Nun ist es also passiert. In der renommierten Medizinzeitschrift The Lancet ist vor wenigen Wochen eine Studie erschienen, die neue Evidenz für die Wirkung der Homöopathie liefert!
Wirklich? Nein, natürlich nicht. Aber was will uns dann die Schlagzeile dieser Pressemeldung suggerieren, die Mitte November in die Welt gesetzt wurde?
The Lancet – Neue Evidenz für die Wirkung der Homöopathie
Urheber der irreführenden Pressemeldung war der Betriebswirt und PR-Beauftragte in Sachen Homöopathie Claus Fritzsche, laut Eigenangaben Spezialist für die “Vermarktung von erklärungsbedürftigen Produkten an Geschäftskunden”. Hier geht es also offensichtlich um PR und Stimmungsmache, nicht um Wahrheit oder wenigstens wissenschaftliche Redlichkeit. Was aber steckt nun dahinter? Ein klein wenig Licht ins Dunkel bringt die Zusammenfassung von Fritzsches Pressemeldung, die behauptet:
Zwei neue Studien widerlegen die von der medizinischen Fachzeitschrift
THE LANCET 2005 aufgestellte These, Homöopathie beruhe allein auf
Placeboeffekten.
Aha. Wir kommen der Sache näher. Es geht also wieder einmal darum, die als “Shang-Studie” oder “Egger-Studie” bekannte Publikation zu diskreditieren, also jene vielzitierte und in Homöopathenkreisen verhasste Metaanalyse der Homöopathie, die eine Arbeitsgruppe rund um Shang und Egger 2005 im Lancet publizierte. Dazu passt auch der Titel des Blogpostings, das uns Fritzsche parallel zu seiner Pressemeldung servierte:
The Lancet & Homöopathie: 2 Studien weisen auf grobe Fehler der Meta-Analyse von Shang et al. 2005 hin
Ist wenigstens diese Kurzversion richtig? Wie sich herausstellt: Nein. Sie ist ebenso irreführend wie der Titel der Pressemeldung.
Worum geht es genau? Dazu ein kurzer Rückblick:
Die Egger-Metaanalyse
hatte 110 homöopathische Studien mit ebensovielen konventionellen
Studien zu denselben Indikationen verglichen und folgendes gefunden:
21 homoeopathy trials (19%) and nine (8%) conventional-medicine trials
were of higher quality. In both groups, smaller trials and those of
lower quality showed more beneficial treatment effects than larger and
higher-quality trials. When the analysis was restricted to large trials
of higher quality, the odds ratio was 0.88 (95% CI 0.65-1.19) for
homoeopathy (eight trials) and 0.58 (0.39-0.85) for conventional
medicine (six trials).
Da das Konfidenzintervall (CI) für das odds ratio
(OR) der großen und qualitativ hochwertigen Homöopathiestudien von 0,65
bis 1,19 reicht, also den Wert 1,00 einschließt, kann die Nullhypothese
(“Homöopathie hat keine über Placebo hinausgehende Wirkung”) auf dem
5%-Niveau nicht abgelehnt werden. Mit anderen Worten:
This finding is compatible with the notion that the clinical effects of homoeopathy are placebo effects.
In
der erweiterten scientific community erzeugte die Veröffentlichung
dieser Studie etwa den Nachhall eines umfallenden Sacks Reis in China.
Medizinische Statistiker hatte also gezeigt, dass geschütteltes Wasser
so gut wirkt wie Wasser – so what?
Bei den Homöopathen dagegen
herrschte Weinen und Wehklagen. Acht Jahre lang hatten Sie stets
triumphierend die Metaanalyse von Linde et al (1997) zitiert, die zum
Schluss gekommen war, die Placebohypothese könne die Daten nicht
erklären. Und deren Schlussfolgerung Klaus Linde selbst später mehrfach
relativiert hatte – was Homöopathen geflissentlich zu ignorieren pflegten und pflegen, ebenso wie sämtliche anderen systematischen reviews, die zu einem für die Homöopathie ungünstigen Resultat gekommen waren.
Nachdem
die Phase des Wehklagens vorbei war, schritten die Homöopathen zum
Gegenangriff. Zwei besonders gewitzte homöopathische Ärzte, A. L. B.
Rutten und C. F. Stolper, wussten schon Anfang 2006 zu berichten, “‘Proof’ against homeopathy in fact supports homeopathy”.
Diese Botschaft ihres Leserbriefs durch handfeste Daten zu untermauern,
beschäftigte sie anscheinend die nächsten zwei Jahre. Das Ergebnis
erschien vor wenigen Wochen in der Zeitschrift Homeopathy und trägt jetzt den weniger reißerischen Titel “The 2005 meta-analysis of homeopathy: the importance of postpublication data”.
Aber wie das so ist mit Homeopathy und ähnlichen Homöopathie-Zeitschriften: Kaum jemand nimmt sie ernst,
außer Homöopathen natürlich. Der Grund dafür ist unschwer zu erraten.
Es handelt sich zwar um Fachzeitschriften, aber nicht um
wissenschaftliche Zeitschriften. Ihre Aufgabe ist es, die Frohbotschaft
der Homöopathie zu verkünden, und ihr peer-review Verfahren sorgt
dafür, dass auch junk-science
das Licht der Druckerpresse erblicken darf, die in einem halbwegs
anständigen Journal nur müde belächelt würde. In den Worten von Chris
Lee von Ars Technica:
Homeopathy is not science. The journal has a negative scientific value
because it does not distribute scientific knowledge, but rather
disseminates wishful thinking about reality. It is the very essence of
anti-science.
Ein wichtiger Kritikpunkt an der Egger-Studie in der Arbeit von Rutten und Stolper war folgender:
Cut-off values for larger trials were inexplicably different for homeopathy (n=98) and conventional medicine (n=146). This suggests post-hoc hypothesizing.
Rutten
und Stolper grübeln also darüber nach, warum die Mindestteilnehmerzahl,
die die Egger-Studie für “larger trials” verlangt hatte, bei
Homöopathie und bei konventioneller Medizin unterschiedlich groß war.
Sie halten das für “unerklärlich” und folgern daraus, dass Eggers Team
post-hoc, also erst im Nachhinein, diese Schranken festgelegt hatten,
um das gewünschte Homöopathie-feindliche Ergebnis zu erhalten. Ein
wahrhaft schwerwiegender Vorwurf, den man nicht leichtfertig machen
sollte, wenn man dafür nicht gute Gründe hat.
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