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Mathematics, rightly viewed, possesses not only truth, but supreme beauty

Bertrand Russell, “The Study of Mathematics”

 

Der Gedanke, dass eine mathematische Formel – oder, um hier den Bogen gleich ein wenig weiter zu spannen: eine wissenschaftliche Erkenntnis – als Beispiel für das gelten könnte, was wir “schön” nennen, wird nicht jedem, der sich mit Fragen der Ästhetik beschäftigt, zwingend in und durch den Kopf gehen. Dass

a2+b2=c2

aufgeräumter, knackiger ist als

In jedem euklidischen rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Quadrate über den Katheten gleich dem Quadrat über der Hypothenuse

wird niemand bestreiten – aber ist dies wirklich “schöner”?

Sicher nicht für den, der Schönheit in der prallen Lebendigkeit einer üppigen Frauengestalt oder in der romantischen Harmonie einer abendlichen Landschaft sucht. Doch dies hatte der eingangs zitierte britische Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell auch nicht im Sinn, als er diesen oft zitierten Satz formulierte. Die Schönheit der Mathematik sei “cold and austere, like that of sculpture, without appeal to any part of our weaker nature, without the gorgeous trappings of painting or music”, schrieb er – “kalt und streng, wie die einer Skulptur, ohne an irgend einen Teil unserer schwächeren Natur zu appelieren, ohne die prächtige Fülle der Malerei oder der Musik”. Und diese kühle Schlichtheit, dieser an Abstraktion erinnernde Verzicht auf Ausschmückung, kann in der Tat auch einer mathematisch formulierten wissenschaftlichen Aussage eine Eleganz verleihen, die dem Schönen der Kunst ebenbürtig ist.

“It must be beautiful” (es hat schön zu sein) ist auch der Tenor der Fachaufsätze über “The Great Equations and Their Meaning: Great Equations of the Twentieth Century” (so der Untertitel), die Graham Farmelo vom britischen Science Museum gesammelt und 2002 im gleichnamigen Buch veröffentlicht hatte. Über die Vorzüge von a2+b2=c2 haben wir ja schon geschwärmt, aber auch Einsteins E=mc2 oder Plancks E=hf sind in ihrem schlichten Umgang mit Symbolen gleichzeitig attraktiv (für den Experten) und in ihrer kühlen Glätte abweisend für den Laien, wie eine abstrakte Marmorskulptur. Doch schauen wir mal auf ebenfalls oft als Beispiel für jene mathematische Schönheit zitierte Schrödingergleichung

(-ℏ2/2m) Δψ(x) + V(x) ψ(x) = E ψ(x)

oder die darauf basierende (und hier mangels des entsprechenden Zeichensatzes nicht darstellbare) Gleichung, die Paul Dirac aufgestellt hatte. Deren Schönheit erschließt sich vermutlich höchstens noch dem fachlich geschulten Connaisseur – doch der Laie, der E=mc² noch einen asketischen Genuss abgewinnen konnte, wird sich hier befremded abwenden.

Man darf vermuten, dass die “Schönheit” jener komplexen Formeln und Gleichungen weniger aus ihrer ästhetischen Struktur entspringt, als vielmehr aus der befriedigenden Lösung, die sie dem versierten Anwender erschließen und die daher im Resultat mehr als in der Ausgangsform zu finden ist. Was letzlich nichts anderes heißt, als dass auch die mathematische Schönheit letzlich, wie die wahre menschliche Schönheit, von innen kommt …

Quellen:

  • Bertrand Russell: The Study of Mathematics
  • Graham Farmelo: It Must Be Beautiful: The Great Equations and Their Meaning: Great Equations of the Twentieth Century

Abbildung:wburris via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Kommentare (7)

  1. #1 MartinB
    Januar 26, 2011

    Ich denke, die Schönheit erschließt sich vor allem darin, dass aus vergleichsweise simplen Gleichungen eine Vielfalt an Resultaten entspringt. Die Schönheit ist vielleicht eher wie bei einem Feuerwerk: Aus einem Punkt entfaltet sich etwas riesiges. Ich hab’s in der Maxwell-Serie ja ein bisschen versucht, das zu zeigen.

    Bei der Dirac-Gleichung zum Beispiel ist ein wichtiger Aspekt sicher, dass man eine einfache Gleichung hinschreibt, die relativistisch invariant ist und dann aus der mathematischen Struktur heraus plötzlich merkt, dass sich die Gleichung nur lösen lässt, wenn das beschriebene Teilchen einen Spin-Freiheitsgrad besitzt – die Gleichung kann uns in ihren Konsequenzen überraschen.

  2. #2 CCS
    Januar 26, 2011

    Jein. Natürlich sind diese Formeln komplex. Wenn man aber mal vergleicht, dass man bei einem heliozentrischen Weltbild alles viel einfach erklären kann und nicht in den Formeln Epizyklen usw. hinzufügen muss, damit die Erde weiterhin in der Mitte unseres Systems bleiben kann, wirken die Formeln deutlich eleganter. Genauso bei der kosmologischen Konstante, die auch nur Flickwerk war und daher eher “unschön”. Bisher haben sich meines Wissens immer die eleganten (also am wenigstens komplexen) Formeln durchgesetzt, wenn sie denn den Sachgehalt genau beschreiben. Dass sie dennoch nicht auf wenige Symbole zu beschränken sind, ist eben so.

