Vorweg – ich gehe in die Ferien, das heißt, ich besuche Los Angeles und die UCLA und kehre Mitte September zurück. Dies ist der letzte Blog bis dahin. Er betrifft ein Dilemma, das seit Jahrhunderten bekannt ist, aber nicht ernst genommen wird. Es geht um das, was wir Rationalität nennen und im Westen als Lösung aller Probleme verstehen. Natürlich kann man vernünftige (sinnvolle) Fragen über die Welt stellen, und man kann sie sogar ebenso vernünftig (sinnvoll) beantworten – am besten mit Hilfe der Naturwissenschaft, wenn es um Tatsachenfragen geht (Wie schlägt ein Herz?). Doch nun kommt der entscheidende Punkt. Anhänger der Rationalität (Rationalisten) meinen, daß alle diese Antworten miteinander vereinbar sind. Genau das sind sie aber nicht. Die Antworten allein auf die Frage “Was ist Licht?” widersprechen sich. Und wenn die für die Physik gilt, dann erst recht im Bereich der Moral und der Politik. Die Falle der Rationalität schnappt zu, wenn wir uns völlig auf sie verlassen. Sie schnappt ebenso zu, wenn wir unseren Verstand völlig außen vorlassen. Wir müssen unsere Vernunft vernünftig gebrauchen und somit zulassen, daß es andere Wege gibt, Zugang zur Welt – Mit- und Umwelt – zu finden.

Kommentare (6)

  1. #1 Shin
    August 15, 2008

    Ich persönlich glaube nicht, dass es tatsächlich mehrere richtige und gleichzeitig unvereinbare Antworten auf Fragen geben kann. Entweder sind solche Antworten subjektiv, oder wir sind, wie meiner Meinung nach im Falle des Lichtes, (noch) nicht in der Lage, den (Schein-)Widerspruch zu begreifen und damit aufzulösen.
    Dieses Unvermögen ist ohne Zweifel ein wichtiges Argument gegen die Anwendung von rationalistischen Methoden auf Fragen, die für einen einzelnen menschlichen Verstand zu komplex sind, wie beispielsweise viele politische und ökonomische Fragen. Meines Erachtens ist dies auch der wesentliche Grund für das Scheitern des Sozialismus, der das Ergebnis rationalistischer Selbstüberschätzung war. Dies disqualifiziert jedoch nicht den Rationalismus selbst, sondern lediglich das menschliche Gehirn, dessen Kapazitäten eben beschränkt sind. Ein Wesen mit uneingeschränkten geistigen Fähigkeiten wäre in der Lage, mittels rationalistischer Logik das gesamte Universum zu interpretieren und zu begreifen.

  2. #2 aebby
    August 15, 2008

    Im Buch “Per Anhalter durch die Galaxis” wird als letzte Antwort auf alles die Zahl 42 genannt, mit der niemand etwas anfangen kann. Auf die Rückfrage nach dem Sinn der Antwort entgegnet der Computer sinngemäß ob die Frage richtig verstanden bzw. formuliert wurde. Widerspruchsfreie Antworten lassen sich nur mit sehr präzisen und klar abgegrenzten Fragen erreichen, ich denke hierbei entsteht das erste Problem des Rationalismus. Der verschiedenen Aspekte des Welle-Teilchen Dualismus geben nur Antworten auf bestimmte experimentelle Fragestellungen. Der Welle-Teilchen Dualismus ist gewissermaßen die kleine “42” auf die Lichtfrage.

  3. #3 Arnd
    August 15, 2008

    Wenn man außer der Ratio noch andere Wege der Erkenntnis als gleichberechtigt ansieht öffnet man Tür und Tor für Sekten, Religionen und Scharlatane. Ich bleibe da lieber auf dem Boden der Tatsachen. Astrologie z.B. ist Unsinn solang keiner das Gegenteil beweisst. Es handelt sich nicht um eine “alternative Sichtweise” sondern nur um Abzocke.

