1972 wurde in einem Wieslocher Hotel ein 36-jähriger Kroate mit australischem Pass im Schlaf erschossen
Seit einigen Monaten schreibe ich in der Rhein-Neckar-Zeitung eine Serie über ungeklärte Morde in Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis. Die Fälle mit überregionaler Bedeutung werde ich auch vielfachen Wunsch nun auch auf Zeittaucher veröffentlichen. CJ
Wiesloch. Die Heidelberger Kriminalpolizei stand ab März 1972 wochenlang vor einem Rätsel, das bis heute nicht aufgeklärt ist. Im Wieslocher Stadtteil Frauenweiler war im damaligen Hotel „Klosterschänke” am 9. März 1972 nach einem angeblichen Anruf aus Mailand ein zuerst Unbekannter in seinem Zimmer gefunden worden. Im Schlaf war der 1,80 Meter große und 89 Kilogramm schwere Mann mit dunkelblondem bis braunem Kopfhaar mit Geheimratsecken und einer deutlich sichtbaren Narbe neben seiner geraden Nase aus nächster Nähe mit zwei Kopfschüssen möglicherweise von einem Profikiller ermordet worden.
Selbstmord wurde zuerst nicht ausgeschlossen
Ursprünglich hatten die um Mitarbeiter des Landeskriminalamtes verstärkten Kriminalbeamten auch einen Selbstmord nicht ausgeschlossen, da es keinerlei Kampfspuren gab. Da mit seinem in Mitleidschaft gezogenen Gesicht keine genaue Identifizierung mehr durchgeführt werden konnte, wurden Fingerabdrücke abgenommen. Eine Analyse mit Hilfe der Datenbank des Wiesbadener Bundeskriminalamtes hatte zum Ergebnis, dass es sich bei dem Ermordeten um den 36-jährigen Exilkroaten Jossip Senic handelte, der im Hotel nur unter dem Vornamen „Marko” bekannt war und dort schon mehrfach, zuletzt im März 1972, übernachtet hatte. Dieser 1936 im jugoslawischen Mala geborene Mann war schon 1966 wegen unerlaubtem Waffenbesitz nach Schweden abgeschoben worden, hatte danach die australische Staatsbürgerschaft erlangt und sich seit einiger Zeit wieder illegal in der Bundesrepublik aufgehalten.
Toter war führendes Mitglied einer rechtsextremen Untergrundorganisation
Rasch kam es nach der Tat zu drei vorläufigen Festnahmen von ebenfalls in Jugoslawien geborenen Männern, zwei im Raum Heidelberg und eine in Stuttgart. Den drei Männern konnte allerdings nicht nachgewiesen werden, etwas mit dem Wieslocher Mord zu tun zu haben. Der Stuttgarter Tatverdächtige wurde jedoch sofort dem Haftrichter vorgeführt, da ein anderer Haftbefehl gegen ihn vorlag. Von Anfang an konnte nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Hinrichtung um einen politischen Mord handelte, da Jossip Senic zu einem der führenden Mitglieder der rechtsextremistischen „Kroatisch-Revolutionären Bruderschaft” in der Bundesrepublik gehörte, die im Untergrund operierte und seit 1968 verboten war.
Bruderschaft war 1961 in Australien gegründet worden
In Australien war die Vereinigung 1961 gegründet worden, die sich aus vielen faschistischen Kriegsverbrechern zusammensetzte, die im Zweiten Weltkrieg mit den Nationalsozialisten zusammenarbeiteten, und über den fünften Kontinent und vor allem Deutschland Terroranschläge gegen das von Tito geführte kommunistische Jugoslawien plante und auch durchführte. So trug die Bruderschaft vor allem in der Bundesrepublik einen erbitterten „Untergrundkrieg” mit dem jugoslawischen Sicherheitsdienst aus.
Jugoslawischer Botschafter war 1971 in Schweden erschossen worden>
Dass der Ermordete selbst kein Kind von Traurigkeit war, hatten die Ermittler schnell herausgefunden: Denn im Zimmer der Bluttat war eine Selbstladepistole 7,65 mm gefunden worden, die allerdings nicht die Tatwaffe war. Im Besitz des Toten fand die Polizei außerdem zahlreiche deutsche Kraftfahrzeugpapiere und gefälschte Ausweise. Ein Sprecher der Kriminalpolizei stellte fünf Tage nach der Auffindung fest, dass das in der Öffentlichkeit aufgetretene Gerüchte, der ermordete Exilkroate sei ein Mitarbeiter des deutschen Verfassungsschutzes, unwahr sei und jeglicher Grundlage entbehre. Dies bestätigte auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Es wurde aber nicht ausgeschlossen, dass Jossip Senic 1971 auf Überfälle auf jugoslawische Dienststellen in Schweden beteiligt war. Am 7. April 1971 waren zwei bewaffnete Exilkroaten in die jugoslawische Botschaft in Stockholm eingedrungen und hatten den Botschafter Vladimir Rolovic niedergestreckt, der kurz darauf seinen Verletzungen erlag.
Viele weitere Morde nicht geklärt
Der bis heute ungeklärte Wieslocher Mordfall beschäftigte auch die sozial-liberale Bundesregierung, die nach einem Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit” vom 7. Mai 1982 nach einer kleinen Anfrage der CDU/CSU feststellte, dass seit 1970 insgesamt 14 Emigranten aus Jugoslawien in der Bundesrepublik gewaltsam ums Leben kamen. Auf „über den Daumen gepeilt 40″ bezifferte ein Sprecher des Bundeskriminalamtes die Zahl der Opfer offensichtlich politisch motivierter Morde seit Beginn der blutigen Auseinandersetzungen zwischen dem jugoslawischen Geheimdienst und erklärten Regimegegnern seit Mitte der 1960er-Jahre. In einer genauen Auflistung der Mordopfer sprechen die Behörden 1982 bei Jossip Senic übrigens vom Führer der „Kroatischen Revolutionären Bruderschaft”. Die Auflistung der Bundesregierung beinhaltete alle weiteren Morde bis 1982, die in Zusammenhang mit den Wieslocher Vorgängen stehen könnten. Ohne größere Spuren zu Hinterlassen wurden in der Bundesrepublik führende Exilanten aus der Bundesrepublik erschossen, erdrosselt und teilweise in Flüssen ertränkt. Es wird in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen, dass einige Tote unbekannt bleiben werden, weil sie nie gefunden und vermisst wurden.
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