Ich habe mir zwei neue Begriffe einfallen lassen für Arten an Kommentatoren und Meinungsabgeberinnen, die man oft antrifft.
Der erste Begriff ist der oder die
Invers-Offene: Ein Mensch, der oder die postuliert, dass man nichts absolut beweisen kann oder dass man noch nicht alles weiß, um seine festgefahrene Meinung nicht überprüfen zu müssen und als gleichwertig in die Diskussion einbehaupten zu können.
Beispiele sind hier:
Eine Dynamik des Lebens samt seiner Gene in einer Biosphäre, die wir Menschen (einschließlich ihnen und mir und der anderen hier) hoffentlich gerade erst anfangen zu verstehen.
Verstehen sie – wir haben zwar viel gelernt aber vieles ist noch nicht und in seiner ganzen Tiefe und Bandbreite verstanden worden.
oder hier:
Aussage b ist falsch, weil nichts in sich Widersprüchliches und auf die Zukunft Bezogenes jemals ausgeschlossen werden kann. Wer bspw. auf der Erde einen Stein in der sich nach unten öffnenden Hand hält, kann nicht ausschließen, dass er sich nicht auf den Boden fallen wird. – Zumindest gilt das als erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Konsens.
Dies ist meistens ein zweistufiger logischer Fehlschluss. Ganz unabhängig davon, wie viel man wirklich über ein Thema weiß (was meistens deutlich mehr ist als der Invers-Offene weiß oder zugibt), impliziert die Invers-Offene, dass irgendein Mangel an perfektem Wissen gleichbedeutend damit ist, dass man überhaupt nichts weiß. Und als zweite Folgerung steht dann noch unausgesprochen im Raum, dass daher auch, was weiß ich, Homöopathie wirkt oder wirken kann oder dass Klimamodelle keine Prognosen oder Projektionen schaffen können.
Die zweite Kategorie, die entweder gerade in Mode kommt oder mir deutlicher auffällt, ist der
Sekundäraufreger: Ein Mensch, der oder die sich aufregt, wenn jemand extrem dumme Mensch als dumm bezeichnet oder den Papst beleidigt.
Beispiele sind hier:
es geht nicht drum, ihnen alles durchgehen zu lassen, sondern darum, nicht zu den gleichen mitteln hass und diffamierung zu greifen.
oder hier:
„Ausdruck von Bosheit und Dummheit”, „niveaulos und absolut primitiv”. Die CDU-Politiker Martin Lohmann und Norbert Geis haben einen Sketch bei der Kölner Stunksitzung über Homosexualität und Missbrauch in der katholischen Kirche scharf kritisiert.
Man kann zwei Kategorien von Sekundäraufregern erkennen. Das zweite Zitat fällt in die Kategorie von Menschen, die dooftreu und dogmatisch z.B. den Papst verteidigen, und dazu “Untaten” erheblich unterschiedlichen Ausmaßes (die Beraubung der Menschenwürde für alle Homosexuellen vs. Kappensitzungs-Späße über den Papst).
Die Unterkategorie von Sekundäraufregern, die man eher hier in den Kommentaren findet, sind oft Kommentatoren, die vorher noch keine konstruktiven Beiträge geleistet haben. Dann aber plötzlich taucht die Sekundäraufregerin auf, um zur Ordnung zu rufen. In dieser Kategorie kann man eine grundlegende Sympathie für die Anliegen des Autors wahrnehmen, aber die Art und Weise wird kritisiert; siehe z.B. auch die “Don’t be a dick“-Debatte oder Tone Trolling.
Hier liegt ein Missverständnis zugrunde, nämlich dass nur weil man selbst einem höflichen Umgangston hohe Priorität zumisst, jeder sich so verhalten müsse. Außerdem noch das Missverständnis, dass nur weil man ein gemeinsames Anliegen hat, sich jemand andere automatisch derart Gruppen zugehörig weiß, dass man anders mit ihr umgehen kann.
Im Grunde ist dies nämlich ein selbstzerstörerischer Weg: Ich zumindest fühle mich schon beleidigt, wenn jemand der vorher nicht in Erscheinung getreten ist plötzlich auftaucht und als einzige Botschaft am Umgangston zu meckern hat. Das setzt nämlich, wie in der ersten Unterkategorie, unterschwellig die Schwere der “Untaten” gleich. Kurz gesagt: Man sagt jemanden unfreundlich, dass er doch freundlich sein sollte, um effektiver zu sein.
Und wenn Menschen unglaublich dumme und verachtende und gefährliche Dinge sagen oder tun, dann ist es nicht ok, zu fordern dass man da sachlich bleibt. Und: Angriffe sind nicht deswegen weniger verletzend oder akzeptabel, weil man keine Kraftausdrücke verwendet oder doppelzüngig redet.
Invers-Offene schreibe ich übrigens mit Bindestrich, weil man sonst In-Versoffene lesen könnte. Nicht, dass das nicht auch passen würde 😉
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