Ich habe immer noch keinen Überblick über den Abhörskandal. Es kommen ja auch gefühlt jeden zweiten Tag neue Enthüllungen hinzu. Kann man inzwischen davon ausgehen, dass sämtliche digitale Kommunikation, also Metadaten und Inhalte, von mindestens einem, wahrscheinlich mehreren Nachrichtendiensten abgehört, zumindest analysiert und zum Teil kurzzeitig und in “Verdachtsfällen” womöglich auch auf unbestimmte Zeit gespeichert wird?
Und ich dachte, wir leben in einem Rechtsstaat, in dem den Bürgern Freiheitsrechte zustehen, und diese auch geachtet und verteidigt werden.
Die Tragweite der organisierten Abhörtätigkeiten der ausländischen und wohl auch inländischen Nachrichtendienste (oder warum ist die Bundesregierung so leise?) kann anhand der Menge und der Tiefe der aufgezeichneten und ausgewerteten Daten beschrieben werden. Naturgemäß wissen wir da aber nur, was durch Enthüllungen von investigativen Journalisten und Whistle Blowern wie Snowden bekannt wird.
Eine weitere Methode zur Erfassung der Tragweite des Skandals ist die Prüfung, welche Grundrechte und Freiheitsrechte durch die organisierten Abhöraktionen angegriffen sind. Die wohl am direkten betroffensten sind:
Das Postgeheimnis: Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn das auch für die Übertragung elektronischer Post gelten würde. Es ist fast schon heuchlerisch, das Postgeheimnis als Freiheitsrecht aufrecht zu erhalten. Denn zuständig für den Schutz des Rechts im Internet ist nicht mehr der Staat. Im Gegenteil, wer die Inhalte von Mails vor Zugriffen schützen möchte, ist selbst verantwortlich für eine angemessen Verschlüsselung.
Die Pressefreiheit: Ein essentieller Bestandteil von investigativem Journalismus ist der Schutz von Quellen. Durch das systematische Speichern von Kommunikationsmetadaten sowie dem offenbar möglichen Abhören von Telefonaten und dem direkten Zugriff auf Emails ist dieser Schutz nicht mehr gegeben. Die häufig propagierte Rolle einer vierten Gewalt der öffentlichen Medien ist dadurch ausgehöhlt, deren Kontrollfunktion fällt weg.
Werden abgehörte Mails und Telefonate genutzt um jemandem die Einreise in ein Drittland zu verwehren, ist die Freizügigkeit nicht mehr gewährleistet. Wird durch abgehörte Kommunikation vorab Hausarrest ausgesprochen und die Teilnahme an Veranstaltungen untersagt, gilt die Versammlungsfreiheit nicht mehr.
Ich jedenfalls bin nicht bereit, meine Rechte auf dem Altar der vermeintlich verbesserten inneren Sicherheit und dem Schutz vor Terrorismus zu opfern (ist das denn der Grund für die staatliche Überwachung?). Das ist wahrscheinlich auch gar nicht legal, denn für Menschenrechte – und die Freiheitsrechte sind ein Bestandteil davon – gilt die Unteilbarkeit.
Was mich stutzig macht, ist die Passivität mit der die Bundesregierung auf die Enthüllungen reagiert. Sollte eine gewählte Regierung nicht im Dienst der Bürger handeln und diese schützen? Ich vermute ja, dass die Überwachungsmaßnahmen deutscher Nachrichtendienste jenen unserer US-amerikanischen und britischen Freunde in nichts nachstehen. Aufklären würde bedeuten, auch die eigenen Methoden und Maßnahmen öffentlich zu erklären.
Das erwarte ich auch. Denn wenn wir schon abgehört werden, dann bitte transparent.
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