Gottfried Schatz ist – das als kleine Zwischenbemerkung – einer derjenigen Wissenschaftler, die so wunderbar eindrücklich und mitreißend über die Welt der Forschung erzählen, daß man sich wünscht, daß der Vortrag nicht 90 Minuten, sondern mindestens doppelt so lange dauern möge. Denn Schatz (seine Emeritierung liegt schon einige Zeit zurück und doch sprüht er nur so vor Begeisterung, wenn er über die Wissenschaft spricht) liefert gleich dutzendfach bemerkens- und bedenkenswerte Statements ab. “Unser Dasein ist nichts anderes als gigantisch verstärktes molekulares Rauschen!” – so machte er beispielsweise an dieser Stelle deutlich.
Sieg der Komplexität
Der dritte Punkt in seiner Argumentationskette kreiste um das Stichwort ‘Komplexität’. Wie bereits oben angedeutet, so ist für Schatz die Vorstellung ziemlich abwegig, wir seien streng determinierte Apparate, deren Leben und Verhalten direkt durch unsere Gene (fremd-)gesteuert werde. Für ihn steht vielmehr fest: “Unser Genom ist genauso groß, wie rätselhaft.”
Die Vorstellung, wir seien biochemische Maschinen, determinierte Apparate, die durch die zentrale Software ‘DNA’ gesteuert werden, ist abwegig.
Und zwei menschliche Genome unterscheiden sich gerade einmal um 0,5% voneinander und dennoch gibt es eine so enorme Variationsbreite an menschlichem Leben – Schatz, so führte er aus, genügt im Grunde schon diese Erkenntnis, die uns vom vermeintlichen Joch der Versklavung durch unser Genom befreie.
Für Schatz – das war so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt seiner Ausführungen – steht fest: das höchste Ziel der Natur ist es, Vielfalt zu schaffen. Und das versucht sie mit allen Tricks, allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Insofern hieße es die Natur zu unterschätzen, wenn man glaubte, in der DNA liege das Programm vor, das (ohne das weitere Faktoren mit ins Spiel gebracht würden) allem Leben seine konkrete Form diktieren würde. Es ist eher das freie Spiel, die lange Leine an der die DNA agiert. Umwelteinflüsse (und unser eigenes Verhalten) sind eine Einflußvariable, wie uns die Epigenetik zeigt. Zufälle und Komplexität tun ihr weiteres.
Das Konzert des Lebens
Am Ende erläuterte Schatz sein Verständnis in folgendem Bild: jede befruchtete Eizelle ist wie ein Orchester, das auf seinen Einsatz wartet. Doch was wir hören, das hängt von vielen weiteren Faktoren ab. Vom Takt des Dirigenten, der Virtuosität und der Tagesform der einzelnen Musiker, der Qualität der Instrumente, der Akustik des Konzertsaals etc.
Ein schönes Bild. Und ein schöner Vortrag. So lebendig kann man über Wissenschaft sprechen.
Daß die anschließende Diskussion (die länger als 1 1/2h dauerte) lebhaft und anregend war, daß von den Teilnehmern am “Life Science Dialogue” weitere interessante Perspektiven eingebracht wurden, war dann eher kein Zufall, sondern das folgerichtige Produkt spannender Wissenschaft.
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Anmerkung: Der “Life Science Dialogue” wird von der Dr. Rainer Wild-Stiftung organisiert und durchgeführt. Weitere Infos zur Veranstaltungsreihe waren bereits in diesem Text bei ScienceBlogs zu lesen.
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Lektüre-Tipps (Link öffnet Amazon-Website):
- Gottfried Schatz: Jeff’s View. On Science and Scientists, 2005.
- Peter Spork: Der zweite Code: Epigenetik – oder Wie wir unser Erbgut steuern können, 2009.
* Das Posting war an dieser Stelle bereits im Juni für kurze Zeit lesbar, dann aber durch einen Systemfehler wieder offline gegangen.
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