Während unter der Woche das Heidelberger Stadtbild deutlich von den rund 40000 Studierenden der traditionsreichen Alma Mater dominiert wird und aus allen Ecken und Winkeln der Altstadt eine lebendige Gelehrsamkeit die Luft erfüllt, ergibt sich den Heidelberger Bürgern an den Wochenenden ein vollkommen anderes Bild ihrer beschaulichen Stadt am Neckar.

Von Philipp Meller (Universität Heidelberg)

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Ein Fluss, ein grüner Hügel, viele rote Dächer und eine trutzige Kirche aus dem Mittelalter: Heidelberg bestätigt das amerikanische Ideal einer typisch deutschen Stadt in vieler Hinsicht. (Fotos: Philipp Meller)

Zwischen den beiden Hügeln des ansteigenden Odenwaldes ist angesichts des quirligen Lebens in der überfüllten Hauptstraße von Beschaulichkeit nicht mehr viel zu spüren. Zu Tausenden drängen sich im Sommer die Menschen im Takt der Straßenmusik durch Heidelbergs Fußgängerzone. Die Läden freuen sich über internationale Kundschaft und gegen Mittag findet sich kein Platz mehr in einem der gemütlichen Restaurants, die mit gutbürgerlich deutscher Küche die weit hergereisten Touristen an ihre rot-weiß kariert gedeckten Tische locken. Nach einem erfrischenden Eis geht es dann im Tross von mehreren Reisegruppen vorbei an Universitätsbibliothek und Heiliggeistkirche hinauf zur berühmten Schlossruine. Die schon unten in den Gassen und Straßen zahlreich erprobten Funktionen der Fotokamera geraten nun völlig außer Kontrolle. Fotografiert wird alle paar Meter. Und zwischendurch immer wieder ein beeindruckendes „It’s amazing” angesichts solch imposant präsenter Geschichte, die man bislang eher aus dem Disneyland kannte. Was aber macht die Faszination Heidelbergs aus? Wie kommt es, dass sich jährlich zehntausende US-Amerikaner auf den Weg an den Neckar machen und mit durchschnittlich 80000 Übernachtungen die weitaus größte internationale Besuchergruppe für den Tourismusstandort Heidelberg ausmachen?

Mark Twain zieht noch immer

An einem einzigen Ereignis lässt sich dies nicht festmachen, so Steffen Schmid, Leiter der Pressestelle der Heidelberg Marketing GmbH. Großen Anteil am romantischen Image der urigen Neckarstadt habe insbesondere Mark Twain, der viele Impressionen aus Heidelberg in die Vereinigten Staaten trug. Obwohl er ursprünglich zunächst lediglich wenige Tage in der Stadt zwischen Heiligenberg und Gaisberg verbringen wollte, hielt es ihn letztlich von Anfang Mai bis Ende Juli 1878 mehr als drei Monate hier, um das sommerliche Leben der Studentenstadt kennenzulernen. In den Goldenen Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts kehrte Heidelberg dann in der Operette „The Students Prince” zurück ins Gedächtnis der Amerikaner. Das Broadwaystück nach Vorbild des bekannten Schauspiels „Alt Heidelberg” erlebte in über sechshundert Aufführungen großen Erfolg und prägt bis heute das amerikanische Bild von Heidelberg. In Springfield, Massachusetts, ist sogar noch ein Restaurant danach benannt. Dafür, dass die hübsche Vorstellung vom gemütlichen Heidelberg nicht in den Erinnerungen amerikanischer Großeltern verstaubt, sorgt schließlich gerade auch das eigentlich unromantische Militär.

