Die Universität Heidelberg unter dem Reichsadler im Nationalsozialismus

Von Jochen Redinger (Universität Heidelberg)

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In der Zeit des Naziregimes thronte nicht die Athene, Schirmherrin der Wissenschaften, über dem „lebendigen Geist”, sondern der Reichsadler hielt den „deutschen Geist” in seinen Krallen. Der Schriftzug und die Statue befinden sich an der Fassade des Gebäudes der neuen Universität in Heidelberg.

(Foto aus: Wikipedia, 1. Juni 2010)


In Berlin spazieren Besucher zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals, an Kriegerdenkmälern ehren jedes Jahr ehemalige Soldaten und Angehörige die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Doch wie soll eine Universität mit dieser Zeit umgehen, in der nicht die Wissenschaft und die Freiheit der Gedanken, sondern ideologische Treue und Anpassung an das nationalsozialistische Regime eine temporäre Tugend waren? Soll man beschämt schweigen oder versuchen, den „Ungeist jener Jahre” durch das Erzählen von Geschichte aufzudecken? Von wem soll man erzählen? Von Professoren, die bereitwillig dem NS-Regime „dienten”, oder denen, die aus rassistischen oder politischen Gründen verschwinden mussten? Von den Studenten? Drei Geschichten aus der dunklen Zeit der Universität Heidelberg:

Boykott und Erntearbeit für ein neues Reich: die Studenten

Bildungspolitik, Studiengebühren; wenn heute ein Vorlesungssaal besetzt oder auf der Straße demonstriert wird, geht es meist um solche Themen. Boykott und das Auftreten in Veranstaltungen gehören genauso zum Bild der engagierten Studentengemeinschaft. Die Heidelberger Studenten der 1930er- und 1940er-Jahre engagierten sich ebenfalls mit diesen Mitteln – aber wozu sie ihren Einfluss nutzten, könnte sich nicht wesentlicher von heute unterscheiden. Boykott jüdischer Dozenten, Störung der Vorlesungen mit Hilfe der SA, massive Proteste gegen die Berufung von „sozialistisch eingestellten” Professoren, bis die Aktionen selbst dem zuständigen Kultusminister zu viel wurden. Doch der Einfluss der nationalsozialistischen Studenten wuchs mit dem Aufstieg der Partei immer weiter an und ging letzten Endes soweit, dass nicht mehr der Rektor, sondern der Führer der Studentenschaft an der Universität zu regieren schien.

Um den „neuen” NS-Geist damals wirksam zu verbreiten, waren bald alle neueingeschriebenen Studenten gezwungen, an Pflichtveranstaltungen zu Wehrpolitik, nationalsozialistischer Weltanschauung und Rassentheorien teilzunehmen, wollten sie ohne Probleme ihr Examen ablegen. Das passende „Gefäß” für die Ideologie sollten regelmäßige sportliche Übungen schaffen, damit an die Stelle des „schwachen, vergeistigten” Wissenschaftlers der Weimarer Republik ein kräftiger Kämpfer für das Reich treten könnte. Aber nicht nur an der Universität selber waren die Studenten tätig, auch in den Fabriken versuchten sie, ganz im Sinne des „deutschen Sozialismus”, den Arbeitern ihre Werte zu vermitteln und wenn die Situation es erforderte, halfen sie auf den Feldern mit, um mit ihrer Erntearbeit die „Volksgemeinschaft” zu unterstützen. Schon vorher hatten sie im Rahmen der Bücherverbrennung deutlich gezeigt, wer zu so einem Staat gehören sollte und wer nicht.

Neben der Deutschen Studentenschaft, spielte bei der Ideologisierung der Jugend vor allem der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) eine wichtige Rolle. Wer sich immatrikuliert hatte und nicht der NS-Ideologie folgen wollte, musste dies begründen und sich zermürbenden Gesprächen mit den Studentenführern stellen.

