Gerade ist ein interessanter TED-Vortrag von Sam Harris veröffentlicht worden, in dem er den nächsten Schritt geht. Ok, wir haben etabliert dass es keinen Gott gibt, was jetzt? Was machen wir mit der Idee, dass Moral aus Religion kommt. Sam Harris beginnt den Weg zu argumentieren, dass Moral aus Wissenschaft kommen kann. Sehr interessant, ich weiß noch nicht ganz wie ich es einordnen soll. Interessant wird das kommende Buch dazu sein, vor allem welchen Platz er Kunst und Literatur einordnet.

Kommentare (26)

  1. #1 Lars Fischer
    03/23/2010

    Hm.
    Die Frage nach der Moral geht m.E. etwas am Thema vorbei. Die Religiösen moralhubern zwar dauernd in der Gegend herum, aber eine grundsätzliche praktische Moral ist Gesellschaften immanent. Das ist nicht so dringend. Viel wesentlicher ist ein Punkt, den der Humanismus bislang generell ziemlich verpennt hat: Sinnstiftung.
    Deswegen auch die ganzen komischen Eso-Kulte, die liefern die Weltanschauung halt mit.

  2. #2 Stefan Taube
    03/23/2010

    @Lars Fischer: Ich denke die Stärke des Humanismus ist gerade, jedes Sinnsystem als Konstruktion zu entlarven und entsprechen die Notwendigkeit einer Sinnkonstruktion in Frage zu stellen. Schöner Literaturtipp dazu: Kanitscheider “Entzauberte Welt – Über den Sinn des Lebens in uns selbst”

  3. #3 Andreas
    03/23/2010

    Cooles Video.

  4. #4 Lars Fischer
    03/23/2010

    Das mag ja vom philosophischen Standpunkt so sein, aber praktisch und vor allem gesellschaftlich scheitert der Humanismus genau daran, und deswegen sind wir auf dem besten Weg zurück in eine voraufklärerische Gesellschaft.

  5. #5 Jörg
    03/23/2010

    Ja aber eine Art von Sinn kann man doch kreieren, wenn man daran arbeitet, säkulare Gemeinschaft zu erzeugen, und dazu gehört zwangsläufig, an Moral zu arbeiten. Vermutlich ist das wissenschaftlich gesehen sowieso echt gekoppelt.

  6. #6 Thomas J
    03/23/2010

    @Jörg

    Mein Englisch is nicht so doll.
    Was ist der Argumentationsstrang, dass Moral aus der Wissenschaft kommt?
    Dass Wissen Moralvorstellungen beeinflussen ist doch irgendwie… öhm… selbstverständlich?

  7. #7 antiökofa
    03/23/2010

    “… aber praktisch und vor allem gesellschaftlich scheitert der Humanismus genau daran, und deswegen sind wir auf dem besten Weg zurück in eine voraufklärerische Gesellschaft.”

    Soll das etwa heissen der Humanismus (was immer damit gemeint sein soll) ist verantwortlich für all die Esodeppen die so rumlaufen?

  8. #8 Gott
    03/23/2010

    Ok, wir haben etabliert dass es keinen Gott gibt, was jetzt?

    Nein, habt Ihr nicht.

  9. #9 anderer Gott
    03/23/2010

    @Gott: Hast Du Beweise?

  10. #10 Horst
    03/23/2010

    Sam argumentiert explosiv gegen moralischen Relativismus, wie er in der westlichen intellektuellen Mittel- bis Oberschicht allzu gerne Fuß fasst (für mich nicht unähnlich dem Konzept der politischen Korrektheit).

    Dass ich soweit gehen würde, zu sagen, er leitet Moral direkt aus der Wissenschaft ab, denke ich nicht. Viel eher aus deren Erkenntnissen, garniert mit einer gehörigen Portion offener Fragen bezüglich der tatsächlichen Definition von “well-being”. Auf jeden Fall macht er deutlich, dass Moral nicht egal ist und man, genügend gravierende Unterschiede vorausgesetzt, sehr wohl erkennen kann ob ein System besser ist als ein anderes.

  11. #11 CHR
    03/24/2010

    @Horst
    Das ist eine allzu enge, wenn nicht gar verfälschende Beschreibung dessen, was (moralischer) Relativismus umfasst, wobei auch geflissentlich ausgeblendet wird, dass moralischer Relativismus nicht mit moralischer Entgrenzung gleichzusetzen ist. Leider verfällt auch Sam Harris anscheinend der irrigen Annahme, Relativismus umfasse, was er im Ted-Bundy-Vergleich illustriert, nämlich das Relativismus eine bedenkenlos gleichmacherische Rangordnung (oder Rangauflösung) moralischer Kriterien postuliere.

