Im Gehirn eurer Mütter könnten sich Körperzellen von euch befinden. Wie gefällt euch dieser Gedanke? Zuviel Nähe? Seht es nicht so eng, es ist der Beweis dafür, dass ihr doch nicht so undankbare Fratzen wart, wie eure Mütter immer behaupteten. Außerdem finden sich vermutlich auch Zellen von euch in ihren Herzen. Das klingt deutlich versöhnlicher. Also von was zum Teufel rede ich hier?
Mikrochimärismus
2011 haben amerikanische Wissenschaftler Mäuse gentechnisch so verändert, dass sie grün fluoreszieren. Dazu hat man ein Gen namens GFP (grün fluoreszierendes Protein) in die Mäuse eingebracht, das ursprünglich aus der Qualle stammt. Die Forscher haben Grün fluoreszierende Männchen mit normalen, nicht-fluoreszierenden Weibchen gekreuzt. Dadurch entstanden nicht-fluoreszierende Mäuse, die mit grün fluoreszierenden Embryonen schwanger waren. Gegen Ende der Schwangerschaft haben die Wissenschaftler in den schwangeren Mäusen Herzinfarkte hervorgerufen. Zwei Wochen danach hat man sich die Herzen der Muttertiere ganz genau angesehen. Darin fanden sich plötzlich haufenweise grün fluoreszierende Zellen. In den Herzen der Herzinfarkt-Mäuse fanden sich viel mehr der grünen Zellen als in den Herzen von Kontroll-Mäusen, die keinen Herzanfall hatten. Die fluoreszierenden Zellen im Herzen der Mütter stammten von ihren Embryonen und hatten sich zu unterschiedlichen Herz-Geweben entwickelt. Man vermutet dass sich die Föten nützlich gemacht haben um die beschädigten Herzen der Mütter zu reparieren.
Menschliche Damen erholen sich besser von Herzanfällen, wenn diese während, oder kurz nach einer Schwangerschaft auftreten. Auch dahinter vermutet man die Embryonen. Sie beinhalten haufenweise Stammzellen, das sind Zellen, deren Entwicklungsschicksal noch nicht festgelegt ist. Stammzellen können sich zu den verschiedensten Geweben in unterschiedlichen Organen entwickeln. Erwachsene haben nicht mehr sehr viele davon, aber Embryonen sind damit vollgestopft wie ein Cheeseburger mit Cholesterin. Gelegentlich schaffen es ein paar dieser Alleskönner durch die Plazenta zu entweichen und sich über den Blutstrom in der Mutter zu verteilen. Dort können sie sich Jahrzehnte lang herumtreiben und sich in unterschiedliche Gewebe entwickeln. Studien haben gezeigt dass diese embryonalen Zellen in der Mutter vor allem dort zu finden sind, wo Schäden entstehen, z.B. im Gehirn, der Lunge, den Nieren, der Leber oder dem Herz. 2012 hat man Gehirne von verstorbenen Frauen untersucht. Wenn sie Söhne auf die Welt gebracht hatten, ließen sich noch nach dem Tod der Frauen männliche Zellen in ihren Gehirnen nachweisen. Embryonale Zellen, die auf Wanderschaft gegangen sind. Es ist also gut möglich dass sich Körperzellen von euch im Gehirn eurer Mütter befinden. Findet euch damit ab.
Warum die fötalen Zellen im Körper der Mutter nicht abgestoßen werden, ist noch nicht restlos geklärt. Vermutlich hängt es damit zusammen, wie gut die MHC Moleküle der Immunzellen zwischen Mutter und Embryo zusammenpassen.
Aus Sicht des Embryos ist es natürlich sinnvoll sich um das Wohl seines Wirtes zu kümmern. Immerhin bietet er eine fensterlose, aber kuschlige Behausung. Da kann man schon ein paar Stammzellen locker machen. Das Forschungsgebiet ist noch ziemlich jung, aber eines der Ziele ist es, Stammzellen aus der Plazenta für Therapiezwecke einzusetzen. Embryonen sind also nicht bloß eigennützige Dinger, die werdenden Müttern sämtliche Nährstoffe wegfressen. Eigentlich sind das ganz nette Kerlchen, die vermutlich sogar fleißig Reparaturarbeiten durchführen. Jetzt habt ihr also die perfekte Antwort auf „Ich habe dich mühselig großgezogen und du hast es mir nie gedankt“. Gern geschehen.
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