Wehrgeschichte und Soldatentum: Rektor Paul Schmitthenner

In der Zeit von der Machtergreifung 1933 bis zum Ende des Krieges 1945, in der sich die Universität Heidelberg in weiten Teilen dem Nationalsozialismus andiente, spielte vor allem der 1938 zum Rektor aufgestiegene Paul Schmitthenner (1884-1963) eine tragende Rolle. Gegenüber bekannten Größen der Geschichtsforschung wie Karl Hampe in der Mittelalterforschung vertrat Schmitthenner eine Vorstellung von Wissenschaft, die vor allem der Staatsbildung im Sinne der neuen Machthaber entsprach. Die kriegsgeschichtlich-wehrkundliche Abteilung im Historischen Seminar unter seiner Leitung leistete seit 1933 im Rahmen der Pflichtveranstaltungen zur Examensvorbereitung ihren Beitrag zur Bildung einer neuen „Historikerelite”. Schmitthenner war dabei nicht nur als Rektor und Professor, sondern auch als SS-Oberführer, Gauverbandsleiter des NS-Altherrenbundes in Baden und Ratsherr Heidelbergs tätig und erreichte schließlich als badischer Minister des Kultus und Unterrichts den Höhepunkt seiner politischen Karriere. Um die Universität Heidelberg stärker in der Bevölkerung zu verankern, ließ er Professoren an den Schulen über die Ziele der Universtät sprechen, veranstaltete zum Tag der Universität Vorlesungen für Kinder und vernetzte die nationalsozialistische Presse mit der Hochschule.

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Rektor Paul Schmitthenner (links) und Nobelpreisträger Philipp Lenard (Mitte), einer der Begründer der „deutschen” oder „arischen” Physik. (Foto: Universitätsarchiv Heidelberg)

Die Handlungen des Rektors waren dabei jedoch meistens zwiespältig. Einerseits erlaubte er es Studierenden mit teilweise jüdischen Vorfahren, sich an der Universität einzuschreiben, auf der anderen Seite machte er mit Vorschlägen wie der Entfernung von Namen jüdischer Gefallener aus dem Ersten Weltkrieg deutlich, wie sehr ihn die Ideologie des Nationalsozialismus im Griff hatte. Während des Krieges gründete Schmitthenner zahlreiche neue Institute, die vor allem die Logistik und den technischen Fortschritt untersuchen sollten, und suchte nach Möglichkeiten, die ausgebombten Fabriken der Region in den Gebäuden der Universität unterzubringen. Dass man ihn in den nationalsozialistischen Kreisen für seine Haltung bewunderte, zeigen die Worte seine Prorektors Eugen Fehrle, nach denen Schmitthenner „Soldatentum, Wissenschaft und Politik in vollendeter Weise in sich” vereinte. Frieden hielt er für die natürliche Form des Lebens, begrüßte aber gleichzeitig eine „soldatische” Haltung des Einzelnen.

Am 30. April 1945 endete die Zeit Paul Schmitthenners als Rektor der Universität Heidelberg mit seiner Entlassung durch die US-Militärregierung. Seine Auffassung von Wissenschaft, die dem nationalsozialistischen Staat dienen und die Wehrhaftigkeit der Studenten fördern sollte, blieb auf die Jahre seines Wirkens unter „dem deutschen Geist” beschränkt.

Demütigung und Exil: Gertrud von Ubisch

Während die Jahre ab 1933 Dozenten wie Schmitthenner eine große Karriere ermöglichte und ihnen die Möglichkeit bot, sich in ihren Forschungsbereichen zu betätigen, bedeutete die Machtergreifung Hitlers für jüdische Akademiker das Ende ihrer Karriere. Gertrud von Ubisch (1882-1965) als erste badische Professorin für Botanik musste dabei nicht nur die Schmähungen und Verfolgungen der Vorkriegsjahre ertragen, sondern erfuhr auch nach dem Krieg keine Wiedergutmachung.

