Die hohe Qualität der Dichtung besteht darin, ihre Gegenstände gut zu beschreiben. Die hohe Qualität der Naturwissenschaft besteht darin, ihre Gegenstände genau zu benennen. Wer sich über oder zur Wissenschaft äußert, sollte also wissen, was seine Worte bedeuten. Leider trifft diese an sich banale Forderung nicht immer zu. Was soll zum Beispiel “genetisch” bedeuten? Heißt es “angeboren”? “Vererbbar”? “Von Genen bedingt?” Wer den genannten Wörtern nachlauscht, wird merken, daß sich da große Unterschiede auftun. Mir scheint daher, daß “genetisch” keinen Sinn mehr macht – außer in seiner Urform, und da kommt es von Goethe, nicht von den Genen.

Der gesunde Menschenverstand denkt, daß es erst die Gene gab, dann die dazugehörige Wissenschaft namens Genetik, und aus dem leiten wir das Genetische ab. Tatsächlich ist die Geschichte genau entgegengesetzt verlaufen. Er gab es “genetisch”, nämlich bei Goethe, der meinte, alle Wissenschaft müsse genetisch werden, weil sie das Werden, das in dem Attribut steckt, erkunden muß. Alles ist, was es geworden ist, und dieses Werden – das Genetische – gilt es zu verstehen. So Goethe 1795, was leider in Vergessenheit geraten ist, seitdem im Jahre 1909 das Wort “Gen” in die Wissenschaft kam, was dazu führte, daß genetisch etwas meint, das Gene bestimmen. Genprodukte (Proteine) sind dann genetisch. Aber was sonst? Die Genetik selbst ist es jedenfalls nicht. Sie ist eine physikalische Wissenschaft, da sie nur nach Kausalfaktoren vulgo Genen sucht. Das Wirken der Faktoren zum Werden des Ganzen versteht sie nicht, weil sie gar nicht danach fragt (oder nur formal und nicht in der praktischen Arbeit). Wir müssen uns bemühen, um erst zu lernen, was genetisch heißt, und um dann eine Wissenschaft zu kreieren, die so vorgeht. Mit ihr können wir erst verstehen, was die Gene tun, falls es sie dann noch gibt. Irgendwie klingen die neuen Publikationen doch so, daß es besser ist, nach dem ganzen Genomen zu sehen statt nach einzelnen Genen (deren vielfaches Abzählen sinnlose Quantiätsbemühungen darstellen). Genomisch – das käme dann nicht mehr von Goethe, sondern vom Genom. Das Leben würde dann genomisch geleitet. Das käme von uns, und das sollten wir auch verstehen. Wie fangen wir damit an?

Kommentare (1)

  1. #1 Chris
    Dezember 10, 2007

    Die Genetik, wenn es sie denn überhaupt noch als solches gibt, musste erstmal “nur” nach den Kausalfaktoren suchen. Wie sonst sollte man denn anfangen? Erst wenn ich die einzelnen Bausteine kenne, kann ich sie sinnvoll zu einem ganzen zusammensetzen. Und auch erst dann kann ich die vielen Verknüpfungen erkennen. Und die Dekodierung des Genoms hat ja auch u.a. zur Proteomik geführt. Also weniger die Genomik als mehr die Proteomik wird wichtiger werden.