Wie lassen sich museale Exponate im Zeitalter von „Web 2.0″ publikationsoptimiert und effektiv digitalisieren und präsentieren? Mit dieser Frage befasst sich seit 2009 die AG Digitalisierung des Museumsverbands Sachsen-Anhalt im Rahmen von „museum-digital”.
Ein Gastbeitrag von Susanne Kopp-Sievers, Stefan Rohde-Enslin und Christian Reinboth.
Die Arbeitsgemeinschaft Digitalisierung des Museumsverbands Sachsen-Anhalt wurde im Januar 2009 im Kreismuseum von Bitterfeld mit der Zielstellung gegründet, den 230 Museen des kleinen Bundeslandes – die jährlich immerhin über 2,8 Millionen Besucher zu verzeichnen haben – einen Weg zu eröffnen, digitalisierte Exponate auf einer gemeinsamen Internet-Plattform zu präsentieren, die mittel- bis langfristig auch in Kulturportale wie beispielsweise die Deutsche Digitale Bibliothek und die Europeana übernommen werden sollen. Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist das Web-Portal www.museum-digital.de. Die von der AG entwickelte Software ist mittlerweile bereits in mehreren Bundesländern im Einsatz – insgesamt können über museum-digital fast 9.000 Exponate aus 175 Museen – primär aus Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz – „virtuell besichtigt” werden.
In diesem Gastbeitrag für das Webblog zum 48. Deutschen Historikertag wollen wir das Web-Portal vorstellen, über unsere bisherigen Projekterfahrungen berichten und einen kleinen Ausblick auf die Zukunft der Digitalisierungsbemühungen im Museumsbereich geben.
Was sind Digitalisate?
Viele Museen, die im Internet aktiv werden, stellen mehr oder weniger professionelle Fotos ihrer Ausstellungsstücke im Netz – „echte Digitalisate“, wie sie im Rahmen von museum-digital erfasst werden, bestehen jedoch aus mehr als „nur” einer Fotografie und einem hierzu passenden (Kurz-)Beschreibungstext. Angelehnt an die von Interpol geforderten Objektbeschreibungen müssen neben einer Fotografie mindestens acht beschreibende Informationen vorliegen: Das Museum und die Sammlung, in der sich das Objekt befindet, die Inventarnummer des Objekts, die Objektart und Objektbezeichnung, eine möglichst allgemeinverständliche Beschreibung, die genauen Maße des Objekts sowie entweder das Material (z.B. Gips, Holz etc.) oder alternativ die Technik der Herstellung (z.B. Ölgemälde, Eisenkunstguss etc.). In museum-digital können zudem weitere Angaben (z.B. „gefunden am”, “veröffentlicht in” etc.) sowie Links und Literaturverweise erfasst werden.
Von besonderer Bedeutung ist dabei das Tagging der Objekte, d.h. die Verknüpfung der Digitalisate mit zugehörigen Stichwörtern wie etwa „Eisenkunstguss“, „Ölgemälde” oder „Bergbau“. Diese Tags ermöglichen es virtuellen Museumsbesuchern, thematisch verwandte Exponate zu entdecken und – je nach eigener Interessenlage – neue, museumsunabhängige Zusammenstellungen von Exponaten zu kreieren und wieder zu verwerfen.
Warum sollten Museen ihre Objekte digitalisieren?
Eines der wesentlichen Motive für eine derartige Digitalisierung von Museumsobjekten ist der Bewahrungs- und Bildungsauftrag der Museen. Katastrophen wie der Brand der Anna-Amalia-Bibliothek oder der Einsturz des Kölner Stadtarchivs haben in den letzten Jahren verdeutlicht, wie wichtig eine “digitale Sicherung” von Kulturgut sein kann.
Über die Digitalisierung öffnet das Museum zudem die eigenen Sammlungen gegenüber Personenkreisen, welche die Einrichtung selbst vermutlich nie in persona besuchen würden – vom Hobby-Geologen in Japan über den Kunstfreund in Usbekistan bis hin zum Schüler in den USA, der im Netz für eine Arbeit über die Geschichte des Bergbaus recherchiert. Hinzu kommt die schon erwähnte Möglichkeit, museumsübergreifende Themen-Sammlungen zu erstellen – so kann beispielsweise ein an historischem Feuerwehr-Equipment interessierter Besucher von museum-digital.de über die Eingabe passender Suchbegriffe innerhalb von Sekunden eine zuvor nicht existente „Feuerwehr-Sammlung” mit Ausstellungsstücken aus allen beteiligten Museen zusammenstellen.
Aber auch für die Museen selbst hat eine gut gepflegte Digitalisate-Sammlung im Internet zahlreiche Vorteile. So lassen sich leichter passende Kooperationspartner für Ausstellungen finden (“In welchem Museum in der Nähe gibt es noch Gemälde von Wilhelm Pramme?”), auch lassen sich Ansprechpartner für fachliche Fragen schneller ermitteln (“Welche Bezeichnung verwenden eigentlich andere Museen für vergleichbare Ausstellungsstücke?”). Ein digitales Publikationsprojekt bietet den beteiligten Museen zudem die Chance, Fehler in den bereits vorhandenen Kartei-Archiven oder Inventardatenbanken auszumerzen, in denen man leider oft veraltete Informationen sowie unverständliche Texte und Tippfehler findet.