US-Streitkräfte transportieren das Heidelberg-Bild

Nach dem Zweiten Weltkrieg, den die Stadt einer Legende nach nur aufgrund der Liebe eines amerikanischen Generals zu Heidelberg unbeschadet überdauern konnte, siedelten sich in den alten Kasernen sowohl ein US- als auch ein NATO-Hauptquartier an. Die amerikanische community umfasste so im Jahr 2008 etwa 22000 Soldaten, Angestellte und Familienangehörige US-amerikanischer Staatsangehörigkeit. Das Image Heidelbergs war zwar schon zuvor sehr ausgeprägt und lebt in seiner damaligen Gestalt bis heute fort, doch spielt die Stationierung der Streitkräfte auch jetzt noch eine große Rolle, auch wenn diese in den kommenden Jahren komplett nach Wiesbaden abziehen werden. Schließlich bleibt die Stadt am Neckar so auch weiterhin in Übersee präsent. Direkte Auswirkungen sind allerdings nicht messbar. Schmid geht davon aus, dass die Streitkräfte oft Besuch aus der Heimat erhalten, doch finden diese meist Unterkunft bei den Soldaten selbst. Gerade so aber bleibt das Bild Heidelbergs lebendig. Daran wird auch der kürzlich endgültig erklärte Abzug der Streitkräfte bis 2015 nichts ändern. Denn Soldaten, Angehörige und ihre Verwandten nehmen ihren Eindruck von der Stadt am Neckar mit in ihre Heimat und locken so gleichsam als eigenständige Multiplikatoren schließlich wieder neue Gäste in die Kurpfalz – und nicht alle von ihnen werden dann bei den Streitkräften untergebracht werden können.

Hauptsache Schloss und Altstadt

Bei dem Thema Unterkunft haben die Amerikaner sowieso ihre ganz eigenen Vorstellungen. Schmid, der die Hotelsituation Heidelbergs genau kennt und einordnet, analysiert aus den Zahlen und Einschätzungen der Hotellerie ein einziges Kriterium: „Hauptsache Altstadt.” Anders als japanische Touristen, die mit Blick auf den Preis oder bestimmte Qualitätsmerkmale lieber ein Zimmer in einem der Stadtteile oder gleich in einem Vorort bevorzugen, legen die Amerikaner höchsten Wert darauf, in der Altstadt gebettet zu werden. Manchmal scheinen Sterne oder Preise dabei gar nicht so wichtig zu sein. Da hilft auch kein durchgeplantes Konzept neuer Hotelinnovationen in den Stadtteilen. Allein die Altstadt zählt. Denn nur in der Altstadt lebt Heidelbergs Romantik und Gemütlichkeit noch immer – so die Vorstellung der Touristen.

Ebenso eindeutig fällt das Urteil in der Wahl der Attraktionen aus. Natürlich steht wie bei allen Besuchern aus dem In- oder Ausland das Schloss an Nummer eins. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die überwältigende Mehrheit der gebuchten Führungen trotz der großen Auswahlmöglichkeit auf die Klassiker fällt: Schloss und Altstadt. Weit abgeschlagen dahinter folgen bei US-Touristen dann Touren wie „Heidelberg zur Zeit der Romantik” oder, wen wundert es, die beliebte Mark-Twain-Führung.

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Ausschnitt des Heidelberger Schlosses: Für jeden Touristen die Attraktion der Stadt.

Erstaunlich ist, wie sich die nordamerikanische Faszination für Heidelberg fast gänzlich auf das Schloss und die Altstadt mit der beliebten Alten Brücke konzentriert. Während Besucher aus dem deutschsprachigen Raum Heidelberg zu den wichtigsten Wissenschaftsstädten der Bundesrepublik zählen, spielt diese Komponente bei den US-Touristen keine Rolle. Kaum einer von ihnen weiß, dass mit der Ruperto Carola 1386 die älteste Universität im heutigen Bundesgebiet gegründet wurde. Nur allzu verständlich ist es dann, wenn sich die Reisegruppen am Löwenbrunnen ihrer Meinung nach auf dem „market place” fotografieren lassen, obwohl sie nur wenige Meter vom Herzen der Wissenschaft mitten auf dem Universitätsplatz stehen.

