Workshop der SRH Hochschule Heidelberg

Gruppenfoto SRH1.jpg
Da die Referenten des SRH-Veranstaltung zum „Sexuellen Missbrauch” auf ein Honorar verzichtet hatten, spendete die SRH Hochschule Heidelberg nach dem Workshop mit Unterstützung der Sparkasse Rhein-Neckar/Nord jeweils 1000,- € an die Vereine und Institutionen „Weißer Ring”, Kinderschutz-Zentrum Heidelberg und Innocence in Danger e.V. Das Bild zeigt von links: Prof. Dr. Daniela Hosser (TU Braunschweig), Dr. Christine Bark (Universitätsklinikum Heidelberg), Prof. Dr. Denis Köhler (SRH Hochschule Heidelberg), Rechtsanwalt Thomas R. J. Franz (Weißer Ring), Volker Schuld (Kinderschutz-Zentrum Heidelberg), Dekanin Prof. Dr. Carolin Sutter (SRH Hochschule Heidelberg), Julia Freifrau von und zu Weiler (Innocence in Danger e.V.) und Kripochef Siegfried Kollmar (Polizeidirektion Heidelberg). (Fotos: Christian Jung)

Die SRH Hochschule Heidelberg organisiert seit der Berufung von Psychologie-Professor Denis Köhler im Jahr 2008 immer wieder Workshops zu brisanten Themen der Kriminologie und forensischen Psychologie. Nach einem Workshop zur „Täterforschung” fand nun eine Veranstaltung zum Thema „Sexuellen Missbrauch erkennen und verhindern” statt. In Partnerschaft mit der Polizeidirektion Heidelberg war es der Hochschule ein besonderes Bedürfnis, dieses in den vergangenen Jahrzehnten in der deutschen Gesellschaft tabuisierte Thema zu behandeln.

“Kinderseelen nicht sterben lassen”

In einem Grußwort sagte der Heidelberger Kripochef Siegfried Kollmar, beim sexuellen Missbrauch trete nach aufgeklärten Fällen „viel zu schnell eine Beruhigung” in der Öffentlichkeit auf. Er verwies auf die Problematik der Dunkelziffer, da niemand wisse, wie viele Missbrauchsfälle es überhaupt gebe. „Deshalb müssen wir wachsam sein, denn das Sterbenlassen von Kinderseelen darf uns nicht egal sein, zumal nicht alle Kinder in harmonischen Familien aufwachsen”, sagte Kolmar weiter. Die meisten Täter seien in diesem Bereich des Weiteren „keine Unbekannten”, sondern kämen in der Regel aus dem direkten Umfeld der Opfer. Es gelte, eine neue „Kultur des Hinschauens” zu etablieren.

Dunkelziffer völlig unbekannt

Köhler5.jpg

In seinem Einführungsvortrag betonte Prof. Dr. Denis Köhler, der Begriff des Missbrauchs sei bei der Sexualdelinquenz sehr weit gefasst. Manche Erwachsenen seien schon erregt, wenn sie sich an anderen oder Kinder und Jugendlichen rieben, was strafbar sei. Manche Täter seien zudem fest davon überzeugt, dass ihre Opfer mit den „Misshandlungen”, die die Täter als solche oftmals als „Zärtlichkeiten” ansähen, einverstanden seien. „Wie schon angesprochen ist es völlig unklar, wie hoch die Zahlen von sexuellem Missbrauch in Deutschland sind. Auch beim ‚Hellfeld’, den empirisch nachgewiesenen Fällen sind die Zahlen unterschätzt, da es eine enorme Diskrepanz zwischen Anzeigen und Aburteilungen gibt”, betonte Köhler.

Missbrauchsfälle haben nicht unbedingt etwas mit Pädophilie zu tun

So könne man aus den bekannten Fällen nicht ableiten, ob präventive Maßnahmen wie Veranstaltungen in Schulen einen nachhaltigen Erfolg hätten, auch wenn diese sehr wünschenswert seien. Fest stehe jedoch, dass durchschnittlich jede 10. Frau in Deutschland während ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sei. „Dabei gilt es festzustellen, dass nach unseren Forschungen nicht jeder Täter ‚kernpädophil’ ist. Pseudo-Liebesbeziehungen zu Kindern entstehen oftmals aus der Tatsache, dass ein sozial inkompetenter Mann – sehr selten sind Frauen ‚betroffen’ – in seiner Altersklasse keinen Sexualpartner findet und zu Kindern schneller Interaktionen aufbauen kann. So wird deutlich, weshalb der soziale Nahbereich eines Opfers eine so enorme Rolle spielt, wenn man bei bekannt gewordenen Missbrauchsfällen die Täter sucht,” sagte Köhler, der die Missbrauchsfälle in den Kirchen oder Jugendeinrichtungen nur bedingt auf Pädophilie zurückführt.