    Zunächst ist diese eine simplifizierende Vereinheitlichung unterschiedlicher philosophischer Debatten, welche ohne jegliche Detailbetrachtung unter dem Begriff ‘moralischer Relativismus’ erfasst wird und obendrein die populäre Meinung über diesen Begriff prägt. Dem Stand der philosophischen Debatte(n) entspricht dies allerdings nicht. Zwar gibt es auch radikale relativistische Thesen im Sinne der moralischen Rangauflösung, nur sind diese heftig umstritten und keineswegs herrschende Meinung, wie Harris es in diesem Fall suggeriert.

    Wichtig für das Verständnis relativistischer Positionen ist zunächst die Unterscheidung zwischen Epistemologie und Ontologie. Ontologie beschäftigt sich dabei, vereinfacht ausgedrückt, mit der Wahrheit oder Realität – dem Sein. Epistemologie mit der Erkenntnis – dem Erfahren und der Erfahrbarkeit des Seins, wenn man so will.

    Relativistische Thesen sind in der Regel epistemische, d.h. sie beschäftigen sich in der einfachsten Form damit, dass in diesem Fall der Mensch und somit seine kognitiven Eigenschaften Wahrheit nur in der Relation zu anderen Menschen wahrnehmen, messen und prägen kann. Ontologisch zielen sie dabei kaum auf das absolute Sein/Wahrheit ab, mehr noch, sie setzen oftmals sogar gerade die Existenz einer objektiven Wahrheit voraus.

    Harris unterstellt allerdings zumindest fahrlässigerweise, dass Relativismus erstens primär ontologische Aussagen treffe, was schlichtweg falsch ist, und zweitens unterschlägt er, dass diejenigen ontologisch relativierenden Thesen die Mehrheitsmeinung, wenn nicht gar sämtliche philosophischen Annahmen zum Relativismus darstellten.

    Es würde zu weit führen, nun auch noch genauer darauf einzugehen, wie Relativismus sich zur Moral verhält, aber immerhin sei festgehalten: Relativismus hat nicht die Abwesenheit von (absoluter/objektiver) Moral oder das bis zur Unkenntlichkeit der Moral relativierende Gleichsetzen verschiedenster Handlungen zum Ergebnis, ohne dass eine Wertung und hierarchische Ordnung der Handlungen möglich wäre. Relativismus bezieht sich lediglich auf den Umstand, dass dem Menschen der Zugang zur absoluten Wahrheit nur über den bedauerlicherweise unzulänglichen Weg der relativen Verhältnisse der Menschen, die sie untereinander mit zumal beschränkten sensorischem Rüstzeug erkennen, möglich ist. Damit ist dann die Tür geöffnet, zu den Thesen von sozialer Konstruktion auch von moralischen Vorstellungen. Zu diesem komplexen Thema schweigt sich Harris in seinem reichlich unbefriedigenden Vortrag aber aus und begnügt sich stattdessen mit reichlich banalen Feststellungen und einer das Ziel – den Relativismus – mangels Verständnis(bereitschaft) verfehlenden Pointe. Was Harris diesbezüglich von sich gibt, ist in der Philosophie kalter Kaffee; wer Harris beipflichtet, trinkt ihn.

  12. #12 Horst
    03/24/2010

    Huch! Und ich dachte immer, Relativismus sei eine Denksportübung, die Philo-Profs gerne früh im Studium geben, um mal zu schauen, wer den Widerspruch knackt:

    A: Alle Aussagen sind relativ (keine ist absolut)
    B: Aussage A ist absolut.

    Selbstwiderspruch.

    Fertig.

    PS: tl;dr.

  13. #13 adenosine
    03/24/2010

    Moral kommt nicht aus der Wissenschaft, sondern aus dem Nutzen, den sie für ein soziales Zusammenleben von Menschen bringt. Institutionen erheben oft nur den Anspruch, dass sie die Quelle von Moral seien. Es gib objektive Gründe aus denen wir leben, aber keinen objektiven Sinn, den muss jeder für sich selbst finden oder nicht finden. Wahrscheinlich reicht es, sein Leben so einzurichten, dass sich Zufriedenheit einstellt.

