„Gutes Klassenbewusstsein, Parteiverbundenheit und Prinzipienfestigkeit” – Beispiele von SED-Sekretären mit brauner Vergangenheit in Thüringen

Zeittaucher-Gastbeitrag von Sandra Meenzen*

Sandra Meenzenk.jpg
Historikerin Sandra Meenzen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. (Foto: SM)

Unter dem Titel „Aufstieg und Fall ehemaliger Nazis in der SED” ist am 18. Januar 2010 auf „Zeittaucher” ein Bericht über den Workshop „Integration oder Ausgrenzung? Der Umgang der SED mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern” von Sandra Meenzen erschienen.


Gutes Klassenbewusstsein, Parteiverbundenheit und Prinzipienfestigkeit: Jene „positiven” Dispositionen wurden benötigt, um in der DDR erfolgreich Karriere machen zu können. Dass dies oftmals mit Beschönigungen in den biografischen Selbstdarstellungen einherging, waren logische und keine selten anwendeten Methoden.

DDR benötigte Nazis zum Aufbau des Landes

Da das Reservoir politisch Unorganisierter in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg begrenzt war, konnte auch die DDR ehemalige Anhänger der Nazipartei nicht vom politischen Leben ausschließen, sondern benötigte diese sogar für den Aufbau der angestrebten sozialistischen Gesellschaft. Ein vollständiger Elitenwechsel war aufgrund mangelnder Alternativen nicht vollziehbar. Nur entpuppt sich dabei der offizielle deklarierte Antifaschismus als ein Mythos. Wie dieser in der realen Wirklichkeit aussah, verdeutlicht eine Untersuchung von Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Heinrich Best, Dietmar Remy und Sandra Meenzen) der Ersten und Zweiten Kreis- und Bezirkssekretäre der SED in den thüringischen Bezirken Gera, Erfurt und Suhl.

36 SED-Sekretären konnte eine frühere NSDAP-Mitgliedschaft nachgewiesen werden

Im Zeitraum von 1946 bis 1989 herrschten in diesem Gebiet insgesamt 441 SED-Sekretäre. Von den Funktionären wurden 263 Personen (bis einschließlich Geburtsjahrgang 1927) auf eine mögliche NSDAP-Mitgliedschaft überprüft. Durch das Abgleichen der biografischen Angaben mit den Daten des Berlin Document Centers (BDC) konnten bei 36 SED-Sekretären eine NSDAP-Mitgliedschaft nachgewiesen werden. Das BDC ist eine wichtige Institution, um Belege von NS-Belastungen einzelner Personen während der Zeit des Nationalsozialismus zu erbringen, welche allerdings nur noch zu circa 80 Prozent erhalten ist.

Nazi-Trefferquote bei 14 Prozent

Der Befund war insgesamt eine völlige Überraschung, da sich bei den lokalen und regionalen Funktionären eine Trefferquote von fast 14 Prozent ergab. Erst im Vergleich mit den offiziellen Zahlen der Parteizentrale der SED wird deutlich, welche enorme Dimension jenes Forschungsergebnis darstellt. Über die frühere Zugehörigkeit zu nationalsozialistischen Organisationen wird in einem parteiinternen repräsentativen Überblick von 1954 folgendes dargelegt: 8,6 Prozent der SED-Mitglieder waren NSDAP-Mitglieder. Die Quote von örtlichen SED-Spitzenfunktionären mit NSDAP-Vergangenheit lag folglich deutlich höher als der Anteil ehemaliger Mitglieder der Nazipartei an der Gesamtmitgliedschaft der SED.

Erich Honeckerk.jpg
In der ab 1971 von Erich Honecker geführten SED waren mehr ehemalige Nationalsozialisten engagiert, als bislang bekannt war. (Foto-Repro: CJ)

Manche späteren SED-Genossen traten erst 1944 der NSDAP bei

Nur 14 der 36 Personen wurden erst am 20. April 1944 der NSDAP aufgenommen, die übrigen 22 SED-Genossen traten schon vor diesem – in der Forschung umstrittenen Aufnahmedatum – der Nazipartei bei. Mehrfach belegt ist inzwischen aber, dass ein Aufnahmeantrag in die NSDAP auch 1944 eigenhändig ausgefüllt und unterschrieben werden musste. Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass zu diesem Zeitpunkt jemand unwissentlich in die Partei aufgenommen wurde. Eine sich daraus ergebende nominelle Mitgliedschaft bildet die Grundlage für die Einschätzung einer NSDAP-Belastung im Lebenslauf.

