Als der Präsident des obersten Scharia-Rats in Nigeria 2003 behauptete, Polio-Impfungen wären eine Verschwörung der USA um Muslime zu sterilisieren, nahmen die Fälle von Kinderlähmung in Nigeria wieder zu und verbreiteten sich von dort aus in andere Länder.
Ausgehend von einer impfskeptischen Salzburger Waldorfschule breitete sich 2008 eine Masernepidemie über fast alle österreichischen und zwei deutsche Bundesländer aus.
Masern und Kinderlähmung zählen zu den Geißeln der Menschheit, die sich mit einem konsequenten Impfprogramm dauerhaft ausrotten ließen. Bei anderen Krankheiten ist das bereits gelungen, beispielsweise bei den Pocken. 1967 wurde die Pockenimpfung auf Beschluss der Weltgesundheitsorganisation weltweit verpflichtend. Nur zehn Jahre später war die Krankheit, die seit Jahrtausenden unzählige Menschenleben forderte, weltweit verschwunden.
Was die globale Ausrottung einer Krankheit so schwierig macht ist, dass alle an einem Strang ziehen müssen. Eine Gruppierung, die das Impfen verweigert, bietet dem Virus einen Rückzugsort, von dem aus weitere Epidemien zustande kommen können. Den Preis dafür zahlen nicht nur die krankheitsgefährdeteren Impfverweigerer, sondern auch der Rest der Bevölkerung, der sich weiterhin impfen lassen muss, weil die Ausrottung der Krankheit von den Impfgegnern verhindert wird.
Impfen bedeutet immer eine Risikoreduktion. Jeder in Österreich und Deutschland empfohlene Impfstoff erhöht die Wahrscheinlichkeit, bei guter Gesundheit ein hohes Alter zu erreichen. Wer wissen möchte warum das so ist, kann sich beim Bundesministerium für Gesundheit informieren. Aber hier soll es um eine andere Frage gehen.
Ist es ethisch vertretbar, eine Krankheit mithilfe von ansteckenden Impfstoffen auszurotten?
In einer heute erschienenen Forschungsarbeit rechnen Forscher ein Szenario durch, in dem ein ansteckender Lebendimpfstoff selbstständig Immunität in der Bevölkerung verbreitet. Lebendimpfstoffe sind stark abgeschwächte Versionen eines Erregers, die selbst keine Krankheit hervorrufen, aber trotzdem eine anhaltende Immunität gegen den ursprünglichen Virus verleihen. Die Forscher gehen von einem abgeschwächten Impf-Virus aus, der mäßig ansteckend ist und sich deshalb relativ ineffizient ausbreitet. Man müsste ihn demnach mehrmals ausbringen, um eine vernünftige „Durchimpfungsrate“ zu erreichen. Sobald die Immunität weit genug verbreitet ist, würde man den Impf-Virus nicht mehr freisetzen, woraufhin er aufgrund seiner mäßigen Infektiosität selbstständig aus der Population verschwinden würde. Man könnte demnach eine Krankheit ausrotten, ohne sämtlichen Menschen eine Spritze zu verpassen.
In der Praxis ist so ein Vorhaben natürlich nicht risikofrei. Könnte der Virus zu einer gesundheitlich bedenklicheren Form mutieren? Wäre er auch für besonders junge, alte oder immunsupprimierte Menschen unbedenklich? Die Forscher meinen, dass sich ein solcher Impfstoff vorerst für Wildtiere anbieten würde, die sich kaum auf individueller Ebene impfen lassen. Aber abgesehen von den gesundheitlichen Risiken – wäre es grundsätzlich vertretbar einen Impf-Virus freizusetzen, der auch Impfgegner immunisiert, die das eigentlich nicht möchten? Darf man die ideologische Haltung einer Minderheit übergehen, um eine weltweite Seuche loszuwerden?
Kommentare (51)