Sam Harris ist eine der Frontfiguren der weltweiten atheistischen Anstrengungen. Er ist ein verdammt kluger Denker und kann messerscharf und aufs Wesentliche argumentieren. Umso erschütternder und gefährlicher ist es, wenn jemand wie er sein Privileg als weißer Mann heraushängen lässt und in ungefilterten Rassismus verfällt, wobei noch nicht mal stimmt was er behauptet wozu es gut sei. In einem neuen Blogpost “In Defense of Profiling” ist er genervt davon, dass auch Weiße von der TSA schikaniert werden. Doch statt der naheliegenden Schlussfolgerung – dass das gesamte Sicherheitstheater eben nur ein große Show ist, fordert er, doch Menschen mit anderer Gesichtsfarbe auszusondern, denn das seien ja schließlich die Terroristen. Der Artikel ist von vorne bis hinten so schlimm, dass es sich schon lohnt, etwas genauer hinzuschauen:
Much has been written about how insulting and depressing it is, more than a decade after the events of 9/11, to be met by “security theater” at our nation’s airports. The current system appears so inane that one hopes it really is a sham, concealing more-ingenious intrusions into our privacy.
Genau so ist es. Die ganze Kiste ist eine einzige große Schaunummer um Sicherheit vorzuspiegeln, und adressiert ja noch nicht mal die Ursache der Anschläge vom 11. September 2001: Dass die USA systematisch und mit Gewalt die Politik der Welt bestimmt.
The spirit of political correctness hangs over the whole enterprise like the Angel of Death–indeed, more closely than death, or than the actual fear of terrorism. And political correctness requires that TSA employees direct the spotlight of their attention at random–or appear to do so–while making rote use of irrational procedures and dubious technology.
Der “Geist der politischen Korrektheit” ist in diesem Fall auch als “fundamentale Menschenrechte” bekannt, aber daran stört sich Sam Harris offenbar.
Although I don’t think I look like a jihadi, or like a man pretending not to be one, I do not mean to suggest that a person like me should be exempt from scrutiny.
a) Ist es die Aufgabe der TSA, ‘Jihadi’ zu verhindern? Ist das tatsächlich die einzige Gefahr, oder gibt es in einem Land, in dem 90 Waffen auf 100 Menschen kommen und es jede Menge bekloppte gibt die wahlweise die Regierung oder nur Teile davon wegsprengen möchten, auch andere Hautfarben, die gefährlich sein könnten?
b) Wie sieht denn ein ‘Jihadi’ aus? Dunklere Hautfarbe, Turban, Koran unterm Arm? Hat Sam Harris wirklich ein derart einfaches Weltbild, in dem ‘Jihadi’ – wer so genau das jetzt auch sein soll, ein gewisses Aussehen haben? Anscheinend, denn seine Lösung umfasst genau das: Spezielles Profiling von Muslimen. Denn: ‘Jihadis’ sind alle Muslime, daher erfasst man alle ‘Jihadi’, wenn man Muslime untersucht. So einfach ist das Weltbild eines Rassisten.
c) Ach wie gönnerhaft, dass der Herr Weißes Gesicht sich bereit erklärt, auch ein bisschen angeguckt zu werden. Aber die Muslime doch bitte mehr, damit man nicht unnötig alte Menschen oder dreijährige Mädchen untersucht. Und wie bitte erkennt man Muslime? Ist ja nicht so, als ob man jemanden die Religion ansieht. Sam Harris will nicht Muslime untersuchen lassen, sondern Menschen mit der Hautfarbe, die die meisten Menschen aus mulsimischen Ländern haben. Dazu zählen dann auch Inder, dazu zählt ein türkischstämmiger Deutscher, dazu zählen Leute die Muslim sind weil sie aus einem Land wie Iran kommen in dem man mit dem Hals in der Schlinge an einem Baukran ermordet wird, wenn man kein Muslim ist.
Genau das passiert ja tatsächlich. Aber die Tatsache, dass vierjährige Mädchen unter Androhung, den Flughafen zu schließen begrabscht und traumatisiert werden und 80jährige gezwungen werden, ihre Schuhe auszuziehen hängt nicht mit ihrer Hautfarbe zusammen. Sie hängt damit zusammen, dass ein gewaltiger Apparat im Namen eines nebulösen Sicherheitsbegriffs frei wuchern darf und mit dumpfer Befehlskette versucht, komplexe Probleme zu lösen.
Wie Bruce Schneier so schön argumentiert, haben nur zwei Maßnahmen Fliegen sicherer gemacht: Verstärkte Cockpit-Türen und das Wissen, dass man sicher wehren kann.
