Die Kriege führten aber auch zu einer Verlagerung der chemischen Forschung. Während des Ersten Weltkriegs nahm unter anderem die Bedeutung von Arsen-, Antimon- und Bismut-Verbindungen zu, während die von Aluminium, Gallium, Indium und Thallium abnahm. Das Interesse an Arsen-Verbindungen erklärt sich vermutlich durch die verschiedenen im Ersten Weltkrieg entwickelten Arsen-Kampfstoffe. Während des Zweiten Weltkrieges wurden Stickstoffverbindungen und Alkalimetalle zunehmend uninteressant, während Schwefel, Bor, Phosphor und Silicium an Interesse gewannen. Phosphorverbindungen wurden vor allem relevant, als ihr Rolle in alltäglichen Anwendungen und als neuartige Insektizide und andere industrielle Materialien bekannt wurde.

Die Lieblinge der Chemiker

Interessanterweise, waren und sind die Chemiker recht konservativ bei der Wahl ihrer Ausgangsstoffe. Die meisten Substrate werden nur ein einziges Mal als Ausgangsstoff verwendet; die “Lieblingsstoffe” jedoch immer wieder. Ein möglicher Grund ist sicher die leichte Verfügbarkeit dieser Substanzen. In der Tat umfassen die meisten Reaktionen typischerweise zwei Ausgangsstoffe: eine weniger bekannte Substanz und einen “Klassiker” aus dem Synthesewerkzeugkasten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren vor allem starke Säuren und Basen beliebt, später vor allem organische Substanzen. Einer der Topstars ist Essigsäureanhydrid, das 1852 synthetisiert wurde und seit 1880 besonders gern für Acetylierungsreaktionen verwendet wird. Eine Acetylierung ist der Austausch von einem Wasserstoffatom durch eine Acetylgruppe (C2H3O), wobei entsprechende Verbindungen entstehen (zum Beispiel Aceton, Heroin oder Himbeerketon, die Hauptgeruchskomponente von Himbeeren).

Wie geht’s weiter?

Alles in allem wirft die Studie die Frage auf, warum die Chemie trotz gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Störfaktoren eine so stabile Wachstumsrate von 4,4 Prozent beibehält? Die Forscher basteln derzeit an formalen Modellen, um diese Frage weiter zu untersuchen. Ich bin gespannt!

Exploration of the chemical space and its three historical regimes.
EJ Llanos, W Leal, DH Luu, J Jost, PF Stadler, G Restrepo.
Proc Natl Acad Sci USA, pii: 201816039, 2019

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Kommentare (4)

  1. #1 Spritkopf
    19. Juni 2019

    Jedes Jahr dehnt sich das “chemische Universum” um 4,4 Prozent aus, das heißt, jedes Jahr werden 4,4 Prozent neue chemische Strukturen entdeckt; davon etwa die Hälfte durch Synthese. Und das relativ konstant seit 1800.

    Interessanter Aspekt, der mir nicht bewusst war. Vielen Dank für den Artikel.

    Alles in allem wirft die Studie die Frage auf, warum die Chemie trotz gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Störfaktoren eine so stabile Wachstumsrate von 4,4 Prozent beibehält?

    Vielleicht, weil die Zahl der Chemiker seit vielen Jahren einigermaßen konstant ist (nur eine Vermutung von mir) und diese nur eine bestimmte Anzahl von Substanzen pro Jahr synthetisieren können, obwohl der Pool von möglichen Ausgangsstoffen stetig größer wird?

    • #2 Franziska Hufsky
      19. Juni 2019

      Vielleicht, weil die Zahl der Chemiker seit vielen Jahren einigermaßen konstant ist (nur eine Vermutung von mir) und diese nur eine bestimmte Anzahl von Substanzen pro Jahr synthetisieren können, obwohl der Pool von möglichen Ausgangsstoffen stetig größer wird?

      Durchaus möglich!

  2. #3 RPGNo1
    19. Juni 2019

    Da kommen Erinnerungen hoch, die lange unter einen dicken Staubschicht verschwunden waren. Besonders die Organometalle haben etwas geweckt, weil sie während meiner Studienzeit am Institut für Organische Chemie oft diskutiert wurden.

  3. #4 Kinseher Richard
    9. Juli 2019

    Zu Arsen, Antimon, Bismut gibt es eine interessante Entwicklung:

    Wenn die Chinesen früher Magenschmerzen hatten – die von einem Drachen stammten, dann nahm man etwas fein zerstoßenes Realgar (Arsenverbindung) ein und der Drache flog davon. (Nahm man zuviel davon, dann flog auch die Seele davon – und man starb.) (Quelle: chinesische Märchen)
    Anfang des 20. Jhdts. nahm man Antimonverbindungen bei starken Magenschmerzen.
    Seit man weiß, dass Magenschmerzen durch Heliobacter ausgelöst werden können – gibt man Bismut-Verbindungen zur ergänzenden Behandlung bei hartnäckigen Fällen.