Unverrückbares Image

Es habe aber gar keinen Zweck, zu versuchen, die amerikanischen Tourismusverbände auf die anderen Attraktionen Heidelbergs aufmerksam zu machen, so Schmid, der selbst schon vergeblich in den USA auf Branchentreffen für andere Heidelberger Sehenswürdigkeiten geworben hat. Aber nichts davon beeindruckt die Planer von Gruppenreisen durch Europa so sehr wie die seit Jahrhunderten unverändert gebliebenen Klassiker wie Schloss und Altstadt. Deshalb, so Schmid, sei es gar nicht notwendig, der Neckarstadt immer wieder neue Attribute zuzuschreiben. „Schließlich kann nicht jede Stadt seinem Image auch so derart entsprechen wie Heidelberg.” Auch wenn die Heidelberger selbst natürlich wissen, dass Eisbein und Saumagen manchmal nur für die Touristen aus Amerika auf die rot-weiß karierten Tischdecken der Wirtshäuser serviert werden, so kann sich keiner dem romantischem Charme der Stadt gänzlich entziehen. Schlendert man selbst die urigen Altstadtgassen hindurch, so versteht man sehr wohl, was die Amerikaner meinen, wenn sie deutsche Gemütlichkeit preisen. Und da diese Zuschreibungen wie vor vielen Jahren auch in Zukunft nicht verloren gehen, ist man angesichts der guten Zahlen aus dem ersten Quartal 2010 beim Heidelberg Marketing wieder sehr optimistisch, die Marke von 80000 Übernachtungen amerikanischer Touristen zu erreichen. Damit bliebe der durch die internationale Wirtschaftskrise bedingte Einbruch 2009 um 10,6% nur ein kurzes Intermezzo und Heidelberg wie zuvor auf Platz Acht der Top 50-Städte, die von US-amerikanischen Besuchern im Jahr aufgesucht werden.

Welches Bild von Heidelberg aber nehmen die amerikanischen Besucher mit, wenn sie nach 1,8 Tagen durchschnittlicher Aufenthaltsdauer weiterreisen, um in Rothenburg ob der Tauber oder auf dem Schloss Neuschwanstein in Bayern weiter nach deutscher Gemütlichkeit zu fahnden? Ob sie es wohl noch mit Mark Twain halten, der wie viele seiner späteren Landesgenossen Heidelberg auch auf einem „Bummel durch Europa” kennenlernte und 1878 über Deutschlands älteste Universitätsstadt schrieb:

„Das Sommersemester war in vollem Gang, und infolgedessen war innerhalb und außerhalb Heidelbergs die häufigste Erscheinung der Student. Die meisten waren natürlich Deutsche, aber es gab auch zahlreiche Vertreter des Auslandes. Sie kamen, aus allen Ecken des Erdballs, denn das Studium ist billig in Heidelberg und das Leben ebenfalls […].”

Zumindest letzterem, dem Image des billigen Lebens konnte Heidelberg seitdem erfolgreich entgegentreten, was wiederum nicht jeden erfreuen mag.

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Sinnbild für beschauliche Gemütlichkeit: kleine Gassen oberhalb der Heidelberger Altstadt.

Weiterlesen:
Große Auswahl an Themenführungen durch Heidelberg

Kommentare (3)

  1. #1 Der Webbaer
    Juli 22, 2010

    Schlendert man selbst die urigen Altstadtgassen hindurch, so versteht man sehr wohl, was die Amerikaner meinen, wenn sie deutsche Gemütlichkeit preisen.

    Wer zum Schloss hochtapert, sich die “Gemütlichkeit” und die oft erkennbaren Ansätze studentischen Lebens beobachtet, dabei noch “typisch” deutsches Essen genießt, der Amerinkaner, der das tut, äh, also dessen Bedürfnis nach Geschichte wird dann wohl entsprochen, auch wenn deutsche Vorfahren bekannt sind.
    Twain und der Standort der US-Streitkräfte ergänzen die Projektion.
    Schöner Artikel!

    MFG
    Wb

  2. #2 Connie
    Juli 22, 2010

    Sehr schoener Artikel – und ich persoenlich bin froh, dass ich zum Studium damals nicht in Heidelberg gelandet bin, sondern in Marburg – genauso schoen, aber deutlich weniger Touristen 😉

  3. #3 Stefan Taube
    Juli 22, 2010

    Wer sich länger als 1,8 Tage in Heidelberg aufhält, sollte auf jeden Fall mal auf den Heiligenberg spazieren:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Heiligenberg_%28Heidelberg%29