  14. #14 Jazzpirate
    03/24/2010

    Egal um welche Form von “Wahrheit” es geht – Wissenschaft ist immer per definition die einzig objektiv gültige Methode zur Untersuchung von Fragestellung. Ich wüsste nicht, warum Moral da eine ausnahme sein sollte – sollte unsere Moralvorstellung nicht auf unserer Realität basieren? Also auf wissenschaftlich erarbeiteten Erkenntnissen? (es hat z.B. einen Grund warum Wirbeltiere gesetzlich geschützt sind und Weberknechte nicht) Sollten potentielle Gesetze oder Verhaltensregeln nicht zumindest überprüft werden? Wir wissen z.B. aus entsprechenden Studien, dass die Todesstrafe keinen zusätzlichen Kriminalitätsreduzierenden Effekt hat. Wäre es nicht schön, wenn gewissen Staaten solches Wissen mal beachten würden bei ihrer “Moral”?

    “Moral kommt nicht aus der Wissenschaft, sondern aus dem Nutzen, den sie für ein soziales Zusammenleben von Menschen bringt”
    und wie bestimmen wir diesen Nutzen, wenn nicht mit Wissenschaft?

  15. #15 Arnd
    03/24/2010

    @CHR: Ich glaube deine Kritik geht am Ziel vorbei. Sam Harris kritisiert nicht die aktuelle philosophische Diskussion um Relativismus, er kritisiert den aktuellen Zeitgeist, also nicht die Philosophen, sondern die ganz normalen Leute auf der Strasse.

    Sein wichtigster Punkt ist, dass es moralische Wahrheiten gibt, dass nicht alle Positionen zur Moral gleichwertig sind. Die Wahrheiten selber deutet er nur an und sie kommen wohl auch eher aus einem Bauchgefühl.

  16. #16 CHR
    03/24/2010

    @Horst
    *headdesk*

    @Arnd
    Klar kann man Sam Harris so verstehen, dass er sich nur mit dem Zeitgeist auseinandersetzt, wobei mir allerdings schleierhaft ist, warum er dann nicht auf zumindest einige Grundlagen der Disziplin verweist, die sich damit beschäftigt. Für mich bleibt der Verdacht bestehen, dass er sich gar nicht damit beschäftigen wollte. Man kann den Zeitgeist durchaus mit Mitteln der Philosophie angehen und gerne auch vereinfacht wiedergeben.
    Sein Bauchgefühl sei ihm gestattet, keine Frage, doch sollte er es nicht in feine Worthülsen packen, die dem Laien suggerieren, er hätte irgendeinen originellen Gedanken gefasst.

  17. #17 Jörg
    03/24/2010

    @CHR: Wenn die Philosophen alles schon so schlau gedacht haben, warum versuchen sie das dann nicht zu verbreiten und zu vermitteln statt sich auf die Schulter zu klopfen wie schlau sie doch sind?

  18. #18 Horst
    03/24/2010

    CHR: Es kommt mir gerade so vor wie die Aufregung der Theologie über Dawkins Gotteswahn: Man würde doch eh so schön feingeistige Gedanken spinnen, die Kritik gehe völlig am Kern der Sache vorbei.

    Ist das wirklich so?

  19. #19 CHR
    03/24/2010

    @Horst
    Ich kann verstehen, wie Du dazu kommst beides zu vergleichen. Gut möglich, dass ich einen Punkt nicht besonders hervorgehoben habe: Ich wollte Sam Harris nicht unterstellen, dass seine Beschäftigung mit diesem Thema nicht wichtig sei, sie ist es. Mehr noch, ich bin der Meinung, er könnte sein Ziel besser erreichen, wenn er auf ein nötiges Mindestmaß an philosophischem Rüstzeug zurückgegriffen hätte. Seine Schlüsse sind halt alles andere als zufriedenstellend, gerade weil ich weiß, wo er eigentlich hin will und dieses Ziel sogar teile.

    Insofern sage ich, es ist nicht damit vergleichbar, was Theologen Dawkins vorwerfen. Diese Vorwürfe sind oft Schutzbehauptungen für ein inhärent geschlossenes, aber nicht absolut zu rechtfertigendes Gedankengebilde. Mein Vorwurf an Harris hat mehr mit dem zu tun, was Dawkins den Kreationisten vorwirft, nämlich sich nicht mit den essentiellen Grundlagen beschäftigt zu haben. Wichtig: Ich unterstelle Sam Harris aber nicht, dass er ansatzweise so debil argumentiert wie Kreationisten. Dahingehend hinkt der Vergleich völlig.

