Er spielt wahnsinnig gut Violine und sieht wahnsinnig gut dabei aus. Geiger David Garrett hat in den in den letzten Jahren beiden Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt. Seine Konzerte sind ausverkauft, die CDs stehen in den Charts ganz oben. Doch liegt das wirklich an der Musik? Studien zeigen, dass es auch in der Musik keineswegs nur um das geht, was wir hören.
Zuletzt hatten wir schon festgestellt, dass es ganz natürlich ist (und eben keinesfalls „erlernt”) Schönheit schön zu finden. Wir halten schöne Menschen beispielsweise für vertrauenswürdiger. Aber wie weit reichen eigentlich die Effekte des Schönheitsstereotyps? Wir halten doch niemanden für einen tollen Künstler, nur weil er zufälligerweise gut aussieht und gekleidet ist?
Ganz so einfach ist die Sache vermutlich nicht, aber gerade im Feld der Musik spielen Äußerlichkeiten eine größere Rolle, als wir denken. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Wahrnehmung von Musik stark von der jeweiligen Situation abhängig ist. Im Kaufhaus-Aufzug nervt uns das Gedudel aus dem Lautsprecher, an einem anderen Ort, in anderer Stimmung würden wir dieselben Melodien vielleicht als ganz entspannend empfinden.
Musik ist viel mehr als nur das, was wir hören
Dass die Rahmenbedingungen unter denen wir Musik „konsumieren” entscheidend sind, ist keine neue Erkenntnis. Vor knapp 20 Jahren stellte Richard Leppert diesbezüglich fest, dass dies dem abstrakten Wesen der Musik geschuldet sei. Und insofern seien musikalische Darbietungen genauso an die körperlichen und visuellen Momente gekoppelt wie Theater oder Tanz.
„Precisely because musical sound is abstract, intangible, and ethereal […] the visual experience of its production is crucial to both musicians and audience alike for locating and communicating the place of music and musical sound within society and culture. […] Music, despite its phenomenological sonoric ethereality, is an embodied practice, like dance and theater.” (Leppert, 1993: xx-xxi).
Wie entscheidend das Erscheinungsbild von Musikern ist, zeigt eine aktuelle Studie der Musikpsychologin Noola K. Griffiths.1
Griffiths hatte vier Musik-Studentinnen ausgewählt (alle gehörten zu den besten ihrer Klasse), die äußerlich ziemlich ähnlich waren (gleiche Schuh- und Kleidergröße, gleiches Alter etc.). Die jungen Musikerinnen sollten vor der Kamera ein Solo-Violinstück einspielen. Viermal mussten sie antreten. Einmal in edler Konzert-Kleidung, dann in Jeans, einmal im Party-Outfit und zuletzt wurden sie hinter einer Papierwand gefilmt, so dass nur ihr Schattenbild zu sehen war.
Für eine musikpsychologische Studie wurden von Musikstudentinnen Solostücke in verschiedenen Outfits eingespielt. Die Bewertung des Publikums zeigte den Unterschied…
Diese verschiedenen Aufnahmen wurden dann den eigentlichen Probanden vorgespielt (beide Geschlechter waren hier gleich häufig vertreten). Der Ton war allerdings bei allen Varianten identisch (es gab also keinen Unterschied außer der Kleidung). Die Zuhörer sollten die Auftritte bewerten und zwar im Hinblick auf vier Kriterien: technische Klasse, musikalische Qualität, Attraktivität der Künstlerin und Angemessenheit des Outfits.
Schönheit klingt gut
Die Ergebnisse sind spannend: die besten Noten (was die musikalische Leistung betrifft!) bekamen eindeutig die Aufnahmen in Konzertkleidung. Die eher „neutraleren” Varianten wurden mittelmäßig bewertet, am schlechtesten schnitten die Darbietungen ab, in denen die jungen Musikerinnen sehr körperbetonte Partykleidung trugen. (Leider sind in den Paper/PDFs, die mir vorliegen, keine Fotos abgebildet. Es klingt aber so, als hätte das „Party-Outfit” eher aus sehr kurzem Rock und ebenso knappem Oberteil bestanden…)
Interessant dabei ist, dass die Zuhörer ja eindeutig die Qualität der Musik und die musikalisch-technischen Aspekte bewerten sollten. Und hierauf hat ganz offensichtlich die Optik einen ganz entscheidenden Einfluss. Offenbar erwarten wir eine Geigerin in festlicher Abendkleidung. Wird diese (visuelle) Erwartung enttäuscht, dann schmälert das auch den Hörgenuss. Insofern sind Anne-Sophie Mutter, Anna Netrebko und Co. sicher gut beraten auch weiterhin auf den Konzertplakaten und den CD-Covern mit tollen Abendkleidern zu glänzen.
Die Studienautorin Noola K. Griffiths plädiert jedenfalls an uns, dass wir diese Effekte wenigstens im Hinterkopf behalten sollten:
“This study has implications for both performers and audiences alike: performers should be aware that their visual appearance will have a bearing on how they are received musically and audience members should be conscious of the effect non-musical attributes are likely to have on their judgements of a performance.”
Also, halten wir fest: je attraktiver Musiker (gekleidet) sind, desto besser klingt auch ihre Musik in unseren Ohren. (Jedenfalls wenn das Outfit den Konventionen der klassischen Musik entsprechend gewählt ist.) Ob David Garrett wohl solche Studien kennt?
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Literatur:
- 1Noola K. Griffiths (2010): “Posh Music Should Equal Posh Dress”: An Investigation into the Concert Dress and Physical Appearance of Female Soloists, Psychology of Music, v38 n2 p159-177 2010
- Leppert, R. (1993). The Sight of Sound: Music, Representation, and the History of the Body. Berkeley: University of California Press.
Foto von Anne-Sophie Mutter: © Harald Hoffmann / Deutsche Grammophon
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