Fasse Dich kurz! So stand es früher auf den heute (leider) abgeschafften Telefonzellen, was zunächst als Höflichkeit gegenüber den vor der Zelle Wartenden gemeint war. Fasse Dich kurz – so wurden wir dann in der Schule angehalten, wenn wir etwas zusammenfassen sollten. Es war nämlich eine Leistung, etwa den Inhalt von Wilhem Tell in zwei oder drei Sätzen vorzustellen. Damals wurde mir klar, daß das Kurzfassen eine lange Zeit braucht, um zu gelingen. Und später habe ich bei einem meiner Säulenheiligen, dem Physiker Wolfgang Pauli, den schönen Satz gefunden, daß er einen langen Brief schreibe, weil er keine Zeit habe, sich kurz zu fassen. “No time to be brief”, wie es im Englischen lautet, dessen Pauli sich dabei bediente. Und weil ich so sehr das Kurze schätze, argert mich, wenn das kurze Wort “kurz” beliebig blöde benutzt wird.

Ein Unsitte, das “kurz” zu verwenden, hat sich in Vorträgen breit gemacht. Es sind meist Leute, die nichts Eigenes zu sagen haben, mir dafür aber “kurz” die Ernährungslage der Menschheit, die Quantenmechanik und das Allmende Problem vorstellen wollen. Alles kurz. Das Wort ist dabei so überflüssig wie ein Kropf. Denn wie anders als kurz kann man in einer Stunde die oben erwähnten Themen ansprechen? Daß die Redner mit “kurz” eine Minute meinen, macht die Sache besonders ärgerlich, denn diese “kurzen” Einschübe lassen einen nur erkennen, wie jetzt wieder die Zeit überzogen wird – wenn auch nur kurz angeblich.
Das Wort kurz ist in diesen Tagen in Verruf geraten, weil Kritiker des Internet meinen, die Benutzung dieses Mediums könnten nur noch kurze Texte lesen. Ein Kritiker des Kritiker hat geantwortet, daß er die Kritik nicht lesen würde. Sie sei zu lang. Das ist kurz genug, um mir zu gefallen. Fasse Dich kurz – ein gutes Motto, für das man lange über muss. Es lohnt sich zuletzt noch länger.

Kommentare (3)

  1. #1 Kil
    Juli 29, 2008

    Also ich habe immer zu hören bekommen, ich würde mich zu kurz fassen. Kein Wort zuviel war mein Motto. Leider ist auf der Uni etwas davon abhanden gekommen, da man ja immer die Seitenvorgaben erfüllen muss. Also fängt man an zu lernen wie man sich möglichst lang ausdrückt…

  2. #2 marko
    August 1, 2008

    Als Software-Entwickler sind mir scheinbar plausible Metriken wie LOC (Lines Of Code) zur Leistungsbewertung mit den damit verbundenen Problemen nur zu bekannt. Gut, dass diese Praktiken am Rückzug sind. Schade, dass man sie trotzdem noch antrifft, etwa im Journalismus und — wie Kil andeutet — im akademischen Betrieb.

    Das Problem scheint zu sein, dass Quantität zu einer oberflächlichen, arbeitssparenden, möglicherweise falschen Bewertung der Qualität verleitet. Gerechter, aber viel arbeitsintensiver ist die Abwägung, ob trotz der Kürze einer Leistung die Qualität ausreicht, zumindest scheint es so bei Sachtexten mit hinreichender Komplexität. Dagegen ist kurzer und klarer Quellcode, der macht was er soll, offenkunding elegant und effektiv — LOC hin oder her.

    Ein “zu kurz fassen” scheint mir kein faires Argument, weil es weder die Leistung noch die geleistete Arbeit bewertet. Und Leistung ist nun mal gleich Arbeit, Mahlzeit. 🙂

  3. #3 m
    August 1, 2008

    Korrektur: Ich meinte natürlich “Brotzeit”.