht, will man nicht auf den zivilisatorischen Rückstand verweisen, was vielen aber nicht genügte bzw. verleugnet wurde.
    Verglichen mit einigen asiatischen oder afrikanischen Staaten war doch in der DDR alles bestens.

    Konsistenz/Beschaffenheit wird hier im metaphorischen Sinne verwendet, also als Nicht-Widersprüchlichkeit.

    Auf den Rest will ich nicht eingehen, 14 Fragezeichen sind sehr viel. 🙂
    Auch mal das Herumpruckeln sein lassen, wir wollen doch an der Sache bleiben.

  6. #6 Andrea N.D.
    Dezember 29, 2009

    @ff:
    “Es hat ja auch alles irgendwie funktioniert.” Belege? Was hat funktioniert?

    “Konsistenz/Beschaffenheit wird hier im metaphorischen Sinne verwendet, also als Nicht-Widersprüchlichkeit.”
    Was soll die “Nicht-Widersprüchlichkeit” eines Staates, einer Ideologie, einer Staatsform, einer Regierungsform sein (leider sagst Du nicht, auf was genau Du “Konsistenz” anwendest?) Ich bin mir ziemlich sicher, dass man den “internationalen Sozialismus” bzw. die “DDR” generell nicht mit dem Adjektiv konsistent belegen kann. Wenn, dann müsstest Du erklären, auf was genau Du das konsistent anwenden möchtest. Ich bin gespannt.

    Sorry für die vielen Fragezeichen, aber wenn Du so (inkonsistent?) vor Dich hin sinierst, bleiben eben viele Fragen offen. Wie bereits erwähnt, sollten die Aussagen wenigstens einer minimalen Nachfrage standhalten. Außerdem sehe ich nicht so ganz was Dein unsäglicher Vergleich (anfangs der Menschheitsgeschichte als Ganzes (!) jetzt von “einigen asiatischen oder afrikanischen Staaten” mit der DDR) eigentlich bedeuten soll, vor allem weil ja in Asien und Afrika auch so viele Menschen leben. Der Aussagegehalt dieses Vergleiches tendiert in der von Dir genannten Form gegen Null.
    Vielleicht könntest Du in Deinen Postings ein bisschen mehr Konsistenz walten lassen. Dann könnte man auch darüber diskutieren und müsste nicht “herumpruckeln” (was auch immer das sein soll).

    Wenn ich Deine Reformulierung richtig verstanden habe, bedeutet dies in Kurzform, weil es den Menschen in der DDR (retrospektiv?) nicht so schlecht ging, wie denen in Afrika oder Asien oder verglichen mit der ganzen Menschheitsgeschichte (na, das möchte ich doch einmal hoffen, die Höhlen waren immer so kalt), finden einige Menschen, dass die DDR toll war.
    Oder noch kürzer: Da es einigen anderen immer noch schlechter gegangen sein wird als den Menschen in der DDR, war nicht alles in der DDR schlecht. Das hat nicht wirklich etwas mit Konsistenz innerhalb des oder des Sozialismus zu tun und Dein Argument war ja: “Weil der moderne Sozialismus konsistent ist, werden sich immer wieder welche erreichen lassen…”