An der Universität Basel, die als älteste Universität der Schweiz in diesem Jahr ihren 550. Geburtstag feiert, fanden vom 4. bis 6. Februar 2010 die 2. Schweizer Geschichtstage statt. Das Tagungsthema „Grenzen” war dabei an Aktualität kaum zu überbieten, auch wenn die Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der Schweiz rund um die Verwendung von angebotenen Bank-CDs über Steuerflüchtige nur am Rande eine Rolle spielten. (Fotos: CJ 2010)
In Basel fanden Anfang Februar 2010 die 2. Schweizer Geschichtstage statt.
Den Eröffnungsvortrag (4.2.2010) unter dem Titel „Grenzen und Brücken” hielt der Konstanzer Professor für Neuere und Neueste Geschichte und Leibnitz-Preisträger (2010) Jürgen Osterhammel. Von ihm ist gerade in 2. Auflage (2009) das Buch „Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts” erschienen.
Osterhammel betonte, dass es sich bei „Grenzen” immer auch um Beziehungen, Relationen und mögliche Schnittstellen handle, weil es ansonsten keine Barrieren geben würde, was offenbare, dass es sich bei „Grenzen” nicht um einen rein theoriesprachlichen Begriff, sondern um eine universalhistorische Kategorie handle, die im Alltag „moralisch negativ” besetzt sei. Grenzen in der Gegenwart würden zudem oft für den „Rückzug in die Kleingeisterei” gebraucht. Transnational orientierte Historiker dürften deshalb nicht nur im luftleeren Raum arbeiten, sondern durch eine notwendige „Entgrenzungsskepsis” gegenüber den Chancen der Globalisierung wissenschaftliche Denkhürden, besonders zwischen einzelnen Disziplinen, in Frage stellen, „da keine Grenze vollkommen eindeutig” sei.
Osterhammel plädierte deshalb, sich stärker mit „Brücken”-Metaphern zu beschäftigen, weil Menschen im Laufe der Geschichte immer versucht hätten, Grenzen zu überschreiten. Dabei hätten sie, wie man auch am Beispiel der Universitätsstadt Basel und des Rheins sehe, Brücke als reale Bauwerke benutzt, die erst den Austausch „untereinander” ermöglicht hätten, auch wenn auf der „Mittleren Brücke” Basels im Mittelalter ebenso Todesurteile durch Ertränken durchgeführt worden seien. Es gelte nun in der trans-liminalen Praxis das kaum erkennbare „Darüber-Hinaus”, das Verbindende, stärker in den Fokus der Erkenntnisgewinnung zu bringen und sich ebenso mit „Brücken jeglicher Art” zu beschäftigen, was Osterhammel an zahlreichen Beispielen wie antiken Schiffsbrücken und Aquädukten, ritualisierten Demütigungen, zugefrorenen Flüssen, Mautstationen, Schilderbrücken oder der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam verdeutlichte, auf der zwischen 1962 und 1985 in drei Austauschaktionen insgesamt 38 Agenten zwischen der Sowjetunion und der USA ausgetauscht wurden.
„Der bewusste Verlust und die Zerstörung von Brücken schafft neue Grenzen und Barrieren, wie der gezielte Beschuss der ‚Alten Brücke’ im bosnischen Mostar durch kroatische Truppen 1993 zeigte. Der ebenso gezielt geförderte Aufbau zwischen 1996 und 2004 offenbart nicht nur symbolisch, dass multireligiöse Barrieren auch wieder abgebaut werden können”,
sagte Osterhammel. Dennoch seien „Brücken” bisher ein „Nicht-Thema” des Historikers, obwohl sie ein gewisses intellektuelles Gegenkonzept und moralisch überlegeneres Ordnungsprinzip im direkten Gegensatz zum „border thinking” darstellten.
Die Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, Regina Wecker, stellte in einem Grußwort (4.2.2010) zur Eröffnung der Tagung heraus, es gebe „keine ausdrücklich schweizerische Geschichtswissenschaft”. Der deutschsprachige Raum der eidgenössischen und durch viele deutsche Historiker verstärkten Geschichtswissenschaft orientiere sich eher am angloamerikanischen Raum, was sie für die französisch- und italienischsprachigen Landesteile anders sei. So gebe es in der Historie spezifische Schweizer Wahrnehmungsgrenzen, trotz aller interdisziplinären Ansätze.
Die „History of women and gender”-Expertin und Professorin Merry Wiesner-Hanks von der University of Wisconsin, offenbarte in ihrem Vortrag „Crossing Borders in Gender History” (5.2.2010), dass solche disziplinspezifischen Probleme in Amerika niemand interessierten, da man eher nach dem Motto „The West and the Rest” in den USA vorgehe. Ausführlich berichtete sie über die Anwerbung von jungen christlich-europäischen Frauen in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten im 17. Jahrhundert zum Zwecke der „Blutvermischung” und des Bevölkerungswachstums im Westen der heutigen USA. Für sie sei es selbstverständlich, solche Themen fächerübergreifend zu bearbeiten und dabei aus verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen zu fragen, wie sich bis in die Gegenwart wandelnde geschlechtsspezifische Identitäten wandelten und wie beispielsweise die „sexuelle Revolution” seit den 1960er-Jahren die Gesellschaften verändert hätten. Dies könnte ebenso ein wichtiger Ansatz sein, wie Grenzen zwischen dem Vergangenen und der Gegenwart durchbrochen werden könnten.
Weiterlesen:
Aktuelle Informationen zu den 2. Schweizer Geschichtstagen (4.2.-6.2.2010)Als Steuerzahler in die Schweiz (04.02.2010)
Grenz(en)-Geschichten der Vergangenheit (Zeittaucher-Archiv, 4.2.2010)
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