  3. #3 Stefan W.
    Januar 26, 2011

    Die binomsche Formel ist v.a. darum ‘knackiger’ als der Text, als sie das Wissen, dass es um ein Dreieck geht, und wer da nun a, b und c heißt vorraussetzt.

    In der Schrödingergleichung kann man übrigens die zwei Zweien links wegkürzen – es sei denn eine davon meinte ² := ‘hoch zwei’.

    (-ℏ2/2m) Δψ(x) + V(x) ψ(x) = E ψ(x)

    Wer ist eigentlich Autor dieses Blogs?

  4. #4 definition
    Januar 29, 2011

    Ich würde mich der Meinung von MartinB anschließen, dass sich Differenzialgleichung in der Physik meist sehr kurz und knapp formulieren lassen und je nach Randbedingungen die unterschiedlichsten Lösungen ergeben können (teilweise auch sehr hässliche bei hässlichen Randbedingungen).

    Und ich möchte noch ein paar Nominierungen anbringen. In Einheitensystemen, in denen die Naturkonstanten normiert sind, ergeben sich die folgenden schönen Gleichungen:

    Da wären die 10 Einstein’schen Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie:

    G = 8π T

    Man beachte dabei, dass das die Gleichheit zweier symmetrischer 4×4-Matrizen ist. Aufgrund der Symmetrie haben sie 10 unabhängige Komponenten. Und man kann sie dennoch als eine Gleichung formulieren.

    Dann wären da noch die Maxwellgleichungen in Vierernotation mit Cartanischer Ableitung:

    dF = 0 und d*F = *J
    (Letztere kann man auch schreiben als: δ F = -J)

    dabei ist F eine antisymmetrische 4×4-Matrix und hat deshalb 6 unhabhängige Komponenten (3 Raumkomponenten für das elektrische und 3 für das magnetische Feld).

    @Stefan W.
    In der Schrödingergleichung heißt es natürlich “hoch 2”, deshalb kann man da nichts kürzen.

    Die Schrödingergleichung sieht natürlich noch schöner aus wenn man sie als

    Hψ = Eψ

    schreibt. Oder noch besser gleich als:

    H = E

    Manchmal ergibt sich eine gewisse Schönheit, wenn man mehrere sehr ähnliche Formeln hat. Das ist bei den Maxwellgleichungen in 3+1-Notation der Fall oder wenn man mal die Maxwell-Boltzmann-Verteilung, die Bose-Einstein-Verteilung und die Fermi-Dirac-Verteilung mal nebeneinander hinschreibt. Man könnte sicherlich noch unzählige weiter solcher Beispiele nennen.

    Faszinierend finde ich auch zum Beispiel Fraktale, bei denen, wenn man sich auf die Methode einigt, wie man sie erzeugt, man sie im Prinzip allein durch die Funktionsgleichung der Funktion darstellen kann, dessen komplexe Nullstellen man sucht und dessen Konvergenzverhalten man farblich festhält. Es ist schon interessant wie im Prinzip eine kurze Gleichung solch komplizierte Bilder ergibt.

    Es gibt aber auch eine Reihe mathematischer Formeln. Von denen fallen mir jetzt spontan nicht so viele wirklich kurze und hochsymmetrische Formeln ein. Aber ich kann hier nicht aufhören ohne nicht eines der schönsten mathematischen Theoreme hinzuschrieben — den allgemeinen Integralsatz von Stokes (Austauschbarkeit von Cartanischer Ableitung und Randoperator):

    Ω dω = ∫∂Ω ω

    Man beachte dabei erstens, dass dieser Satz einige Vektoranalytische Formeln verallgemeinert, die man im täglichen Physikerleben andauernd braucht und zweitens er auch eine Verallgemeinerung des Hauptsatzes der Differenzial- und Integralrechnung darstellt, wenn die Menge Ω, über die man integriert, ein Stückchen x-Achse und dω = f ‘(x) dx ist. Dann ist ω = f(x) und der Rand der Menge gleich der beiden Endpunkte. Man definiert das Integral über einen Punkt dann dadurch, dass man einfach in den Integranden einsetzt und dabei die Orientierung der Endpunkte beachtet, die sich aus der Orientierung der x-Achse ergibt. Das sorgt für das richtige Vorzeichen.

    [a,b] f ‘(x) dx = f(b) – f(a)

  5. #5 definition
    Januar 29, 2011

    Mir ist noch etwas eingefallen, nämlich die Hamilton’schen Bewegungsgleichungen im Hamiltonformalismus, die einen sehr schönen Zusammenhang zwischen Ort q, Impuls p und der Hamiltonfunktion H herstellen. (Man verwendet den Buchstaben q für den Ort, weil der wie ein gespielgeltes p aussieht und die Gleichungen noch symmetrischer aussehen.) Die Gleichungen sehen doch schön antisymmetrisch aus. Jedenfalls schöner als die Newton’schen Axiome, dessen Inhalt sie haben.

  6. #6 Thilo
    Februar 9, 2011

    Eine Liste der schönsten Gleichungen findet sich in diesem Forum

  7. #7 rolak
    Februar 9, 2011

    Gut, daß ich das gesehen habe^^ Bin bei den nicht zufälligen ‘almost integer’ hangengeblieben – und bei der Tupperformel. Bitpicking in der Sprache der Mathematik, das hat was 🙂