Der Axel Springer-Verlag hat am 17. Januar 2010 das Online-Archiv „Medienarchiv68″ ins Netz gestellt. Über 5900 Quellen im Zeitraum von 1966 bis 1968 – vom kurzen Bild-Zeitungs-Text über den Leserbrief bis zur Karikatur – werden dort mit dem Schwerpunkt „Studentenunruhen 1968″ veröffentlicht. Damit wollen die Verantwortlichen des Verlages eine kontroverse Diskussion über die Rolle des Medienkonzerns am Ende der 1960er-Jahre entfachen, da dieser damals zum absoluten Hassobjekt der politisch-ideologisierten Studierenden wurde, aber viele Menschen bis heute nicht die Originaltexte kennen.
Aufarbeitung des Nationalsozialismus hatte erst begonnen
Vor über 40 Jahren begann zudem 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erst allmählich die gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Der Springer-Verlag wurde dabei auch immer in die Nähe des Faschismus gerückt, obwohl sich der damals noch lebende Verleger Axel Cäsar Springer (1912-1985) beispielsweise für eine Aussöhnung zwischen Deutschland, dem Staat Israel sowie den Menschen jüdischen Glaubens einsetzte.
Massives Eintreten für Wiedervereinigung machte Axel Springer zu Feind der SED-Diktatur
Sein auch publizistisch schonungsloses Eintreten für die Wiedervereinigung, die soziale Marktwirtschaft und den Kampf gegen jegliche Form des Totalitarismus gefiel besonders den Repräsentanten der SED-Diktatur wie Walter Ulbricht und Erich Honecker nicht. Direkt an der Berliner Mauer ließ Springer in West-Berlin zudem als Zeichen seiner Freiheitsvorstellungen ein gut von Osten sichtbares Verlagshochhaus bauen. In allen Publikationen des Verlages musste die „DDR” in Anführungszeichen geschrieben werden. Das Ministerium für Staatsicherheit der DDR (MfS) versuchte in der Folge bis zur Wiedervereinigung 1990, den Verlag und auch Axel Springer selbst zu diskreditieren, was teilweise in der linksliberalen Öffentlichkeit auch gelang. Einzelne Zeitungen der „Springer-Presse” verstärkten jedoch die Vorteile durch zum Teil „verleumderische” Überschriften, Kommentare oder sonstige Beiträge, wie „Welt”-Chefredakteur Thomas Schmid am 17. Januar 2010 in der Print- und Online-Ausgabe seiner Zeitung freimütig bekannte.
Online-Archiv ist gewinnbringend, aber technisch noch “suboptimal”
Die umfangreichen Materialien sind im Archiv der etwas karg gestalteten Website bequem abrufbar. Für einen ersten Überblick kann eine zum Download bereitstehende Excel-Tabelle mit Tags oder die Suchfunktion benutzt werden. Neben den Original-Springer-Publikationen gibt es auch immer wieder Vergleichstexte, zum Beispiel aus dem „Tagesspiegel”. Die als JPEG/PDF einsehbaren Zeitungsseiten sind allerdings schlecht eingescannt und ein wenig unscharf, aber trotzdem noch leserlich. Positiv ist, dass sich jeder mit dem transparent zur Verfügung gestellten Material ein eigenes Bild machen kann, zumal die Quellen nicht kommentiert sind. Weitere Links gibt es zum Beispiel zum Unternehmensarchiv des Konzerns, das schnell die Kommunikationsdaten für Recherchezwecke angibt. Nun kann niemand mehr behaupten, es habe keine Möglichkeiten gegeben, zum Beispiel die Bild-Zeitung von einem bestimmten Datum einsehen zu können, da Schüler, Studierende oder Wissenschaftler per E-Mail im Voraus Recherchewünsche und -fragen per E-Mail senden können. Darüber werden zeithistorische Online-Dokumentationen veröffentlicht.
Online-Quellen sind eine enorme Bereicherung
Ob der Springer Verlag mit diesem transparenten Angebot sein in Kreisen der „68er-Bewegung” und ihrer politischen Nachkommen nach wie vor negatives Image ablegt, bleibt abzuwarten. Für Historiker, Geschichtslehrer und interessierte Laien sind die zugänglichen Quellen eine enorme Bereicherung, zumal durch neue Aktenfunde klar wird, dass in der damaligen aufgeheizten Situation vor allem in West-Berlin die DDR Öl ins Feuer goss, was auch der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, im Archiv-Editorial betont und damit ebenso die weiteren, teilweise persönlichen Intentionen der Onlineprojektes offenbart:
„Wie wichtig es ist, dass wir uns mit diesem Kapitel deutscher Geschichte und unseres Unternehmens erneut auseinandersetzen, zeigen zwei Meldungen des vergangenen Jahres: Karl-Heinz Kurras, der den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 erschoss, war ein inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Und der Dutschke-Attentäter Josef Bachmann hielt enge Kontakte zu Neonazis, die von der Stasi wie auch der Polizei beobachtet wurden. Beide Erkenntnisse werfen die Frage auf: Was wäre gewesen, wenn das alles schon damals bekannt geworden wäre?
Wir wollen aber nicht spekulieren, sondern uns an das halten, was geschrieben steht. Im Medienarchiv68 haben wir rund 5.900 Beiträge, Kommentare, Leserbriefe, Karikaturen, Reportagen, Glossen und Interviews aus den Jahren 1966 bis 1968 zusammengestellt, die ein Bild vermitteln, wie die Redaktionen von Axel Springer, aber auch andere Medien wie der Berliner „Tagesspiegel” über die 68er-Bewegung berichtet haben. Was die Texte aus den Blättern der Axel Springer AG betrifft, so ist die Dokumentation nach unserem besten Wissen vollständig. Sollten uns dennoch einzelne Artikel entgangen sein, sind wir für Hinweise dankbar.
Schon länger habe ich mir gewünscht, dass unabhängige Wissenschaftler die publizistische Positionierung der Axel-Springer-Zeitungen in der damaligen Zeit wissenschaftlich aufarbeiten. Mit dem Material des Medienarchivs68 ist dies erstmals über eine für jedermann zugängliche Datenbank online und umfassend möglich. Da mag es dann bei der Recherche Überraschungen geben, für uns oder für andere. Mein persönliches, vorläufiges Fazit: Wenn man genauer hinschaut, ergibt sich ein differenziertes Bild. Die These, das Haus Axel Springer sei eine zentral gelenkte Meinungsmaschine gewesen, welche die Studentenbewegung verhindern wollte, bestätigt sich jedenfalls nicht.”
Weiterlesen:
Medienarchiv68 der Axel Springer AG
„Springer öffnet Archive zu Unruhen von 1968″ – Namensbeitrag von Welt-Chefredakteur Thomas Schmid vom 17. Januar 2010
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