Was ist sexueller Missbrauch?

Unter die Bezeichnung fällt jeder sexuelle Kontakt eines Jugendlichen oder Erwachsenen zu einer (m) Minderjährige(n). Als Sexualdelinquenz und sexuelle Straftaten werden Handlungen verstanden, die gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen gerichtet sind. Darunter fallen alle nicht einvernehmlich erfolgten sexuellen Kontakte durch Vergewaltigung oder andere sexuelle Übergriffe sowie das nicht einvernehmliche sexuell motivierte Berühren anderer Personen oder das öffentliche Entblößen von Geschlechtsteilen, etwa um sich sexuell zu stimulieren. Darunter zählen ebenso sexuelle Übergriffe durch jugendliche oder erwachsene Täter bei deutlich jüngeren Kindern als Opfern (auch dann, wenn scheinbar Einvernehmen besteht).

Unterscheidung in Vergewaltigungstäter und sexuelle Missbrauchstäter

Statistisch gesehen sind demnach schwere Fälle des Kindesmissbrauchs mit Tötungsdelikten und völlig unbekannten Tätern sehr selten, auch wenn die Öffentlichkeit durch die Medienberichterstattung und spezielle TV-Sendungen den Eindruck hat, dass gerade diese Fälle „immer häufiger werden”. Sexualstraftäter seien eine sehr heterogene Gruppe, die hinsichtlich ihrer Motive, der Persönlichkeit und der psychischen Störungen immer gesondert betrachtet werden müssten. Deshalb gebe es eine grobe Unterteilung in Vergewaltigungstäter und sexuelle Missbrauchstäter. Bei sexuellem Missbrauch im sozialen Nahbereich ist es nach Worten Köhlers außerdem schwierig, gegen „Barrieren des Schweigens” und die „Geheimhaltung” anzukämpfen. Denn Eltern könnten sich zum Beispiel bei Mitteilungen ihres Kindes schwer vorstellen, dass der ansonsten liebevolle Onkel eine „sexuelle Abweichung” habe und sich deshalb gerne mit seinen Neffen oder Nichten treffe.

Bei Verdacht: Ruhe bewahren!

i-febef7c02f4d4111b8af4864fa4f8b4c-Hosser2-thumb-100x115.jpg

Die Psychologin und international renommierte Gutachterin Prof. Dr. Daniela Hosser von der TU Braunschweig führte aus, sexuell missbrauchte Opfer verarbeiteten das für Außenstehende nicht immer nachvollziehbare Geschehen auf vielfältige Weise. Keine Seltenheit seien in diesem Zusammenhang Selbstbestrafungen wie Kratzen, Brand- und Schnittwunden sowie ein plötzlicher sozialer Rückzug. Es gelte bei Verdachtsmomenten Ruhe zu bewahren und gezielt zu handeln, da ansonsten die gerichtsverwertbare Aufklärung eines Falles gefährdet sei. Deshalb gelte es, kurz mit Opfern zu sprechen, aber beispielsweise bei Kindern vor Einschaltung von Psychologen und der Justiz keine wiederholten Befragungen durchzuführen oder sogar schon mit Therapien zu beginnen.

Suggestionen führen zu nicht gerichtsverwertbaren Aussagen

Denn ein in der Praxis feststellbares zu schnelles Handeln führe ebenso zu Suggestionen in späteren Aussagen und Befragungen, da „mitunter Informationen in Aussagen eingefügt werden, die es so nicht gegeben hat und eine Gerichtsverwertung verhindert. Eine Bewertung durch die Aussagepsychologie mit offenen Frageformen ist dann nicht mehr möglich”, sagte Daniela Hosser. Die Expertin riet außerdem, mutmaßliche Täter nie mit Vorwürfen zu konfrontieren, da diese in der Folge ihre Opfer noch weiter unter Druck setzen könnten.

