Der Papst hat 8,8 Millionen Follower auf Twitter, vergangenen Samstag hat er angekündigt, dass er jetzt “eine neue Reise antritt” und in Zukunft auf Instagram wahrscheinlich Selfies postet.

Die katholische Kirche ist nicht unbedingt als reformfreudige Organisation bekannt. Die Social Media Accounts des Pontifex werden jedoch wie selbstverständlich in die Kommunikationsstrategie des Vatikans integriert. Weil sie erkannt haben: Nirgendwo sonst kann das Oberhaupt der Kirche so persönlich und so direkt mit den Gläubigen in Kontakt treten. Regelmäßige Statusupdates – und seien sie noch so trivial – stärken die Beziehung zur Zielgruppe.

Am 18. März war ich beim Workshop “Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien: Bedeutung, Chancen und Risiken der sozialen Medien”, organisiert von den Wissenschaftsakademien. Bei der eintägigen Veranstaltung sollte in den vorgestellten Expertisen beleuchtet werden, wie soziale Medien und Wissenschaftskommunikation zusammen passen oder zusammen kommen können.

Nun sind die Wissenschaftsakademien nicht der Vatikan und Peter Weingart, der Sprecher und Koordinator des Projekts, hat soweit ich weiß auch weder ein Twitter- noch ein Instagram-Account. Daher bin ich mir auch nicht ganz sicher, ob den Organisatoren, den Autoren der Expertisen und den Experten auf dem Podium klar geworden ist, was die Sozialen Medien für die Wissenschaftskommunikation leisten können und schon leisten.

Meine Zweifel ob die akademische Elite der Wissenschaftskommunikation, die das Podium in Berlin geschmückt hat, das Potential der Sozialen Medien voll erkannt hat, wurden leider bei der Tagung nicht ausgeräumt. Während laut dem Titel der Veranstaltung Bedeutung, Chancen und Risiken untersucht werden sollten, war von den Chancen auf der Tagung fast keine Rede mehr.

Desinformation, Mainstreaming und Fragmentierung wurden schon in der Ankündigung als Beispiele für spezifische Risiken der Wissenschaftskommunikation über Soziale Medien genannt. In Berlin wurden dann Bedenken um mangelnde Qualitätskontrolle geäußert und die ökonomischen Kosten der Kommunikation online duschdekliniert. Es wurde vor drohendem Reputationsverlust kommunizierender Organisationen und Akteure gewarnt, und natürlich blieb die Gefahr der Auflösung klarer Grenzen zwischen unabhängigem Qualitätsjournalismus und Wissenschafts-PR nicht unerwähnt.

Selbst im Ausblick wurde ein düsteres Bild gemalt: Bots und Algorithmen können die Wissenschaftskommunikation negativ beeinflussen oder die Forschung gleich ganz übernehmen.

Kostenfaktoren bei der Kommunikation online

Kostenfaktoren bei der Kommunikation online. Abbildung aus der Präsentation von Leyla Dogruel.

Ich habe nach der Präsentation der ökonomischen Perspektiven des Wissenschaftsjournalismus und der Wissenschaftskommunikation (eines der vorgestellten Ergebnisse: Soziale Medien revolutionieren die Wissenschaftskommunikation nicht) die Rednerin gefragt, ob neben den Kosten, die die Kommunikation auf Sozialen Medien verursachen, nicht auch deren Nutzen untersucht wurde.

Die Datenlage sei zu dünn, war die lapidare Antwort. Und in der Tat haben während der gesamten Veranstaltung in Berlin sinnvolle Best-Practice Beispiele gefehlt.

