Lecks gehören zu den großen Gefahren der bemannten Raumfahrt. Entsprechend vorsichtig geht man mit dem Thema um. Bisher ist es nur einmal zu einem tragischen Unfall durch ein Leck in der Raumfahrt gekommen, als sich in der Soyuz-11 vor dem Wiedereintritt ein Ventil öffnete und nicht mehr rechtzeitig geschlossen werden konnte. Aber Ventile lassen sich kontrollieren, testen und verbessern.

Das ist anders bei Einschlägen von Trümmerstücken und Mikrometeoriten. Die treten zufällig auf und können nicht geplant werden. Natürlich versucht man die Wände und Scheiben von Raumschiffen möglichst robust zu bauen, so dass sie nicht durchschlagen werden können, aber auch das hat seine Grenzen. Wenn es doch einmal ein Stück schaffen sollte, die Außenhaut eines Raumschiffs zu durchschlagen, dann hat man ein Loch. Meistens wird es unmöglich sein das Loch zu finden und von Hand zu verschließen. Dann bleibt nur noch die Evakuierung und Versiegelung des Bereichs mit dem Loch, wie nach der Kollision von Progress M-34 mit dem Spektr-Modul der Raumstation Mir. Wenn das nicht geht, hat man ein ernsthaftes Problem. Druckanzüge tragen Raumfahrer üblicherweise nur bei Start- und Landemanövern. (Und auch das erst nach den tödlichen Unfällen.)

Es gibt nun immer wieder Versuche Materialien zu finden, die Löcher selbstständig wieder verschließen können. Die Universität Michigan forscht daran in Zusammenarbeit mit der NASA und hat letzte Woche neue Ergebnisse veröffentlicht. Der Plan ist eine doppelte Wand zu benutzen und in die Lücke eine Chemikalie zu füllen, die bei einem Leck durch Polymerisation eine feste Verbindung bildet. Neu ist bei dem Verfahren, dass dieser Prozess nur wenige Sekunden in Anspruch nimmt.

Die Idee an sich ist alt, aber man hat immer das Problem, dass die Flüssigkeit nicht vorzeitig fest wird. Sie darf erst fest werden, sobald ein Leck auftritt und dann möglichst sofort. Bisher verfolgte man den Ansatz, dass man zwei unterschiedliche Chemikalien verwendet, die erst bei Kontakt fest werden. Die verpackt man dann in Kapillaren oder kleine Kügelchen im Material. Wenn die Wand beschädigt wird, dann vermischen sich beide Komponenten und härten aus. Oder man verpackt einen Katalysator, der erst durch die Beschädigung mit dem Monomer zusammen kommt, dass das polymerisieren soll.

Monomere sind die Molekülbausteine, aus denen Polymere bestehen. Sie haben prinzipiell die Möglichkeit sich zu langen Ketten zusammen zu finden und tun das unter bestimmten Umständen oder zusammen mit bestimmten Stoffen auch. Das funktioniert, dauert aber zu lang.

Das neue Verfahren nimmt nun einen ganz anderen Stoff um die Polymerisation in Gang zu bringen: Den Sauerstoff in der Luft. Wenn ohnehin Luft ausströmt, dann wird auch genug Sauerstoff für den Prozess vorhanden sein. Es mussten aber die richtigen Chemikalien gefunden werden, denn es kann auch passieren, dass solche Reaktionen durch zu viel Sauerstoff gehemmt werden. Wer die chemischen Details lesen will, findet sie oben in dem Paper. Ich bin kein Chemiker und werde nicht versuchen sie hier wiederzugeben.

Jedenfalls hat man eine ganze Reihe unterschiedlicher Mischungen ausprobiert, um zu verhindern, dass zu viel Sauerstoff die Reaktion hemmt. Schließlich fand sich ein passende Kandidat. Getestet hat man ihn dann mit Gewehrkugeln. Wobei sich die Chemiker dafür entschuldigten, dass aufgrund des anspruchsvollen Versuchsaufbaus eine Infrarotspektroskopie des Vorgangs nicht möglich war. In den etwas zivileren Versuchen hat man noch versucht, den Verlauf der chemischen spektroskopisch Reaktion zu verfolgen.

Von den Gewehrversuchen gibt es ein ziemlich nichtssagendes Video. Es zeigt den Einschlag der Gewehrkugel und die Tatsache, dass die Flüssigkeit in dieser Formulierung nicht heraus spritzt, sondern schon in den ersten Millisekunden polymerisiert. Ohne einen Vergleich mit dem anderen Fall ist das Video aber sinn- und witzlos.

Realistisch ist der Versuchsaufbau noch nicht. Zum einen ist das Geschoss mit nur einem Kilometer pro Sekunde sehr langsam für einen Meteoriten. Ein zehnmal schnelleres Geschoss würde wohl viel mehr Energie in der Scheibe deponieren. Ob dann die Chemie noch funktioniert, wäre zu klären. Zum anderen fehlen das Vakuum und der Druckunterschied der beiden Seiten. Man wird wohl die Leichtgaskanonen aus dem (rein metaphorischen) Schrank holen müssen um die Technik realistischer zu testen. Ich wünsche viel Erfolg und wenig böse Überraschungen.

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Kommentare (4)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    1. September 2015

    Abo;-)

  2. #2 rolak
    1. September 2015

    ..es geht eben nichts über wohldressierte nanoAssembler…

    • #3 wasgeht
      1. September 2015

      Ja, aber noch sind sie unzureichend domestiziert.

    • #4 rolak
      1. September 2015

      unzureichend

      Im Reiche der Technk, ja – doch im Reiche des Biologischen funktioniert das schon ziemlich gut. Auch wenn es noch ein weiter Weg ist, die Richtung dürfte stimmen.