Feindliche und misstrauische Haltung zur Welt

i-82dc24ea4c5beae55932ba0a523625b5-Bark1-thumb-100x114.jpg

Die Psychiaterin Dr. Christine Bark vom Universitätsklinikum Heidelberg sprach über „Die Opfer von sexuellem Missbrauch: Traumatisierung und
entwicklungspsychopathologische Folgen” beleuchtete anhand von zwei Praxisbeispielen, wie durch eine gezielte Betreuung Traumata behandelt werden können. Es gelte dabei fortwährend, ein Vertrauensverhältnis besonders bei sexuell missbrauchten Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Bei diesen seien eine feindliche und misstrauische Haltung zur Welt und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Leere zu beobachten. Ein chronisches Gefühl der Nervosität wie beim ständigen Bedrohtsein werde dabei ständig festgestellt.

i-ea316bc4d3918dd2038cb837f4be17b9-Weiler1-thumb-100x128.jpg

Julia Freifrau von und zu Weiler (Geschäftsführerin Innocence in Danger e.V.) stellte die Präventionsarbeit ihres Vereins vor. Sie riet wegen einer in Deutschland feststellbaren Überlastung der Justiz bei Verdachtsmomenten sofort Beratungsstellen aufzusuchen. Opfer bräuchten vor allem „Erwachsene, die sie verstehen, Erwachsene, die Ruhe bewahren können, Nachsorge, Erwachsene, die hinsehen und eingreifen und die Aufklärung der Taten.” Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen und der Kampf gegen Kinderpornografie dürfe keine „punktuelle Angelegenheit” sein, sondern müsse gesamtgesellschaftlich angegangen werden.

Opfern wird schnell geholfen

In einer abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Volker Schuld (Kinderschutz-Zentrum Heidelberg), Andreas Schlett (Direktor am Amtsgericht Wiesloch), Rechtsanwalt Thomas R. J. Franz (Weißer Ring) und ein Vertreter der Kriminalpolizei Heidelberg, wie effektiv der Opferschutz in der Rhein-Neckar-Region ist. Dabei wurde hervorgehoben, dass durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Hilfseinrichtungen, der Polizei und Justiz in den vergangenen Jahren viele Fälle erfolgreich aufgeklärt werden konnten, auch wenn immer der Schutz der Opfer im Mittelpunkt stand, was wie schon in den Vorträgen angesprochen, gerichtsverwertbare Aussagen erschwere. Zeitliche Verzögerungen bei der Aufklärung, wie von Julia von Weiler angesprochen, konnten die Diskussionsteilnehmer für die Metropolregion und besonders für Heidelberg und den Rhein-Neckar-Kreis nicht bestätigen.

Passend zum Thema (Lesetipp):
Tatort Internet: Bereits 2 “Täter” geoutet? (Update) – (netzpolitik.org, 12.10.2010 – Jörg-Olaf Schäfers)

Kommentare (3)

  1. #1 Frank
    Oktober 13, 2010

    Danke für die kurze Zusammenfassung des Workshops. Leider wird gerade dieses Thema (verständlicherweise) oft sehr emotional diskutiert und für politischen Agitation genutzt. Es ist teilweise schwierig dazwischen noch die Fachinformationen zu finden.

    Aktuell sehe ich beispielsweise die in den Linktipps erwähnte RTL II Sendung „Tatort Internet“ sehr kritisch. Neben den Anreiz zum lostreten einer medialen Hetzjagt, wird auch völlig außer Acht gelassen, dass der meiste Missbrauch von Kindern im direkten Familienumfeld passiert.

    In Hinblick auf die Referentin von Innocence in Danger hätte ich mir jedoch etwas Kritik gewünscht. Natürlich nicht in ihrer Absicht, dem Schutz von Kindern, sondern eher in ihren angestrebten Mitteln und dem Hintergrund die Innocence in Danger:

    Netzsperren (unwirksam, unprobat & lediglich ein Feigenblatt)
    https://www.netzpolitik.org/2010/im-kampf-gegen-kinderpornographie-kann-es-nicht-schnell-genug-gehen-ausser-fur-das-bka/

    politischer Hintergrund (starke Verflechtung mit der CSU/CDU)
    https://www.stefan-niggemeier.de/blog/phoenix-und-die-kinderporno-expertin/

  2. #2 Christian Jung
    Oktober 13, 2010

    @Frank: Ich sehe persönlich die RTL-Sendung und die “merkwürdig anmutenden” Aktivitäten des Vereins “Innocence in Danger” in diesem Zusammenhang ebenfalls kritisch, deshalb habe ich den Lesetipp-Link gesetzt. Als der Workshop stattfand (vor etwa zwei Wochen), wurde jedoch nicht über die TV-Sendung gesprochen, die ja “kurzfristig” ins Programm genommen wurde, aber ein US-Vorbild hat. Ich halte das Format für kontraproduktiv, wie auch indirekt aus dem Bericht hervorgeht, wenn man an den sozialen Nahbereich der Opfer denkt.

  3. #3 Christian Jung
    Oktober 13, 2010

    Bitte nur sachliche Kommentare in meinem Blog! – Aus diesem Grund habe ich gerade zwei komplett gleiche Kommentare eines Lesers gelöscht.