Scienceblogs wird 10. Mein Blog Gesundheits-Check wird erst 6, aber im Laufe der Jahre haben sich trotzdem fast 500 Beiträge angesammelt. Manche sind von der Zeit überholt, manche nach wie vor lesenswert. Manche der Kommentatoren der ersten Stunde haben den Blog die ganzen Jahre über begleitet, manche sind verschwunden, viele neu dazugekommen. Fast 30.000 Kommentare wurden in den 6 Jahren geschrieben – von Ihnen/Euch, dafür herzlichen Dank. Auf diese Weise kamen viele interessante Diskussionen zustande, natürlich auch so manch Skurriles. Etwa 280.000 Spam-Kommentare hat das System automatisch blockiert, eigentlich erstaunlich wenig in einer Zeit, in der bots das Internet zumüllen, was das Zeug hält. Soweit die Tonnage-Zahlen.

Wenn ich die Diskussionen hier Revue passieren lasse, gehört die Erfahrung, wie schwierig es werden kann, Sachargumenten Geltung zu verschaffen, mit zu den beeindruckendsten Aspekten meines „Bloggerlebens“. Das ist natürlich einerseits trivial, gerade in Zeiten, in denen das „Postfaktische“ als Signum der öffentlichen Diskussion gilt, aber andererseits auch aufschlussreich, wenn man den klassischen wissenschaftlichen Diskurs in Zeitschriften dagegenstellt. Auch dort kann es polemisch zugehen, auch dort können verbohrte Gegner aufeinander treffen, aber alles geht viel langsamer und daher in der Regel auch moderater zu, zumal bei Zeitschriftenartikeln das Review zusätzlich zu einem gemäßigten Tonfall beiträgt.

Hier im Blog kam es bei Themen, die ins weltanschauliche Fundament der Meinungsbildung reichen – z.B. Beschneidung, Rauchen, Homöopathie, Genderstudies – immer wieder zu Eskalationen, die unmissverständlich deutlich machen: Menschen sind keine argumentativen Maschinen, sondern buchstäblich mit Haut und Haaren mit dem verbunden, was sie denken. Demzufolge ist es schwer, sich ein Stück weit frei von den eigenen persönlichen Prägungen zu machen, wenn einem eine Sache unter die Haut geht.

Klar: Manchmal schreiben Kommentatoren etwas, worauf man nur noch mit einer gut platzierten persönlichen Bosheit reagieren kann, oder gar mit der Sperrung des Kommentators. Diskussionen möglichst sachlich zu führen, ist ein Prinzip, das Ausnahmen kennt. Aber sich gelegentlich bewusst zu machen, wie schnell man selbst bei bestem subjektivem Bemühen vom Licht der eigenen Überzeugung geblendet wird, schadet nicht. Wir sind alle nicht frei von Neigungen zum confirmation bias und zum bias blind spot. Überzeugungen, mit denen wir lange gut gefahren sind, die unseren Umgang mit Alltagsproblemen unbeschadet überstanden haben, geben wir nicht gerne auf und wenn sie infrage gestellt werden, reagieren wir schnell „persönlich“: Der Andere muss ja wohl dumm oder bösartig sein.

Darüber habe ich im Blog immer wieder einmal nachgedacht. In Anlehnung an „Hanlon‘s Law“ könnte man als Quintessenz ein Deeskalationsprinzip zur Besinnung bei vorschnellem Denken formulieren: „Unterstelle nicht Dummheit oder Bosheit, wenn die Annahme ausreicht, dass der Andere nur genauso fest an seiner Überzeugung hängt wie Du an Deiner.“*

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* Die offensive Version wäre: „Wenn der andere partout nicht nachgibt, hat er vermutlich auch keine besseren Argumente als Du, also bleib standhaft.“

Kommentare (15)

  1. #1 Alisier
    8. Januar 2018

    Danke für die offensive Version……
    Und viele weitere Jahre wünsche ich, aus purem Eigeninteresse 😉

  2. #2 roel
    https://scienceblogs.de/10jahrescienceblogs/2018/01/08/scienceblogs-de-feiert-10-jaehriges-bestehen/
    8. Januar 2018

    @Joseph Kuhn Danke für 6 Jahre Gesundheits-Check. Ich hoffe, dass der wichtigste Gesundheits-Check in der amerikanischen Geschichte am 12.01.18 genauso gut durchgeführt wird, wie deiner hier seit 6 Jahren.

  3. #3 dirk
    8. Januar 2018

    Herr Kuhn, ich finde den Blog sehr aussagekräftig und oft sehr gut recherchiert. Also einfach Danke und Glückwunsch!