Ich dachte mir, ich nehme diesen Artikel daher als Anlass, um ein paar Zahlen und Fakten zu Sozialen Medien in der Wissenschaftskommunikation zu sammeln, auch über den deutschsprachigen Tellerrand hinaus. Ich würde mich freuen, wenn meine natürlich unvollständige Liste in den Kommentaren noch ergänzt würde:

  • Die Facebookseite I Fucking Love Science erreicht mit teils trivialen Meldungen zu Wissenschaftsthemen 24 Millionen Follower.
  • Das Sub-reddit r/science hat über 10 Millionen Abonnenten.
  • Animationen zu wissenschaftlichen Themen werden millionenfach auf Youtube angesehen.
  • Dem Astrophysiker Neil deGrasse Tyson folgen 5 Millionen Twitter Accounts. Dem Physiker Brian Cox folgen 1,7 Millionen und Richard Dawkins hat 1,4 Millionen Follower.
  • Der bekannteste deutschsprachige Blogger und Kollege hier bei den ScienceBlogs, Florian Freistetter kommt auf knapp 10 000 Follower, genauso wie das von Henning Krause geführte Twitter-Account der Helmholtz Gemeinschaft übrigens.
  • Auf ResearchBlogging sind über 3000 Blogs registriert, auf denen Wissenschaftler inzwischen fast 50000 Blogposts über begutachtete wissenschaftliche Papers veröffentlicht haben.
  • Mein eigenes Blog hat im langjährigen Mittel knapp 20 000 Seitenaufrufe pro Monat. In meinem besten Monat hatte ich 200 000 Seitenaufrufe. Bekannte Wissenschaftsblogger, auch im deutschsprachigen Raum, haben regelmäßig hunderttausende Seitenaufrufe pro Monat.
  • Über Analyse-Plugins lassen sich für Blogs, Facebook und Twitter sehr genau untersuchen wie viele Menschen wie oft was für wie lange lesen oder anschauen.
  • Jedes Jahr werden über 1,2 Millionen neue peer-reviewte biomedizinische Papers publiziert. An neuen Daten und unerschlossenen Themen herrscht also mit Sicherheit kein Mangel.
  • Soziale Medien verursachen nicht nur (verhältnismäßig geringe) Kosten. Wissenschaftskommunikation online ist auch ein wachsendes Berufsfeld, sowohl für Wissenschaftler, als auch für Journalisten.
  • Wenn Wissenschaft nicht auf Sozialen Medien kommuniziert wird, überlassen wir das Feld den Impfgegnern, Klimaleugnern, Alternativmedizinern, fundamentalökologischen Lobbygruppen und sonstigen Scharlatanen, die im wissenschaftlich aussehenden Mäntelchen daher kommen.
Artikel zum WÖM2-Workshop und den vorgestellten Expertisen: Storify von @acatech, Artikel von mir auf der NaWik-Seite , Artikel von Reiner Korbmann auf seinem Blog. Kommentar von Henning Krause, Projektblog bei den Scilogs. Weitere Artikel zum Workshop gerne in den Kommentaren verlinken.

 

Kommentare (11)

  1. #1 Manuela
    Bonn
    26. März 2016

    Sehe ich genauso. Und der letzte Absatz ist der absolut wichtigste!

  2. #2 kdm
    27. März 2016

    Wieso wird immer von “Sozialen Medien” geschrieben? Jeder weiß, welche amerikanische Firma gemeint ist, und dass bei der nix “sozial” ist. Facebook. Abgesehen von deren verachtenswerten Steuervermeidungspolitik in Europa:
    Die sammeln die Daten – alle(!) Daten – der “Kunden”, oder genauer: Die Kunden, deren gesamrte Daten & deren Verhalten(!) sind die Ware, die an die Reklameindustrie verhökert wird und die natürlich und vor allem an die amerikanischen Geheimdienste gehen. Soviel Wissen sollte man doch voraussetzen, auf einer “Wissenschafts”-Site und bei erwachsenen Menschen. Oder bin ich da zu optimistisch?
    Man muss nicht alles mitmachen, nur weil es möglich (und modisch) ist.

  3. #3 ulfi
    27. März 2016

    @kdm Wtf? Der Artikel gibt doch klar wieder, dass nicht nur Facebook gemeint ist. Genannt wird doch explizit Twitter, Reddit, Youtube.

  4. #4 zimtspinne
    27. März 2016

    Vielleicht sollte mal ein anderer Begriff dafür erfunden werden, der passender ist?

    gewinnbringende Vermarktung des Quatschbedürfnisses oder so….

  5. […] sprachen gerade über Soziale Medien in der Wissenschaftskommunikation. Wie der Zufall es will, liefert uns ein […]

  6. #6 Tobias Maier
    27. März 2016

    Manuela: Danke für den Kommentar. Aktuelles Beispiel ist ja die Impfgegner-Doku beim Tribeca-Filmfestival.

