Man kann das Thema auch von der anderen Seite betrachten: Die Behandlungen die wir heute haben, basieren zu einem Großteil auf den Erkenntnissen von Tierexperimenten. Nicht grundlos waren alle Medizin-Nobelpreise, die in den letzten 30 Jahren vergeben wurden, auf Erkenntnisse aus Tiermodellen angewiesen. Wenn man in der Medizingeschichte zurückgeht, könnte man in jedem Jahrzehnt einen Strich ziehen und sich überlegen, welche lebensrettenden Behandlungen es heute nicht gäbe, wenn man zu diesem Zeitpunkt ein Tierversuchsverbot erlassen hätte. Wer das ausprobieren möchte kann sich auf dieser Timeline dazu Gedanken machen. Es gibt leider Dinge, die sich nicht abseits von lebenden Organismen untersuchen lassen. Dazu zählen praktisch alle Fragestellungen, die das Immunsystem betreffen. Die Immunabwehr ist wahnsinnig komplex und wir sind noch weit davon entfernt sie vollständig zu verstehen. Es lassen sich nur sehr kleine Aspekte davon in Alternativsystemen simulieren, aber das System als Ganzes ist viel mehr als die Summe seiner Teile.
Niemand macht gerne Tierversuche. Sie sind außerordentlich teuer, bringen einen enormen bürokratischen Aufwand mit sich und letztendlich sind auch Forscher empathische Menschen. Warum finden sie also dennoch statt? Herr Mülln macht die „Tierversuchsindustrie“ dafür verantwortlich. Damit sind die Lieferanten der Mäuse, bzw. des Mäusefutters gemeint. Die Idee dass Wissenschaftler bloß Marionetten in den Händen von Big-Mäuselieferant sind, finde ich so absurd, dass ich mich nicht dazu äußern möchte.
Ich habe eine andere Erklärung dafür. Viele wissenschaftliche Fragestellungen sind ohne das Tier nicht zu beantworten. Wie soll man die Funktion eines Entwicklungs-Gens erkennen, wenn man nicht die Möglichkeit hat, es in einem Organismus zu deaktivieren? Wie soll man ein Medikament entwickeln, wenn man nicht die Möglichkeit hat, seine Auswirkungen auf Dinge wie das Immunsystem, Blutdruck, Sehvermögen etc. zu testen?
Nach der Aufzeichnung sind wir alle zusammengesessen, haben Brötchen gegessen und in freundlicher Atmosphäre geplaudert. Dabei habe ich mit Herrn Balluch besprochen, warum ich Vegetarier bin, mich aber trotzdem für die Unverzichtbarkeit von Tierversuchen ausspreche. Wenige Tage später entdecke ich auf seinem Blog Vorwürfe gegen mich, mitunter weil ich meine Essensgewohnheiten den Zusehern scheinbar mutwillig vorenthalten habe. Ich weiß zwar nicht was das mit dem Thema der Sendung zu tun hat, habe mir aber trotzdem die Mühe gemacht eine längere Antwort auf die Vorwürfe in den Kommentarbereich seines Blogs zu schreiben. Meine Stellungnahme wurde bis heute nicht freigeschalten*. Wer sie lesen möchte, ungeduldig ist oder davon ausgeht, dass sie gar nicht freigeschalten wird, kann meine Antwort unter diesem Link einsehen.
*Nachtrag: Wurde nach zwei Tagen freigegeben.
Interessanterweise sind es immer Menschen, die nicht in der medizinischen Forschung tätig sind, die ganz genau zu wissen scheinen, dass man keine Tierversuche braucht. Befragt man Leute die tatsächlich Forschung betreiben, wissen über 90% der Befragten von der Unersetzbarkeit der Tiere.
Ich würde gerne in einer Welt leben in der Tierversuche nicht notwendig sind. Es wird zum Glück viel in diese Richtung gearbeitet. Aber noch sind wir nicht dort. Ein jetziges Tierversuchsverbot würde nicht nur alle Forscher aus der EU vertreiben, sondern vor allem den Patienten in 10-20 Jahren vermeidbares Leid zumuten. Ich fürchte, momentan können wir uns vor einer ethischen Abwägung nicht drücken. Aber die Biologie ist ein boomendes Gebiet, auf dem sich gerade viel verändert. Vielleicht werde ich es noch erleben, dass wir nicht mehr auf die Maus angewiesen sein werden und auch die Fliegen in Ruhe lassen können.
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