Im Frühsommer 2007 bekam ich aus dem Hause Hubert Burda Media die Anfrage, ob ich mir vorstellen könne, ein Pendant zu den damals in den USA stark wachsenden ScienceBlogs in Deutschland aufzubauen. Forscherinnen wie Journalisten hatten in den USA schon früh die digitalen Möglichkeiten des „self publishing“ im Sinne von Blogs zu nutzen begonnen. 2005 waren die ScienceBlogs.com der Seed Media Group gestartet und hatten innerhalb der zwei Jahre sehr hohe Abrufzahlen erreicht. Einer der erfolgreichsten Blogs war dort Pharyngula von PZ Myers, der sich kritisch mit den Themen Intelligent Design und Kreationismus auseinandersetzte. Das neue Medium Blog weckte natürlich auch Interesse bei deutschen Verlagen und so investierte unter anderen Hubert Burda Media in diesen Bereich.
Wissenschaftler schreiben selbst zu ihrem Forschungsgebiet? Sie kommentieren und bewerten ohne den Einfluss einer Redaktion in einem Blog, wann sie wollen, so oft sie wollen und wie sie wollen? Wie soll das denn bitte gehen? Und überhaupt, „Blog“, was ist das?
Die Idee der ScienceBlogs war ungewohnt, neu und ein wenig revolutionär. Zehn Jahre gibt es die ScienceBlogs nun in Deutschland und die AutorInnen haben in dieser Zeit in unterschiedlichsten Formen –Textbeiträgen, Zeichnungen, Animationen Formeln, Podcasts – Einblicke in ihr Fachgebiet gegeben. Sie haben sich eine Fangemeine aufgebaut und einen festen Leserstamm. Dennoch gibt es bis heute Diskussionen darüber, ob es denn richtig sei, dass Wissenschaftler sich in Blogs direkt äußern. Ich sage nach wie vor unbedingt: Ja! Es lohnt sich.
In den Blogs erzeugen Forscherinnen und Forscher genau jene Authentizität und Nähe von der heute in Zeiten von Fake News Kommunikatoren und Institutionen so dringend mehr einfordern. Denn, wer kann qua Profession und mit Transparenz und Erreichbarkeit besser dem potenziellen Vertrauensverlust in die Wissenschaft entgegenwirken als die Wissenschaftler selbst. Von einer Vertrauenskrise und polternden Politikern, die es mit wissenschaftlicher Erkenntnis nicht so genau nehmen, ahnten wir vor zehn Jahren zwar noch nichts. Die politische Dimension stand damals noch nicht so stark im Raum und erforderte noch keine Großdemo pro Wissenschaft wie den March for Science 2017. Aber aufklärend, erklärend, hinterfragend und transparent waren die Blogs von Anfang an – das zeigten auch Erhebungen von Manon Littek bei den ScienceBlogs und Carsten Könneker bei den Scilogs.
In welchem Medium gibt es beispielsweise eine regelmäßige Mathematik-Rubrik mit ausreichendem Raum? Genau das bietet etwa der Blog Mathlog von Thilo Küssner.
In welchem Medium bekommen wir Einblicke in den Alltag von WissenschaftlerInnen? Beispielsweise in dem Blog von Ludmilla Carone Hinterm Mond gleich links. Das kann auch bedeuten, dass sie erklärt, warum ihr Blog gerade etwas verwaist ist. „Hallo Ihr Lieben! Ja, lange Zeit nicht geschrieben, das postdoc-Leben ist halt doch um einige Zacken stressiger als das Doktoranden-Leben“, schreibt sie nach über einem Jahr Pause in ihrem jüngsten Artikel. Auch das ist eine Besonderheit von Blogs: Pausen sind möglich.
Eine weitere Besonderheit der ScienceBlogs ist, dass hier Forscherinnen, Journalisten, Buchautoren oder Öffentlichkeitsarbeiter Seite an Seite bloggen. Die Grenzen sind fließend. Manche Wissenschaftler haben im Laufe der Zeit auch die Rollen gewechselt. So hat beispielsweise Florian Freistetter seinen Blog Astrodicticum Simplex als Doktorand in der Astronomie begonnen und ist heute erfolgreicher Buchautor und so manches mehr.
Und nicht zuletzt unterscheiden sich Blogs von klassischen Verlagsprodukten darin, dass sich die AutorInnen im Sinne des Inhalts maximal vernetzen. So gab es von Anfang an Kontakte und online wie offline einen intensiven Austausch der ScienceBlogger mit den Sciloggern, deren Portal vom Spektrum der Wissenschaft Verlag ebenfalls um die Jahreswende 2007/2008 startete. Selbstverständlich bloggten zum Beispiel Scilogger bereits ab 2009 gemeinsam mit ScienceBloggerInnen von den Lindauer Nobelpreisträgertagungen. Selbstverständlich verlinken die Wissenschaftsblogger beider Portale gegenseitig Inhalte und teilen interessante Artikel auch über weitere Medien wie Twitter oder Facebook. Es geht darum, Wissenschaftsthemen und die wissenschaftliche Sicht auf Entwicklungen der Gegenwart zu stärken.
Mir haben die ScienceBlogs vor zehn Jahren einen wertvollen und nachhaltigen Perspektivwechsel ermöglicht, der auch mein heutiges Berufsleben am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) prägt. Vor den ScienceBlogs waren Wissenschaftler für mich als Journalistin Interviewpartner, die meinen Fragen antworteten. Als Managing Editor der ScienceBlogs durfte ich Wissenschaftler dabei begleiten, wenn sie sich selbst direkt gegenüber der Öffentlichkeit äußern. Ich habe erfahren,
welche Ängste (zu viel Vereinfachung; Kollegenschelte; Umgang mit Kommentaren…) und Wünsche (für ihr Thema begeistern; informieren; aufklären…) sie haben,
warum sie den offenen Dialog mit der Gesellschaft suchen,
welche Themen sie jenseits des journalistischen Nachrichtenwerts für relevant halten,
warum sie es für wichtig halten, die Türen hinein in die Wissenschaft offen zu halten und vieles mehr.
In den zehn Jahren seit dem Start der ScienceBlogs wurde die Blog-Community immer wieder gebeutelt. Es zeigte sich für die wechselnd verantwortlichen Verlage, dass mit den Blogs nicht der große Gewinn in monetärer Hinsicht zu erzielen ist – dafür aber ein ideeller.
Viele der BloggerInnen der ersten Stunde haben alle Wirren mitgemacht und sind auch heute noch dem Portal treu – z.B. Jürgen Schönstein (Geograffitico), Markus Anhäuser (Plazeboalarm), Tobias Maier (WeiterGen), Ludmilla Carone (Hinterm Mond gleich links) oder Ernst Peter Fischer (früher Die andere Bildung heute Wissenschaftsfeuilleton).
Ihnen und auch allen ehemaligen und neuen AutorInnen möchte ich heute Danke sagen.
Danke, dass Ihr mit unter das Dach der ScienceBlogs gezogen seid, Euch vernetzt und engagiert habt. Danke an alle WissenschaftlerInnen, die Kommunikation als Aufgabe mit Verantwortung betrachten.
Auf in ein neues Wissenschaftsblog-Jahrzehnt! Wir brauchen Euch.
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