  7. #7 Dr. Webbaer
    27. März 2016

    Nicht un-amüsant den Kommunikationsstrategien der bundesdeutschen Wissenschaftsakademien die Kommunikationsstrategie der Römischen Kirche entgegenzusetzen.
    Sinnhafterweise, ganz vermutlich.
    Also insofern +1.
    MFG + weiterhin bissig bleiben!
    Dr. Webbaer

  8. #8 Dr. Webbaer
    27. März 2016

    @ kdm :

    Wieso wird immer von “Sozialen Medien” geschrieben? Jeder weiß, welche amerikanische Firma gemeint ist, und dass bei der nix “sozial” ist. Facebook.

    Es gibt wohl schon ein Spektrum sogenannter Social Media.
    Facebook ist dem Schreiber dieser Zeilen zuletzt und mit bundesdeutschem Impetus auch unangenehm aufgefallen und was generell die Daten-Sammlerei betrifft, liegen Sie richtig.
    Dennoch drängt sich für die Zwecke der Wissenschaftskommunikation die Nutzung der Social Media auf.
    Bleiben Sie gerne Social Media-kritisch.

    MFG
    Dr. Webbaer

  9. #9 noosphaere
    Karlsruhe
    28. März 2016

    Vielen Dank an @weitergen für diesen Einblick in den Workshop der Akademien (Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften). In der Tat deckt sich diese Einschätzung mit meinen eigenen Erfahrungen, sowohl auf die “sozialen” Medien in der Wissenschaftskommunikation wie auch auf die altehrwürdigen Wissenschaftsorganisationen als solche bezogen.
    Gerade die Nennung der ebenfalls als nicht besonders “flexibel” einzustufenden Katholischen Kirche ist als Vergleich mit den großen und trägen “Tankern” der Wissenschaft hervorragend dazu geeignet, die Möglichkeiten, die sich einem hier bieten können, aufzuzeigen. Wenn sich schon der @pontifex dazu “herablässt”, seine “social community” per “social media” zu erreichen, fällt es womöglich den Vertretern anderer traditioneller Instanzen (die im Grunde als wissenschaftliche Vertreter Vorreiter vor den religiösen Vertreter sein sollten) einfacher, hier auch einmal über den eigenen Schatten zu springen.
    Dennoch muss man es wohl vorläufig hinnehmen, dass es auf institutioneller Ebene etwas gemächlicher zugeht als bei einzelnen sendungsbewussten Wissenschaftlern und wissenschaftlich Interessierten. Wenngleich sogar die DFG (@dfg_public) schon das Zwitschern entdeckt hat. Es ist ja schon als ein mutiges Unterfangen einzustufen, dass sich die Akademien diesem Thema kritisch in einem Workshop widmen … Tagungen wären der nächste Schritt. Und die Tatsache, dass hierbei eher Skepsis der Motor zu sein scheint und nicht ein innovativer Geist, ist durchaus als Naturkonstante zu betrachten.
    Kein kommunikativer und sendungsbewusster Wissenschaftler sollte sich aber davon entmutigen lassen. Vielmehr ist beständiges “Hämmern” von unten die Devise. Sollten sich die Vorteile (Chancen) gegenüber den Nachteilen (Risiken) durchsetzen und die Nutzer die Verweigerer mit purer Pragmatik überzeugen können, wird sich die kommunikative Evolution auf natürliche Weise ihren Weg durch die Wissenschaften bahnen. Da bin ich eher Optimist.

    Ergänzend zu der von Tobias Maier aufgeführten Liste, würde ich gerne noch de.hypotheses.org bzw. hypotheses.org als hervorragende Plattform für Wissenschaftskommunikation nennen.

  10. #10 BLugger
    Karlsruhe
    29. März 2016

    Zur Ergänzung – diese Liste twitternder Laureaten ist vermutlich inzwischen gewachsen… https://www.scilogs.de/quantensprung/zwitscherndes-lindau-2014-zwitschernde-laureaten/

  11. […] Update 27. März 2016: Ebenfalls lesenswert zum Workshop: Tobias Maier im Weitergen-Blog. […]