SED-Sekretäre verschwiegen braune Vergangenheit

Markant ist ferner, dass vor der Überprüfung dieses ‚negative Kadermerkmal’ von nur einem SED-Funktionär bekannt war. Alle weiteren Sekretäre verschwiegen ihre ‚braune’ Vergangenheit in ihren offiziellen Lebensläufen. Die Geheimhaltung bzw. das ‚einvernehmliche Beschweigen’ kann für ausgewählte Beispiele mit Hilfe von handschriftlichen Lebensläufen nachgewiesen werden. Mehrere biografische Einzelanalysen und kollektive Fallstudien der Jenaer Forscher belegen, dass das Verschweigen der NSDAP-Mitgliedschaft – mit oder ohne offizielles Einverständnis höherer politischer Instanzen – eine Parteikarriere überhaupt erst ermöglichte.

DDR-Kulturminister Hans Bentzien war NSDAP-Mitglied

Einen Beleg für diese Praxis lassen sich in den autobiografischen Zeugnissen von Hans Bentzien finden. Bentzien wurde 1927 geboren, unterschrieb im Frühjahr 1944 den Aufnahmeantrag der NSDAP. Die Karteikarten des BDC weisen seine Mitgliedschaft nach. Der spätere Kulturminister wurde in Auswertung des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED vom Dezember 1965, dem sogenannten „Kahlschlagplenum”, abgelöst, da er sich gegen die Sprengung der Leipziger Universitätskirche einsetze. Seine letzte Funktion war die des Generalintendanten des DDR-Fernsehens 1989/90. Beim Eintritt in die KPD gab er die Zugehörigkeit zur NSDAP an, erhielt jedoch von Otto Sepke, später Mitglied der SED-Parteikontrollkommission, die Erlaubnis, diesen Punkt zukünftig zu verheimlichen. Auch wenn an dieser Stelle dem jugendlichen Bentzien nicht die Unterschrift unter den NS-Parteiantrag zum Vorwurf gemacht werden kann, so geht es dennoch um den Umgang mit und diesem Thema, welches zukünftig ‚einvernehmlich beschwiegen’ werden sollte und in den Personalbögen der DDR auch wurde.

Konsequentes Schweigen zahlte sich aus

Als weiteres Beispiel für den Umgang mit der eigenen NSDAP-Vergangenheit fungiert der Erste Parteisekretär der Industriekreisleitung des VEB Carl Zeiss Jena. Heinz Tittl, geboren 1926, trat 1944 der NSDAP bei. Seine NSDAP-Mitgliedschaft verschwieg Tittl konsequent in allen Lebensläufen. In seiner Funktion als Vorsitzender der IKL zwang er 1968 einen innerparteilichen Gegner zum Rücktritt mit der Begründung, dass jener seit 1944 Mitglied der Nazipartei gewesen sei. Dieser Kaderleiter hatte, im Gegensatz zu Tittl, seine Mitgliedschaft in der NSDAP nicht vertuscht, was ihm nun zum Verhängnis wurde. Beide Akteure waren als 17-Jährige aus der Hitlerjugend heraus in die NSDAP eingetreten, gewissermaßen ein jugendlicher Fehltritt. Dennoch wird deutlich, dass ein offizielles Bekenntnis zur ‚Jugendsünde NSDAP’ Parteikarrieren beenden konnte. Die SED wünschte sich bei diesem Thema Verschwiegenheit, denn nur so konnte die Fassade eines antifaschistischen Staates – als propagierter Gegenpol zur Bundesrepublik Deutschland – aufrecht erhalten werden.

* Sandra Meenzen

Website von Sandra Meenzen

Website des FSB 580

Seit Oktober 2009 Stipendiat im Stipendiumprogramm „SED-Geschichte” der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur” mit dem Promotionsvorhaben: „Die SED – Arbeitermythos und Staatspartei. Zusammensetzung und Rekrutierung von Mitgliederschaft und Funktionärskörper (1961-1989)”

Bisherige Veröffentlichungen:

SALHEISER, AXEL / BERNHARDT, SANDRA: Der Sekretäre-Datensatz: Konzeption, Aufbau und Auswertung, in: BEST, HEINRICH / MESTRUP, HEINZ (HG.): Die Ersten und Zweiten Sekretäre der SED. Machtstrukturen und Herrschaftspraxis in den thüringischen Bezirken der DDR, Böhlau 2003, S. 477-485.

MEENZEN, SANDRA: Die Minister und Blockparteien der Deutschen Demokratischen Republik im Spiegel des Zentralen Kaderdatenspeichers des Ministerrates, Jena 2007 (Staatsexamensarbeit). (Einsichtnahme im Bundesarchiv Berlin möglich).

Kommentare (1)

  1. #1 Thilo Kuessner
    Januar 20, 2010

    Interessanter wären natürlich Beispiele von Leuten, die nicht als 18-jährige, sondern als ‘Erwachsene’ in die Partei eingetreten sind.
    Z.B.Melsheimer (1897-1960), der in den 50er Jahren oberster Staatsanwalt (und damit Ankläger am obersten Gericht, auch in politischen Prozessen) der DDR war und der zwar nicht in der NSDAP, aber jedenfalls im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund aktiv war.