Neutrinos zu untersuchen, ist eines der spannendsten aktuellen Ereignisse in der Teilchenphysik. Dank ihren besonderen Eigenschaften, nur an der Schwachen Wechselwirkung teilzunehmen, können sie uns viele Informationen von den Rändern des Standardmodells liefern. Leider sind sie deswegen auch sehr schwierig zu detektieren, weswegen man große Tanks und viel Geduld braucht. Die ersten Experimente schauten sich die Neutrinos an, die von der Sonne kamen, wie z.B. das Homestake-Experiment. Das ging deswegen, weil man die Prozesse in der Sonne kennt, und ausrechnen kann wieviele Neutrinos entweichen müssen. Seltsamerweise zählte man zu wenige – das Sonnenneutrinos-Problem.
Neutrinos sind die Partnerteilchen zu den drei Leptonen Elektron, Myon und Tauon. Man erwartete, dass sie masselos seien, aber die Lösung für das Sonnenneutrinos-Problem verlangt, dass sie doch eine geringe Masse tragen. Und die Lösung besagt in etwa, dass die Erscheinungsart des Neutrino, die wir als Masse tragend beobachten, nicht gleich einer der drei Geschmacksrichtungen an Neutrinos ist (also Elektron, Myon oder Tau). Stattdessen ist ein solche Masse-Zustand eine Mischung aus den Geschmacksrichtungen. Klingt seltsam, ist es auch, scheint aber die Lösung zu sein. Diese Mischung bedeutet außerdem eine Möglichkeit zur Umwandlung der Neutrinos ineinander – ein Teil der erwarteten Sonnenneutrinos hatte sich einfach in eine andere Geschmacksrichtung verwandelt, wie man auch später in Experimenten nachweisen konnte, die nach den anderen Neutrinoarten suchten.
Neuere Experimente nutzten dann Teilchenbeschleuniger, die durch Beschuss eines festen Ziels Neutrinostrahlen erzeugten, die dann in einigen Hundert Metern, oder mittlerweile Hundert Kilometern Entfernung von einem großen Detektor gezählt wurden. Dadurch will man genauer die Umwandlungsraten ermitteln.
Da fehlt doch was – oder nicht – oder doch?
Eines der ersten Experimente, der Liquid Scintillator Neutrino Detector (LSND) in Los Alamos fand 1990 ein unerwartetes Ergebnis: Die gemessenen Umwandlungsraten für Antineutrinos konnten nicht durch das Standardmodell reproduziert werden! Wenige Jahre später konnte man durch weitere Experimente mehr als drei Generationen an Neutrinos ausschließen. Aber Theoretiker kannten noch einen Ausweg: Bestimmte Modelle jenseits des Standardmodells sagten sterile Neutrinos vorher, ganz bestimmte Mischungen die noch scheuere Teilchen erzeugten. Im Gegensatz zu den bekannten Neutrinos würden diese sterilen Neutrinos noch nicht einmal an der Schwachen Wechselwirkung teilnehmen. Wenn man bedenkt wie schwierig bereits die bekannten Neutrinos zu finden sind, wäre es als kein Wunder wenn man sterlie Neutrinos noch nicht gefunden hätte.
Dann aber kam erst einmal die Reproduktion der Messergebnisse durch das MiniBooNE-Experiment. Oder auch nicht. Denn 2007 konnte die Forscherinnen dieser Kollaboration bekannt geben: Unsere Messungen lassen sich wunderbar durch das Standardmodell erklären. LSND hat Unfug gemessen.
Oder haben sie?
Im Gegensatz zu LSND hatte MiniBooNE nämlich Neutrinos vermessen und nicht Antineutrinos. Um sicher zu sein, machte man sich 2006 an die Arbeit und stieg auf Antineutrinos um. Diese Antimaterie-Partner zum Neutrino sind allerdings schwieriger zu erzeugen, weswegen MiniBooNE länger braucht, um ausreichend Statistik zusammen zu bekommen. Im Juli wurden erste Ergebnisse bekannt gegeben (die zwar noch zwei Jahre zu früh sind um die wirklich gewünschte Statistik zu beinhalten, allerdings auch schon nur noch 3% Raum für einen Fehlgriff lassen). Und die neuen Daten scheinen LSND zu rehabilitieren, was wirklich überrascht: Denn das bedeutet dass Neutrinos und Antineutrinos sich unterschiedlich verhalten.
In den beiden Plots sieht man zunächst oben die alten Ergebnisse für die Neutrinos. Es wird jeweils für verschiedene Energiebereiche des Neutrinos gezählt, wieviele Neutrinos man zählen konnte. Diese Messergebnisse sind als blaue Datenpunkte gezeigt. Ihre Unsicherheitsbalken erfassen voll die Stufen der Erwartung. Um die Stufen der Erwartung zu bauen, setzt man alle die Quellen zusammen, aus denen Neutrinos kommen können. Dies sind natürlich die erwarteten umgewandelten Neutrinos aus verschiedenen Zerfällen, aber auch die Hintergrundereignisse, z.B. durch radioaktive Zerfälle in der Nähe des Detektors oder durch fälschlich erfasste andere Teilchen.
Im unteren Plot aber sind die Ergebnisse für die Antineutrinos aufgetragen, also die Teilchensorte, die man bei LSND verwendet hat. Hier erwartet man keine Abweichungen von den Stufen, aber die blauen Datenpunkte liegen oft trotz großer Fehlerbalken wirklich daneben!
Jenseits des Standardmodells?
Was kann das sein? Nun, wenn sich die Messungen bestätigen, dann muss das Modell falsch sein dass die Stufen erzeugt. Die Interaktion mit einem, oder sogar mehreren sterilen Neutrinos könnte die Abweichungen im Verhalten erklären. In einem Versuch, die Ergebnisse mit einem sehr generellen Modell mit zwei zusätzlichen sterilen Neutrinos zu reproduzieren, gelang die Anpassung an jeweils einen der Plots, aber NICHT die gemeinsame Wiedergabe beider Plots. Aber mit einem Modell das Interaktionen jenseits des Standardmodells erlaubt und mit einem sterilen Neutrino gelang es Evgeny Akhmedov und Thomas Schwetz vom Max-Planck-Institut in Heidelberg, die Stufen für beide Plots zurecht zu rücken.
Übrigens habe ich schon im Juni von einem anderen Experiment – MINOS, berichtet, das ebenfalls Unterschiede zwischen Neutrinos und Antineutrinos sieht. Sind das also tatsächlich die ersten Symmetriebrechungen die uns Physik jenseits des Standardmodells liefern? In 2-3 Jahren sind wir schlauer!
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