Mit meinen Erläuterungen zur zeitsymmetrischen Formulierung der Quantenphysik habe ich erfolgreich Verwirrung gestiftet. Deswegen wollen wir uns der Sache mal nähern und das erste Experiment anschauen, dass tatsächlich eine schwache Messung vollzogen hat.

Aharonov hatte einen Ansatz formuliert, der die Symmetrie der Zeit in der Quantenphysik wiederherstellen sollte. Diese wird dadurch gebrochen, dass eine Messung ein Quantensystem in einen Messwert (Eigenzustand) treibt. Die beunruhigende Idee ist, ein Quantensystem nicht nur durch die zeitliche Entwicklung ab dem Anfangszustand zu beschreiben, sondern zusätzlich die zeitliche Entwicklung von einem ausgewählten Endzustand rückwärts (in der Zeit) darüber zu lagern. Das ist zunächst eine mathematische Vereinfachung, mit der Einführung des Konzepts der schwachen Messung 1990 durch Aharonov und Vaidman ergaben sich daraus … messbare Konsequenzen.

Schwache Messung

Letztlich ist die schwache Messung “nur” die Wahrscheinlichkeit dafür, ein Quantensystem in der Zeit zwischen zwei starken Messungen in einem bestimmten Zustand zu finden. Die Idee ist, so schwach zu messen, dass das System nicht in einen Zustand gedrängt wird, technischer ausgedrückt ist die Messunsicherheit groß im Vergleich zum Unterschied der Werte, in die das System fallen kann. Unten sehen wir dann, wie das konkret in einem Experiment durchgeführt wurde.
Eine überraschende Folge ist, dass der schwache Messwert deutlich größer sein als die Zustände, in die das System bei starken Messungen fallen kann (die Kompassnadel die scheinbar länger wird). Die Ursache dafür ist etwas, was Aharonov eine Superoszillation nennt: Wenn man Wellen aufaddiert, die leicht verschoben sind, kann man eine deutlich größere Verschiebung in der Summe erhalten. Da mathematisch in der zeitsymmetrischen Formulierung die schwache Messung eine Interferenz zwischen den verschiedenen Quantenzuständen ist, liegt genau so eine Aufaddierung vor. Hier in einem Bild aus Aharonov&Vaidman, Physical Review A, 41, 1990:

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Jede der Gaußverteilungen im obigen Bild stellt eine mögliche Welle dar, die ihren Mittelwert irgendwo zwischen -1 und 1 hat. Im unteren Bild sieht man aber des Ergebnis der Addition aller Wellen: Eine Kurve (die durchgezogene Linie, die gestrichelte Linie ist eine Gaußverteilung die diese Kurve annähert), die deutlich stärker verschoben ist, und ihren Mittelwert bei 3 hat. So können in schwachen Messungen Werte zustande kommen, die höher sind als die Werte die das System eigentlich annehmen können sollte: Eine Folge der Überlagerung und Verflechtung mehrerer Quantenzustände. Die schwache Messung wirkt als Verstärker.

Im Experiment

1991 konnten Ritchie, Story und Hulet dann auch tatsächlich eine Messung einer solchen Verstärkung berichten. In ihrem Messaufbau verwendeten sie einen Laser und Polarisatoren für die starken Messungen. Ein Polarisator lässt nur Licht durch, bei dem das elektrische Feld der Lichtwelle in einer bestimmten Ebene schwingt. Der zweite Polarisator war fast, aber nicht komplett, senkrecht dazu eingerichtet. (In der Sprache der zeitsymmetrischen Formulierung “vorselektiert” der erste Polarisator Zustände während der zweite sie “nachselektiert”.) Wären die Polarisatoren genau senkrecht zueinander, würde gar kein Licht durchdringen können, aber die kleine Abweichung lässt doch noch einen Anteil Licht durch. Und in der schwachen Messung stellt sich genau die Situation ein, die das obige Bild beschrieben hat: Eine Superoszillation, bei der eine kleine Abweichung stark verstärkt werden kann.

Zwischen den Polarisatoren befindet sich ein doppelbrechender Kristall. Ein solcher Kristall unterscheidet Licht der beiden senkrecht zueinander stehenden Polarisationen und schickt diese Anteile auf leicht unterschiedliche Wege. Hier ist aber der Trick, der daraus eine schwache Messung macht: Der Abstand zwischen den beiden Wegen ist deutlich kleiner als die Breite des Laserstrahls! Aber das Experiment zeigt im Endresultat eine deutliche Verschiebung (aus Ritchie et al., Physical Research Letters, 66, 1991):

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Im obigen Panel ist eine Vergleichsmessung dargestellt, bei der beide Polarisatoren in die gleiche Ebene gedreht waren. Gezeigt ist jeweils ein Gauß-Fit (durchgezogene Linie) an die Messdaten. Darunter ist das Ergebnis der schwachen Messung, also mit nicht ganz senkrecht zueinander gedrehten Polarisatoren. Die Verschiebung des Mittelwertes der Kurve auf der x-Achse ist zwanzig Mal größer als der Unterschied in der Wegen durch den doppelbrechenden Kristall, und 8mal größer als die mittlere Breite des Laserstrahls!


Referenzen:

Aharonov, Y. & L. Vaidman (1990): Properties of a quantum system during the time interval between two measurements. Physical Review A, 41, 11-18.

Ritchie, N. W. M., J. G. Story & R. G. Hulet (1991): Realization of a measurement of a “weak value”. Physical Review Letters, 66, 1107-1110.



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Kommentare (3)

  1. #1 edlonle
    02/03/2011

    Ah…Danke Jörg….Jetzt ist mir das ein bisschen klarer. Da gab’s auch einen Artikel in SdW den kram ich nochmal raus. (Ich sollte die mal ordnen…so findet man ja garnix)

    Gruß
    edlonle

  2. #2 MisterX
    02/03/2011

    Ist das nicht dieser Quanten-Zeno effekt? also vom prinzip her??

    gruß

  3. #3 Jörg
    02/03/2011

    Nein, beim Quanten-Zeno-Effekt versucht man fortlaufend oder kontinuierlich stark zu messen, um z.B. die Zeit bis zum Zerfall eines instabilen Atoms zu verlängern.