Mit dem neuen gentechnischen Werkzeug CRISPR kündigt sich die Möglichkeit an, das Erbgut einfach und präzise zu verändern – auch beim Menschen. Die Mitentdeckerin Emmanuelle Charpentier ist über Firmen an der Entwicklung von Therapien beteiligt. Bei der Veränderung von Keimzellen sieht sie aber eine Grenze überschritten.
Mosbach im Odenwald bekommt jedes Jahr Besuch von rund 500 Biochemikern und Molekularbiologen. Dann sind alle Hotels ausgebucht. Die Fachgesellschaft GBM richtete dort in diesem Jahr schon zum 67. Mal ihr „Kolloquium“ aus. Die Veranstaltung erinnert mich an die jährliche Nobelpreistagung in Lindau am Bodensee: Auch dort fallen die Wissenschaftler mit ihren großen Namensschildern im Stadtbild auf. Nur die Nobelpreisträger fehlen in Mosbach – obwohl: eine heiß gehandelte Kandidatin war dort. Emmanuelle Charpentier (47) hat ein vielseitiges Werkzeug für die Gentechnik mitentwickelt: CRISPR-Cas9 oder einfach CRISPR (ausgesprochen: Krisper) heißt die Methode, mit der man fast wie ein Chirurg in das Erbgut von Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen eingreifen kann. Dieses Bearbeiten des Genoms wird „Genome Editing“ genannt – und es wird mit CRISPR deutlich einfacher. Plötzlich werden Anwendungen möglich, die man noch vor ein paar Jahren als zu aufwendig abgetan hat. Und wie schon beim Klonen werfen diese Anwendungen ethische Fragen auf – allerdings keine wirklich neuen, sondern eher bekannte.
Charpentier stammt aus Frankreich, lebt seit drei Jahren in Deutschland und baut seit einigen Monaten in Berlin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie eine Abteilung auf. Sie war in Mosbach, um die Otto-Warburg-Medaille entgegenzunehmen. Sie wird geradezu mit Preisen überhäuft: Rund 20 dürften es in den vergangenen zwei Jahren gewesen sein – darunter der Breakthrough Prize, der von Sergey Brin, Mark Zuckerberg und einigen anderen gestiftet worden ist. Die Mosbacher Preisverleihung war im Vergleich zum pompösen Breakthrough Prize schlicht. Aber Charpentier sagt, dass ihr die Otto-Warburg-Medaille mehr bedeute, da sie aus der Community ihres Fachbereichs komme. Das Ganze war übrigens schon im April, aber die Autorisierung des Interviews, das ich mit Charpentier geführt habe, hat eine Weile gedauert. (Diese Praxis der Freigabe ist im deutschen Journalismus leider üblich.) Das Interview zu ihrem neuen Institut und ihrer Position zu ethischen Fragen ist hier erschienen.
Die Pharmaindustrie investiert
Charpentiers Festrede in Mosbach kam ganz fachlich daher. Sie erklärte, wie sie die Wirkung von CRISPR entschlüsselte und wie praktisch die neue Technologie ist, um die Funktionsweise von Genen zu ermitteln und medizinische Therapien zu entwickeln. Sie sprach von einem CRISPR-Werkzeugkasten und sagte, die Flexibilität mache die Schönheit des Systems aus. Doch auch für Laien wurde die Bedeutung klar, als Charpentier zum Schluss erwähnte, dass sie zwei Firmen mitgegründet habe. Wenn man auf den Websites der Firmen nachschaut, sieht man, dass ERS Genomics in Dublin ihr Patent lizensiert (Charpentier hat in einem Interview erläutert, dass sie persönlich die Rechte hält) und dass Crispr Therapeutics in Basel nach klinischen Anwendungen sucht. Die Pharmabranche sieht ein großes Geschäft aufziehen. Vor ein paar Monaten hat Crispr Therapeutics 105 Millionen US-Dollar bekommen, um einen Weg zu finden, das mutierte CFTR-Gen zu korrigieren, das Mukoviszidose verursacht. Allerdings gibt es um die Patente einen ordentlichen Streit, und auch die Gegenseite kann Investoren überzeugen, wie das Medizinmagazin „Stat“ berichtet.
Die neuen Möglichkeiten zur Manipulation des Erbguts werfen die Frage auf, wie die bereits bestehenden Regelungen auszulegen sind – und ob man sie ergänzen oder präzisieren müsste. Die europäische Oviedo-Konvention schränkt genetische Manipulationen beim Menschen auf medizinische Zwecke ein und verbietet Manipulationen, die an die Nachkommen vererbt werden können. Deutschland hat die Konvention zwar nicht unterzeichnet, doch das Embryonenschutzgesetz verbietet ebenfalls, das Erbgut von Keimzellen zu manipulieren. Eine Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sieht jedoch einige Ungereimtheiten in der Rechtslage (im 5. und 6. Kapitel dieses Berichts). So fordert das deutsche Gesetz einerseits dazu auf, Embryonen möglichst zu erhalten. Folgt daraus auch, dass man potenziell tödliche Gendefekte beheben sollte? Andererseits gibt es seit einigen Jahren ein Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik, dass es in einigen Fällen erlaubt, Embryonen mit einem potenziell tödlichen Gendefekt auszusortieren. Braucht man zusätzlich noch genetische Manipulationen?
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