    @Jörg
    Auch hier kann ich verstehen, wie Du zu Deinen Annahmen kommst. Aber lass mich antworten, indem ich mal einen simplen relativistischen Versuch unternehme: Relativistisch könnte man so vorgehen: Person A macht Aussagen über Handlungen und Eigenschaften von Gruppe B. Nimmt man an, dass Person A über einen individuellen und notwendigerweise nicht allumfassenden Erkenntnisraum verfügt, ist möglich, dass Person A in dem Glauben verharrt, alle hinreichenden Informationen zu verfügen, um über die Eigenschaften von B Aussagen treffen zu können. Allerdings sollte hierbei betont werden, dass Person A nicht im Zustand der Allwissenheit agiert, sodass die getroffenen Aussagen zwar nicht im ontologischen Sinne der Wahrheit entsprechen müssen, allerdings epistemisch der Person A als Wahrheit erscheinen mögen. Eine Person C könnte aber aufgrund eines anderen Sets an Informationen zu B zu unterschiedlichen Schlüssen hierüber gelangen. Ontologisch kann erst einmal eine Wahrheit über B bestehen, A und C müssen sich dennoch idealerweise darüber einigen, wie B zu erkennen sei. Die Wahrheit über B bleibt die Wahrheit über B, nur ist der Grad der Wahrnehmung hiervon in der einfachsten Variante abhängig von den relativen Erkenntniszuständen von A und C.

  20. #20 Moritz
    03/25/2010

    “Auf jeden Fall macht er deutlich, dass Moral nicht egal ist und man, genügend gravierende Unterschiede vorausgesetzt, sehr wohl erkennen kann ob ein System besser ist als ein anderes.”
    > genau! Nur in dem fall brauche ICH keine wissenschaft, in dem fall kann ich es selbst abwägen.
    Was ganze erinnert mich an “Ökonomik” und “Soziologie” beides sehr weiche wissenschaften in meinen augen. Eine Wissenschaft die nicht zu aussagen oder vorhersagen taugt ist in meinen augen keine.

  21. #21 Jürgen
    03/25/2010

    Ich möchte Stellung nehmen zur Aussage von Horst bezüglich absolut und relativ.
    Ich meine:
    Von meinem Standpunkt aus gesehen sind meine im Jetzt gemachten Aussagen absolut. Im Rückblick oder in der Reflexion ist das nicht mehr so.
    Von meinem Standpunkt aus gesehen sind deine Aussagen relativ, weil sie auf dich bezogen sind.
    Von deinem Standpunkt aus gesehen sind deine im Jetzt gemachten Aussagen absolut.
    Von deinem Standpunkt aus gesehen sind meine Aussagen relativ.

    Also: Absolutheit ist immer auf das Ich und das Jetzt bezogen.

    Der “Selbstwiderspruch” ergibt sich nur, weil man das Ich, das die Aussage wahrnimmt, bei der theoretischen Betrachtung vergisst. Aber jede Wahrnehmung ist im Augenblick, im Jetzt, auch jede Erinnerung kann nur im Jetzt wahrgenommen werden. Der Augenblick ist absolut und perfekt (vollendet).

  22. #22 Andrea N.D.
    03/25/2010

    @CHR:
    Aber ist es nicht notwendig, bei moralspezifischen Fragen sich eben genau über die Basis intersubjektiver Erkenntniszustände hinaus zu verständigen? Man muss diese ja nicht gleich absolut setzen (obwohl das für die meisten Menschen einfacher wäre / ist). Ich kann Deine Erläuterungen nachvollziehen, aber mehr als die Erkenntnis, dass Menschen subjektive “Erkenntniszustände” haben, besagen sie auch nicht. Hier geht es doch um wesentlich mehr.

  23. #23 Jürgen
    03/25/2010

    @Andrea N.D.:
    Es geht um wesentlich mehr, da hast Du recht. Und zwar um Dein Wesen. Es geht darum, dass die subjektiven “Erkenntniszustände” nicht nur erreicht werden über Dinge außerhalb von dir und mir, sondern dass wir zuerst ein Selbst-Verständnis von uns selbst erreichen.
    Erst wenn wir unser Wesen wirklich verstehen, sind wir auch in der Lage andere und anderes zu verstehen.
    Die Wissenschaft, auch die Philosopie, hat die größte Scheu, sich mit dem eigenen Ich zu beschäftigen. Auch die Physik redet immer vom Beobachter (allgemeine Relativitätstheorie und Quantenphysik). Aber wer dieser scheinbar anonyme Beobachter ist und wie seine Wahrnehmung wirklich funktioniert, das hat man immer vernachlässigt. Erst in jüngster Zeit hat die Neurophysiologie darüber zögerliche Aussagen gemacht. Die Selbst-Erkenntnis ist natürlich ein extrem heißes Eisen, aber auch das größte Abenteuer, das wir erleben können.

