„Integration oder Ausgrenzung? Der Umgang der SED mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern”

Zeittaucher-Gastbeitrag von Sandra Meenzen*

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Historikerin Sandra Meenzen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. (Foto: SM)


Unter dem Titel „Integration oder Ausgrenzung? Der Umgang der SED mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern” fand an der Friedrich-Schiller-Universität Jena am 15. und 16. Dezember 2009 ein Workshop des SFB 580 „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition, Strukturbildung”, Teilprojekt A 1 „Führungsgruppen und gesellschaftliche Differenzierungsprozesse in der DDR” statt. Im Blickwinkel von „Integration oder Ausgrenzung” standen der Aufstieg und der Fall ehemaliger Nazis im Partei-, Staats- und Sicherheitsapparat sowie in einigen ausgewählten Wirtschaftsunternehmen der DDR von der Nachkriegszeit bis in die Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts.

SED griff auch auf ehemalige Nationalsozialisten zurück

Auch wenn sich die DDR während ihrer gesamten Existenz in ihrer Herrschaftsideologie ununterbrochen als antifaschistischer Staat legitimierte, sah die Lebenswirklichkeit einer entnazifizierten Gesellschaft grundlegend anders aus. Wie die Befunde verdeutlichen, griff die SED beim Aufbau ihres sozialistischen Staates auch auf Angehörige von nationalsozialistischen Organisationen zurück und zwar in einem außerordentlich hohen Maße. Dem ging gelegentlich ein Abwägungsprozess der Schwere der NS-Belastung mit anderen ‚kaderpolitischen Merkmalen’ voraus. Sehr gute fachliche Qualifizierungen und positive Arbeitsergebnisse – gemäß den Anforderungen der Partei – stellten das entscheidende Plus dar.

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Banner der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.

(Foto: © mad-max / PIXELIO)

Gefragt war die Loyalität

Außerdem war, angesichts anhaltender politischer Säuberungen, vor allem für Leitungspositionen Loyalität zur SED gefragt. Biografische Falschdarstellungen und Beschönigungen blieben dabei nicht aus. Diese wurden an Beispielen von SED-Funktionären in den thüringischen Bezirken Gera, Erfurt und Suhl, den zentralen Regierungsdienststellen der SBZ/DDR und ausgewählten Wirtschaftsunternehmen, wie beispielsweise bei Simson/Suhl, Zeiss/Jena und in neun weiteren Unternehmen der DDR-Industrie, dargestellt. Elitenkontinuitäten konnten in allen untersuchten Bereichen nachgewiesen werden. Hinter dem lautstarken Antifaschismus offenbarte sich der Umgang – nicht zuletzt durch die besondere Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit in der gesamten Verfolgungs- (und Nichtverfolgungs)praxis der DDR gegenüber NS-Verbrechern manifestiert – ein erstaunlich geringes Maß an tatsächlicher Strafverfolgung und verdeckter Integration von NS-Tätern in der DDR-Gesellschaft.

NSDAP-Mitgliedschaft wurde meist verschwiegen

Nicht nur die Bundesrepublik, auch die DDR bot nach dem Krieg nominellen NSDAP-Mitgliedern eine Chance, am Aufbau des Landes mitzuwirken. Trotz des Integrationswillens der Betroffenen blieb eine NSDAP-Mitgliedschaft in der DDR jedoch lebenslang ein Makel. Nach jeder politischen Krise, zum Beispiel am 17. Juni 1953, standen die ehemaligen Parteigenossen unter Generalverdacht. Jeder Politikwechsel der SED konnte ihren beruflichen Aufstieg beenden. Eine Verheimlichung der braunen Vergangenheit hingegen war häufig erfolgreich, denn überraschend selten überprüfte, thematisierte und funktionalisierte die SED die Lebensläufe ihrer Aufbauhelfer und mit Hilfe von biografischen Manipulationen war deshalb im ‚antifaschistischen Staat’ eine aussichtsreiche Karriere möglich.

Am 20. Januar 2010 folgt auf „Zeittaucher” der weiterführende Beitrag von Sandra Meenzen „Gutes Klassenbewusstsein, Parteiverbundenheit und Prinzipienfestigkeit” – Beispiele von SED-Sekretären mit brauner Vergangenheit in Thüringen.

* Sandra Meenzen

Website von Sandra Meenzen

Website des FSB 580

Seit Oktober 2009 Stipendiat im Stipendiumprogramm „SED-Geschichte” der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur” mit dem Promotionsvorhaben: „Die SED – Arbeitermythos und Staatspartei. Zusammensetzung und Rekrutierung von Mitgliederschaft und Funktionärskörper (1961-1989)”

Bisherige Veröffentlichungen:

SALHEISER, AXEL / BERNHARDT, SANDRA: Der Sekretäre-Datensatz: Konzeption, Aufbau und Auswertung, in: BEST, HEINRICH / MESTRUP, HEINZ (HG.): Die Ersten und Zweiten Sekretäre der SED. Machtstrukturen und Herrschaftspraxis in den thüringischen Bezirken der DDR, Böhlau 2003, S. 477-485.

MEENZEN, SANDRA: Die Minister und Blockparteien der Deutschen Demokratischen Republik im Spiegel des Zentralen Kaderdatenspeichers des Ministerrates, Jena 2007 (Staatsexamensarbeit). (Einsichtnahme im Bundesarchiv Berlin möglich).

Kommentare (1)

  1. #1 rolak
    Januar 18, 2010

    Etwas Informationen zu diesem Thema kann auch in Wolfgang Leonhards Autobiographie “Die Revolution entläßt ihre Kinder” gefunden werden, die die 30er und 40er Jahre abdeckt. Erstaunlicherweise immer noch verlegt…