Die Erfahrung zeigt, dass viele Kuratoren und Museumsmitarbeiter mit der digitalen Publikation neben den offensichtlichen Vorteilen die große Sorge verbinden, Besucher könnten durch die Möglichkeit, die Exponate in digitaler Form zu betrachten, von einem Besuch vor Ort abgehalten werden. Hierzu liegen mittlerweile interessante Studien aus den USA vor, die deutlich zeigen, dass die Möglichkeit, sich detaillierte (Vorab-)Informationen über Exponate im Internet anzusehen, Interessenten keineswegs von einem Besuch abhält, sondern im Gegenteil eher dazu motiviert. Von einem Negativ-Effekt für beteiligte Museen ist daher nicht auszugehen, auch wenn genauere Untersuchungen zur “Anlockwirkung” von digitalen Exponaten im deutschen Sprachraum derzeit noch ausstehen.
Wie funktioniert museum-digital?
Bei museum-digital handelt es sich im Wesentlichen um eine Reihe kooperativ betriebener Digitalisate-Datenbanken, an der mittlerweile Museen aus Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Ost-Westfalen Lippe, Thüringen und Berlin beteiligt sind (eine Sonderdatenbank wird für die Reiss-Engelhorn-Museen gehostet). Im Gegensatz zu Museumsführern und Katalogen, mit denen sich nur eher kleine Personenkreise erreichen lassen, soll museum-digital allen Kulturinteressierten die Möglichkeit bieten, virtuell in die reichhaltigen Sammlungen der beteiligten Museen einzutauchen. Die hierfür eigens erstellte Software basiert ausschließlich auf Open-Source-Programmen wie php, mySQL und fpdf und könnte theoretisch bis zu einer Milliarde digitalisierter Museumsobjekte erfassen. Sie wird interessierten Museen in allen teilnehmenden Bundesländern kostenfrei zur Verfügung gestellt und ist darauf ausgelegt, auch von technisch weniger qualifizierten Mitarbeitern bedient zu werden.
Als “Brücke” zur Europeana, einer von der EU finanzierten Datenbank für europäisches Kulturerbe, dienen die Verwendung des museumdat-Dateiformats sowie eine intensive Kooperation mit dem ATHENA-Projekt (Access to cultural heritage networks across Europe). Auf diese Weise wird es auch für kleine, personal- und finanzschwache Museen möglich, in großen Portalen wie der genannten Europeana oder der sich derzeit in Planung befindlichen Deutschen Digitalen Bibliothek vertreten zu sein, wobei die Museen stets die volle Kontrolle über “ihre” Objektinformationen behalten.
Ergänzende (beispielsweise biographische) Informationen zu den Digitalisaten werden halbautomatisch aus der Wikipedia oder der Deutschen Nationalbibliothek eingebunden. Für Archivierungszwecke lässt sich zu jedem in der Datenbank erfassten Objekt ein einseitiges A4-Datenblatt im PDF-Format generieren, das ausgedruckt auch als Informationsblatt für Besucher oder zur eigenen “Besuchsvorbereitung” genutzt werden kann.
Bisherige Erfahrungen und ein kleiner Ausblick
Erwartungsgemäß taten sich im Verlauf des Projekts zahlreiche Probleme auf, die jedoch von den beteiligten Museen getreu dem „Gründungsmotto” der AG Digitalisierung „Klein anfangen – stetig ausbauen” mit viel Elan angegangen wurden. Insbesondere mussten wir feststellen, dass es neben Zeit und Geld in vielen Museen an professionallem Fotografie-Equipment und dem nötigen Know-How zur Erstellung guter Objektfotos fehlt, zudem sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht im Schreiben „internettauglicher”, d.h. knapper und an die Allgemeinheit gerichteter Texte geschult. Hinzu kommt, dass viele Museen eher wenig Datenbank-Erfahrungen mitbringen – und dass dort, wo bereits mit Datenbanken gearbeitet wird, teilweise inkompatible Systeme parallel zueinander im Einsatz sind.
Die bisherigen, durchweg positiven Erfahrungen motivieren uns allerdings trotz aller Probleme zur Fortführung der Arbeit. So konnten über museum-digital eine ganze Reihe fachlicher Kontakte zwischen den beteiligten Museen vermittelt werden, zudem trugen zahlreiche Hinweise sowohl von Fachleuten als auch von Laien erheblich zur inhaltlichen Verbesserung der Objektbeschreibungen bei. Positiv anzumerken ist ebenfalls, dass die Formular- und E-Mail-Funktionen („Haben Sie weitere Informationen zu diesem Objekt?”) entgegen aller Befürchtungen im Vorfeld nicht für Spam oder Unsinn missbraucht, sondern tatsächlich nur für inhaltlich wertvolle Beiträge genutzt wurden.
Die steigende Anzahl der von den Museen autonom eingepflegten Objekte, die zudem erkannbar professioneller beschrieben und fotografiert werden, sowie eine weitere Förderung durch das Land Sachsen-Anhalt und der Einstieg des Museumsverbands von Rheinland-Pfalz in das Projekt, lassen uns derzeit positiv in die Zukunft blicken. Nachdem im Juli diesen Jahres der erste Export von Objektdaten in die Europeana erfolgreich in die Wege geleitet werden konnte, wird es in den kommenden Monaten vor allem darum gehen, weitere faszinierende Sammlungen für das Portal zu erschließen.
Übrigens: museum-digital ist auch auf Facebook und Twitter zu finden – darüber hinaus führt unser Team unter https://www.museum-digital.de/blog/ auch ein Projekt-Weblog.
Susanne Kopp-Sievers koordiniert als Geschäftsführerin des Museumsverbands Sachsen-Anhalt e.V. die AG Digitalisierung. |
Dr. Stefan Rohde-Enslin ist promovierter Historiker, arbeitet im Berliner Institut für Museumsforschung und ist für die fachliche Betreuung von museum-digital.de zuständig. |
Christian Reinboth befasst sich als Wirtschaftsinformatiker seit Jahren ehrenamtlich mit dem Thema Museum 2.0 und bloggt im „Frischen Wind”. |
(Redaktion: MS/CJ)
Kommentare (4)