  4. #4 CM
    9. Januar 2018

    @Joseph, vielen Dank! Lesenswert und gut, auf weitere Jahre.

  5. #5 Dampier
    9. Januar 2018

    Schön geschrieben, vielen Dank!

    Menschen sind keine argumentativen Maschinen, sondern buchstäblich mit Haut und Haaren mit dem verbunden, was sie denken. Demzufolge ist es schwer, sich ein Stück weit frei von den eigenen persönlichen Prägungen zu machen, wenn einem eine Sache unter die Haut geht.

  6. #6 Thomas
    Hamburg
    9. Januar 2018

    bin nur Leser, nicht Kommentator, möchte mich aber auch für die Mühe, die das Verfassen der interessanten Texte sicher auch oft macht, bedanken.

  7. #7 Joseph Kuhn
    9. Januar 2018

    @ Thomas:

    “bin nur Leser, nicht Kommentator”

    Das in einem Kommentar nennt man wohl einen performativen Selbstwiderspruch 😉

    Allerseits danke für das Danke. Ohne Leser und (mitdenkende) Kommentatoren würde das Bloggen nur halb so viel Spaß machen (die andere Hälfte hätte ich trotzdem, weil mir oft schon beim Schreiben etwas Interessantes unterkommt, was ich auch noch nicht bedacht habe).

  8. #8 2xhinschauen
    9. Januar 2018

    Der spezielle Reiz beim GC für mich ist die wiederkehrende quasi kopfkratzende Art, mit der oft nicht einfach doziert oder erklärt, sondern auch dann reflektiert wird, wenn ein Sachverhalt, Ergebnis oder eine Statistik umstandslos ins eigene Weltbild passt. Und auch, wenn nicht! Oder wenn es einfach nur “interessant” ist.

    Meinungen und Überzeugungen trägt Herr Kuhn so vor, dass jedenfalls ich ggf. nicht einfach zurückholzen mag, so leicht macht er es uns nicht (ok, manchen offenbar doch), sondern meinen Widerspruch ordentlich formulieren möchte (auch wenn ich das, Zeit oder Gelegenheit, nicht oft tue) und deshalb über meine Position nachdenken muss. Das ist immer gut.

    Plus Humor. Dem Dreiklang, dem das Medium Blog in meinen Augen Genüge zu tun hat (Interessiert mich das überhaupt? Lern ich da was? Werde ich dabei gut unterhalten?) wird GC natürlich inkl. Kommentarspalte in Summe hervorragend gerecht, finde ich.

    Besten Dank also für Mühe und Zeit.

  9. #9 DH
    9. Januar 2018

    Gratulation an GC und an SB insgesamt.

  10. #10 M. Hahn
    11. Januar 2018

    Danke!
    Alles Andere wurde schon gesagt 🙂

  11. #11 foobar407
    12. Januar 2018

    Aus dem Artikel:
    “Menschen sind keine argumentativen Maschinen, sondern buchstäblich mit Haut und Haaren mit dem verbunden, was sie denken.”
    Ja, denn hier geht es ja um Weltanschauungen. Aus diesen Weltanschauungen resultieren unsere Werte, und diese sind uns eben etwas wert 🙂

    “Demzufolge ist es schwer, sich ein Stück weit frei von den eigenen persönlichen Prägungen zu machen, wenn einem eine Sache unter die Haut geht.”

    Es ist nicht nur schwer, es geht ja auch nicht wirklich. Bzw. der Prozess des Freimachens resultiert ja nicht in einem Nirwana oder einem erleuchteten Zustand, sondern in einer anderen Prägung. Wir können eben nicht aus unserer Haut heraus.
    Wenn man davon spricht, seine Vorurteile zu überwinden, ist das ja auch keine Emanzipation von einer falschen Meinung. Es wird einfach eine Meinung durch eine andere ersetzt

  12. #12 stone1
    12. Januar 2018

    Obwohl mein Interesse für Medizinthemen eigentlich nicht so groß ist (außer es gäbe mal einen Durchbruch bei der Behandlung von Querschnittlähmungen) ist Gesundheitscheck, zumindest nach gefühlter persönlicher Statistik, derzeit der von mir am häufigsten gelesene Blog nach A.S., vor allem weil mir die Mischung aus Information, Reflexion und Unterhaltung mit fein dosiertem Humor sehr gut gefällt.

    Glückwunsch zum Jubiläum und ein großes Dankeschön.

  13. #13 2xhinschauen
    14. Januar 2018

    Erst beim zweiten Lesen bemerkt:

    >> Menschen sind keine argumentativen Maschinen, sondern buchstäblich mit Haut und Haaren mit dem verbunden, was sie denken.

    Nette Invektive in der Debatte mit Dualisten :-))

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