Im folgenden lässt Harris dann sein eigenes Argument, dass Flughafenkontrollen nicht diskriminieren, zusammenfallen:
I have noticed such incongruities before. In fact, my wife and I once accidentally used a bag for carry-on in which I had once stored a handgun–and passed through three airport checkpoints with nearly 75 rounds of 9 mm ammunition. While we were inadvertently smuggling bullets, one TSA screener had the presence of mind to escort a terrified three-year-old away from her parents so that he could remove her sandals (sandals!).
a) Erstmal, was zur Hölle macht Sam Harris mit einer Waffe und 75 Kugeln im Gepäck? Nach Harris eigener Logik müssten somit Weiße stärker untersucht werden, da sie oft mit Waffen im Gepäck fliegen.
b) Ist das Argument, dass undiskriminiert untersucht wird, somit schon mal nicht haltbar. Wäre ein Pakistani mit einer Waffe im Gepäck genauso sicher durchgekommen? Und wenn es aufgefallen wäre, wem wäre es dann schlechter ergangen?
c) Ist auch das Argument, dass die Untersuchung von Kindern eine Folge der ‘politisch korrekten’ Behandlung aller Fluggäste sei unhaltbar. Stattdessen ist es offensichtlich eine Auswirkung schlecht geschulter Befehlsempfänger_innen in einem unmenschlichen System. Selbst wenn alle Hautfarben oder Staatsangehörigkeiten gleich untersucht werden müssten, wäre das noch immer kein Grund Kinder oder Rentnern nicht ein wenig mehr entgegen zu kommen.
Needless to say, a glance at the girl’s family was all one needed to know that they hadn’t rigged her to explode.
So einfach ist das. Sieht man doch.
Is there nothing we can do to stop this tyranny of fairness?
Nochmal, welche Fairness? Die, dass Sam Harris mit anderthalb Kilo Munition nicht untersucht wurde, aber ein kleines Mädchen? Dass der Inder, der ‘den Bösewicht in einem Bollywood-Film spielen könnte’ aussehen darf, als ob er ‘sich keine Gedanken machte’?
Imagine how fatuous it would be to fight a war against the IRA and yet refuse to profile the Irish? And yet this is how we seem to be fighting our war against Islamic terrorism.
Welche Hautfarbe hatten nochmal Iren?
Granted, I haven’t had to endure the experience of being continually profiled. No doubt it would be frustrating. But if someone who looked vaguely like Ben Stiller were wanted for crimes against humanity, I would understand if I turned a few heads at the airport.
Und da kocht der reiche weiße Privileg endgültig über. Tatsächlich, Sam Harris, du hast keinen Schimmer was es heißt, diskriminiert zu werden. Daher wäre die einfache Schlussfolgerung, die Fresse zu halten und zuzuhören. Aber nein, stattdessen verniedlichst du die Tatsache, dass du forderst alle Muslimen auszusondern mit der unterhändigen Selbstkompliment, dass du wie Ben Stiller aussiehst. Und der Implikation, dass die Gruppe der Menschen die wie Ben Stiller aussehen in etwa so groß ist wie die der Muslimen. Dass die hypothetische Suche nach einem einzelnen Kriminellen mit einer Beschreibung seines Aussehens vergleichbar wäre damit, alle Muslimen speziell zu untersuchen weil einzelne im Namen der Religion zu Terroristen wurden und werden. Das ist, wiederum, purer Rassismus.
Und wie war das nochmal mit den Rentnern und dem Mädchen im Beispiel kurz zuvor? Was war das Problem, dass einige Leute ihren Kopf drehten oder dass die armen Leute unmebschlich belästigt wurden?
However, if I were forced to wait in line behind a sham search of everyone else, I would surely resent this additional theft of my time.
‘Everyone else’. Das ist die Essenz von Harris Argument: Sicherheitkontrollen wären so viel schneller, wenn wir einfach nur die Terroristen untersuchen. Wow, so einfach ist das, das braucht doch einen Weltdenker wie Harris um es zu bemerken!! Wieviel Zeit da verschwendet wurde, und dabei hätte man doch einfach nur die ‘Jihadi’ untersuchen müssteb. Und wenn man halt nicht ganz so genau sein kann und auch die 99.99999999999% mit der gleichen Hautfarbe untersucht, die eben keine ‘Jihadi’ sind, oder ‘Jihadi’ sind aber an diesem Tag nur ihre Omma besuchen wollen, dann haben die ja sicher Verständnis dafür. Müssen ja nicht wie Ben Stiller aussehen wenn sie es nicht wollen. Sollen sich mal nicht so haben, die Museln.
We should profile Muslims, or anyone who looks like he or she could conceivably be Muslim, and we should be honest about it. And, again, I wouldn’t put someone who looks like me entirely outside the bull’s-eye (after all, what would Adam Gadahn look like if he cleaned himself up?) But there are people who do not stand a chance of being jihadists, and TSA screeners can know this at a glance.
Ja ich sags nur nochmal, nicht falls jemand noch denkt dass ich hier nur bewusst dumm argumentiere, um dann am Ende mit großem Knall die echte Botschaft herauszuarbeiten.
Needless to say, a devout Muslim should be free to show up at the airport dressed like Osama bin Laden, and his wives should be free to wear burqas. But if their goal is simply to travel safely and efficiently, wouldn’t they, too, want a system that notices people like themselves? At a minimum, wouldn’t they want a system that anti-profiles–applying the minimum of attention to people who obviously pose no threat?
Genau, natürlich dürft ihr euch anziehen wie Osama, aber dann wundert euch nicht, wenn der Weiße Mann eurer Burqa-Frau in den Schritt greift. Denn würde es euch nicht auch gefallen, wenn da wo ihr herkommt Menschen, die die traditionelle Kleidung westlicher Terroristen tragen (Jeans, Hemd), ausgesondert werden. Seht ihr, es ist gar keine Diskriminierung, es ist nur Anti-Diskriminierung für wichtige Menschen wie mich, Sam Harris, Autor von vielen bekannten Büchern.
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