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Gertrud (Gerta) von Ubisch. (Foto: Universität Heidelberg)

Nach dem Studium der Physik in Heidelberg, Freiburg, Berlin und Straßburg, kam sie nach Heidelberg zurück und arbeitete am Institut für Botanik, wo sie sich 1923 habilitierte, die Ubisch-Körper, mikroskopische Gebilde auf Pollen, sind nach ihr benannt, und ab 1929 als außerordentliche Professorin angestellt war. Neben den Schwierigkeiten, denen sich Frauen in der damaligen Hochschulwelt gegenübersahen, begann mit dem Jahr 1933 die Zeit der Verfolgung für die Wissenschaftlerin. Ihre Assistenzstelle wurde gekündigt, die Studenten boykottierten ihre Vorlesungen. Da eine Weiterführung ihrer Arbeit in Heidelberg und generell in Deutschland nicht mehr denkbar war, wechselte sie gezwungenermaßen erst nach Holland, später nach Brasilien, und lebte bis nach Kriegsende in Norwegen.

Die Behandlung nach ihrer Rückkehr 1952 muss wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Wiedergutmachung stehe ihr nicht zu, da sie an der Universität in keinem Beamtenverhältnis gestanden habe, lautete die Antwort auf ihren Anspruch. Ihre Erfahrungen vor dem Landgericht, das ihre Forderungen durchsetzen sollte, beschrieb von Ubisch als tiefe Demütigung:

„20 Jahre sind eine lange Zeit, aber sie sollten doch wohl nicht so lang sein, dass alle Schandtaten der Nazis vergessen sein sollten. Dass ich je einer Gerichtssitzung beiwohnen würde – und wie es scheint nicht als Klägerin, sondern als Angeklagte -, in der die Nazimethoden abgeleugnet wurden, hätte ich nie geglaubt.”

Erst 1956 erhielt Gertrud von Ubisch 73-jährig die ihr zustehende Wiedergutmachung für die Verfolgungen während der Zeit des Nationalsozialismus und lebte bis zu ihrem Tod 1965 in Heidelberg, wo noch immer das handschriftliche Manuskript ihrer Erinnerungen im Archiv liegt. Trotz der Anerkennung ihrer Verfolgung durch das Kultusministerium nahmen die Naturwissenschaften Gertruds von Ubisch nicht in ihr Personalverzeichnis auf.

Nicht vergeben und vergessen: Die Pflicht der Aufarbeitung

Das 20. Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen und besonders den Gräueltaten unter der Herrschaft des Nationalsozialismus hat der Welt deutlich gemacht, dass einige Dinge nicht in Vergessenheit geraten dürfen, wenn man nicht riskieren will, solche Schrecken noch einmal zu erleben. Dass bei der Erinnerung an diese dunkle Vergangenheit Deutschlands nicht nur die Daten und Statistiken des Krieges und der Opferzahlen eine Rolle spielen, zeigt die Geschichte der Universität Heidelberg von 1933-1945. An einem Ort, der sich mehr als andere der Freiheit der Gedanken verpflichtet fühlt und fühlen muss, wurde fanatisch Ideologien verbreitet, die Wissenschaft vor den nationalsozialistischen Karren gespannt und der Versuch unternommen, eine Generation heranzuziehen, die ganz dem „Ungeist jener Jahre” nacheifern sollte.

Der Versailler Friedensvertrag nach dem Ende des 1. Weltkriegs verzichtete zum ersten Mal auf das „Vergeben und Vergessen” – dafür waren die Folgen des Weltkriegs zu schwerwiegend. Besonders seit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt sich die moderne Geschichtswissenschaft auch mit der Erinnerungskultur und ihrer Ausübung (Denkmäler, Feierlichkeiten).

Heute sind die Professoren von damals längst selbst Geschichte und auch die Studenten, die so bereitwillig dem Führer gefolgt waren, haben keinen Einfluss mehr. Wie soll man die Geschichte der Universität also aufarbeiten? Entlassungen waren unmittelbare Folge des Krieges und des nationalsozialistischen Engagements der Entlassenen, aber damit ist die Verantwortung nicht verloschen. Nur wenn die Geschichten dieser Zeit erzählt werden – in Seminaren, Vorlesungen, Publikationen -, kann die Hoffnung bestehen, dass sich solche Zustände nicht wiederholen und die wissenschaftliche Welt tatsächlich etwas gelernt hat. (Redaktion: Christian Jung)