  24. #24 Andrea N.D.
    03/25/2010

    @Jürgen:
    Ich finde Neurophysiologie auch spannend, aber kenne mich damit nicht so gut aus. Spontan fällt mir ein: Das Selbst-Verständnis ist ja nie voraussetzungslos, d.h. hier fließen (Moral)Vorstellungen bereits mit ein. Insofern kann die Wesenserkennung ein Ansatz für eine gemeinsame moralische Basis sein, die moralische Basis ist aber gleichzeitig die Voraussetzung für die Wesenserkennung.
    Ausgangspunkt war für mich die Frage: Wie begründen wir unsere Moral unter dem Wegfall einer absoluten Transdendenz? Dass dies funktioniert steht außer Frage. Für mich ist wesentlich – und das gefällt mir so gut an dem genannten Ansatz – dass andere Begründungsformen gesucht und gefunden werden. Nur so kommen wir letztendlich von der Fundamentalargumentation eines absoluten Wesens los und gelangen, durch Wegfall von absoluten Glaubenspositionen, damit auf eine breitere (und möglichst tolerantere) moralische Verständigungsbasis.

  25. #25 Jürgen
    03/26/2010

    @Andrea N.D.:
    Die alte Moral, die du meinst, ist nicht begründet von einer absoluten Transzendenz. Sie ist entstanden unter Zuhilfenahme eines billigen Abklatsches, mittels eines verzerrten Gottesbildes, das aber immerhin unsere Kultur und uns geprägt hat. (Wer irrt weiß nicht, dass er irrt, er kann es höchstens fühlen und ein negatives Gefühl ist der Anlass für Veränderung.) Die absolute Transzendenz ist unbewegt und perfekt (vollendet), sie ist Nichts und Alles, sie hat kein Interesse daran, uns eine Moral zu geben. Aber wir, wir leben und sind nicht perfekt und fühlen genau das als Mangel. Wir wollen eine Moral, die uns Trost, Orientierung und somit Sicherheit gibt in einer auseinander driftenden Welt, die aber nie perfekt sein kann, immer im Wandel sein wird, denn zu viel Sicherheit macht unbewegt.
    Es ist unser sehnlicher Wunsch, erzeugt durch das Mangelgefühl, der uns die Lösung in Form einer neuen “Moral” bringen wird. Wir können die neuen Formen des verständnisvollen Umgangs miteinander erschaffen, wenn wir verstehen, dass in jedem von uns die Kraft steckt, unsere Ziele zu erreichen. Diese Kraft kann aber erst richtig wirken, wenn wir ohne Ängste und ohne Schuldgefühle sind. Genau diese zwei haben die alte Moral geprägt. Wenn wir wirklich zu uns selbst finden, können wir Beschränkungen und Getrenntsein abschütteln. Die neue “Moral” wird dann in jedem von uns begründet sein, in starken, selbstsicheren Persönlichkeiten, die auch Schwache tragen können. Wir werden uns dann jenseits vom Gut und Böse der alten Moral befinden. Und für Moral brauchen wir dann einen neuen Begriff.
    (Nietzsche hat dazu einiges Interessante geschrieben)
    Willst du so weit gehen? Fürchte dich nicht!

  26. #26 Andrea N.D.
    03/26/2010

    @Jürgen:
    Weder fürchte ich mich, noch betrachte ich mich als Mängelwesen. Ich habe Nietzsche nicht so verstanden, dass er die Menschen als Mängelwesen betrachtet. Er betrachtet eher die religiösen, resp. christlichen Menschen als Mängelwesen. Und ich eifere auch keiner absoluten Transzendenz nach – diese existiert für mich schlicht nicht.
    Moral ist vielmehr unabdingbar für das menschliche Zusammenleben – darum geht es, nicht um irgendeinen Mangel, wei ich nicht so perfekt wie eine nichtexistierende Transdendenz bin.
    Ich “fürchte” doch etwas: Wir sind hier an ein Ende unserer Diskussion gelangt.