Die Webseite „Kritische Geschichte. Notizen zur historischen Analyse” wird von ihren Machern politisch bewusst sehr weit links verortet. Ziel der Seite sei es, durch „historische Analyse” die (bestehenden) Verhältnisse von „Ausbeutung” und „Unterdrückung” „überwinden” zu helfen.
Von Jens Paulsen (Universität Heidelberg)
Mehr Wiki als Blog
Formal handelt sich hier viel weniger um einen Blog, als um ein „Wiki”, also eine Seite, die sich bezüglich ihres Aufbaus stark an Wikipedia orientiert, zu der man eine vertiefende Ergänzung sein möchte. Der Unterschied zu dem genannten Vorbild besteht laut Eigenbeschreibung darin, dass hier kein politisch neutraler Standpunkt eingenommen, sondern Geschichte aus „historisch-materialisti-scher” Perspektive betrachtet werde. Explizit wird außerdem darauf verwiesen, dass die Websei¬te in ihrer Darstellung keinen „Anspruch auf Vollständigkeit” erhebt, alle Artikel seien „vor¬läufig” und sollen, gemäß des Prinzips von Wikipedia, von den Nutzern selbst verbessert werden.
Wer steckt dahinter?
Betreut wird die Seite laut Impressum von einem „Arbeitskreis Kritische Geschichte”, bestehend aus vier Personen, über denen nichts weiter in Erfahrung zu bringen war. Die Navigation des „Wikis” orientiert sich im Wesentlichen an der ihres Vorbildes. Die Seite kann nach Stichworten durchsucht werden, zusätzlich sind die Beiträge verschiedenen Rubriken zugeordnet, die einzeln aufgerufen werden können und die dazugehörigen Artikel auflisten. Hier zeigt sich aber ein gewisser Bruch mit der von Wikipedia übernommenen Struktur: abgesehen von nach thematischen Gesichtspunkten gewählten Kategorien wird auch auf Buchrezensionen und Veranstaltungen hingewiesen. In der Kategorie „Medien” finden sich Verweise auf andere Webseiten mit politisch meist ähnlicher Prägung.
Einzeiler und Mehrzeiler
Bei näherer Betrachtung des Inhalts fällt zunächst vor allem dessen spärlicher Umfang auf. Hierauf ist man als Leser durch den Hinweis auf die Vorläufigkeit der Artikel zwar eigentlich vorbereitet, es überrascht dann aber doch, wie wenig auf der Seite, deren Ziel es ja ist, bei Wikipedia dargestellte Themen weiter zu „vertiefen”, tatsächlich steht. Insgesamt finden sich momentan 39 „Artikel”, von denen viele die Bezeichnung aber nicht wirklich verdienen: oft bestehen sie, wie der sechszeilige Eintrag zu Walter Benjamin oder der Einzeiler (!) zum Thema „Tschernobyl”, nur aus wenigen Sätzen, manchmal, wie der „Artikel” über Foucault, nur aus einer Literaturangabe.
Behauptungen werden nicht belegt
Die meisten der längeren Beiträge werden dem Anspruch, eine wie auch immer geartete Bereicherung zu der jeweiligen Wikipedia-Seite darstellen zu wollen, ebenfalls nicht gerecht. Oft sind sie einfach nur kürzer. Diejenigen Textstellen, die tatsächlich von den bei Wikipedia abrufbaren abweichen, sind zu einem großen Teil nicht ausreichend mit Textverweisen versehen, wie es der Anspruch der Seite ja eigentlich verlangen würde, und muten teilweise recht abenteuerlich an. Ein Beispiel hierfür ist die durch nichts belegte Behauptung, die während des Deutschen Bauernkrieges formulierten „Zwölf Artikel von Memmingen” seien „die erste Menschenrechtserklärung der Welt”.
Linke Ergänzung zu Wikipedia
Insgesamt gesehen wird die Homepage dem selbstformulierten Ziel, eine, wie auch immer geartete, Vertiefung von Wikipedia-Artikeln anzubieten, rein inhaltlich kaum gerecht. Selbst wenn man die Zielsetzung, dem als politisch neutral bezeichneten Wikipedia eine politisch sehr linksgerichtete „Ergänzung” zur Seite stellen zu wollen, nicht gleich von vornherein als illegitim verwirft, führt kein Weg an der Feststellung vorbei, dass „Kritische Geschichte” diese Funktion im jetzigen Zustand nicht erfüllt. Es finden sich wenige neue Informationen, und wenn man auf sie stößt, sind sie meist unzureichend belegt.
Konzept könnte funktionieren
Es ist auch fraglich, ob die Homepage sich noch bedeutend weiter entwickeln wird: das Konzept Wikipedia basiert darauf, dass viele Nutzer die Artikel lesen und diese gegebenenfalls verbessern oder neue Artikel schreiben, unzureichend belegte Stellen werden gelöscht oder zumindest als solche kenntlich gemacht. Dass dieses Konzept bei „Kritische Geschichte” genauso gut funktionieren könnte, wird schon dadurch unwahrscheinlich, dass die Seite viel weniger oft besucht wird. Dass nicht ausreichend auf Belege geachtet wird, erschwert das Zustandekommen wirklich lesenswerter Artikel zusätzlich.
(Redaktion: Christian Jung)
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