  4. #4 Ludmila
    August 15, 2008

    Ok, wenn Rationalität eine Falle ist… Was sollten wir dann, bitte schön, stattdessen verwenden? Wie wäre es dann mal mit einem konstruktiven Gegenvorschlag.

    Die Antworten allein auf die Frage “Was ist Licht?” widersprechen sich.

    Nicht wenn man Mathematik zu Hilfe nimmt, das was Sie hier beschreiben, ist der Zusammenbruch des so genannten “gesunden Menschenverstandes”. Menschen sind eben nur bedingt rational, deswegen zerbricht der menschliche Geist manchmal an einer Frage, aber witzigerweise vermag die Mathematik, die vom selben menschlichen Geist ersonnen und verwendet wird, dieser Problematik Herr zuwerden und damit sogar etwas Handfestes zu produzieren – wie beispielsweise: Laser.

    Und das halte ich für einen Sieg der Rationalität.

  5. #5 Ariane
    August 26, 2008

    Meines Erachtens ist Rationalität nur eine Seite der menschlichen Vernunft, die andere ist Emotionalität. Erst wenn wir auf beide hören, handeln wir vernünftig. Und – Achtung, gewagte These! – erst wenn wir mit beiden Instrumenten unserer Vernunft (also mit Rationalität UND mit Gefühl) wahrnehmen, können wir die Wahrheit über ein bestimmtes natürliches Phänomen erkennen – oder ihr zumindest näherkommen. Erst wenn wir beide Wahrnehmungsapparate gleichzeitig nutzen, können wir Lebendiges verstehen und erklären. Für alles Nicht-Lebendige mag Rationalität als alleiniges Erkenntnisinstrument genügen.

  6. #6 olim devona
    August 28, 2008

    Naja, die Rationalität…
    Ich schätz’ die meisten in den Kommentaren prorational gefallenen Argumente kommen von Natruwissenschaftlern mit sehr klaren Regelsystemen. Die Geisteswissenschaften jedoch sind gerade in vielen Fragen mit dem Rationalitätsargument am Ende. In der Soziologie wird die rational choice Theorie abgeschafft, weil diese nur lückenhaft erklären kann, wie wir handeln. In der Wissenschaft vom kulturell Fremden, der Ethnologie, spricht man wieder vom “Zauber”, nicht weil Ethnologen besonders Esoterisch drauf sind, sondern weil es Phänomene gibt, die eben nicht rational erkannt werden können. Thomas Kuhn spricht in seiner Philosophie von der Entwicklung in den Wissenschaften davon, dass gerade Narren und Spinner, die das Irrationale an sich heranließen eben neue Thesen aufstellen konnten, die erst von Generationen später angenommen wurden. Giambatista Vico wurde als Begründer der Kulturwissenschaft erst etwa 200 Jahre später rezipiert. Es gibt eine Reihe solcher Beispiele, Paul Feyerabend als Extremphilosoph war gar der Meinung, es gebe keine Instanz in der Wissenschaft, die behaupten könne, eine Antwort sei falsch, weil sie eben doch unter bestimmten zeitgeschichtlichen Bedingungen wahr sein könnte. Ich bin hier kein Feyerabendianer aber interessant ist allemal, was für ein großer Platz in den Geisteswissenschaften der Irrationalität eingeräumt wird.

    Es gibt aber auch außerhalb der Geisteswissenschaften Bereiche, die wieder irrational zu arbeiten beginnen: die Ethnomedizin zum Beispiel, oder die Astrophysiker, die sich mit Mythologen zusammentun (Zur Plasmatheorie und Mythologie) .

    Das ist alles weit weg von der Unwissenschaftlichkeit, Lacan würde sogar sagen, dass Kreativität erst entsteht, wenn man aus dem Korsett des Rationalen ausbräche und das Unmögliche denke, dann käme frischer Wind in die Wissenschaften… Man muß nicht drauf stehen, aber gerade Lacans Ausbruch aus rationalen Dualismen gehört für mich zu einer der größten Herausforderungen kreativen Denkens…