Wissenschaftliche Erkenntnisse werden zunehmend in Zweifel gezogen: Sind unpassende Daten gelöscht oder passende hinzugefügt worden? Auf einer Tagung im Amsterdam wurde nach Wegen gesucht, die wissenschaftliche Integrität zu stärken.

 

Eins wolle er nicht tun, sagt Robert-Jan Smits: Laborpolizei spielen. Smits leitet die Forschungsabteilung der EU-Kommission: die Generaldirektion Forschung und Innovation. Auf dem Weltkongress für wissenschaftliche Integrität in Amsterdam erläuterte er vergangene Woche, wie Brüssel auf die zunehmenden Sorgen reagiert, dass zu viele wissenschaftliche Ergebnisse unzuverlässig sind. Man habe in den Förderverträgen die Verantwortung der Forscher hervorgehoben, sauber zu arbeiten, sagte Smits. „Aber den vertrauensbasierten Ansatz wollen wir beibehalten.“

Diese Haltung gefällt nicht allen der rund 800 Zuhörer. Der Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, Gerd Antes, sieht keinen Fall von Ja oder Nein. „Das ist eine Frage der Dimension“, sagt er. „Ein wenig mehr Kontrolle als bisher ist nötig, und man sollte sie mit einer besseren Aufklärung und Förderung verbinden.“ Das Cochrane-Zentrum hat sich der Aufgabe verschrieben, medizinische Studien zusammenzufassen, um Therapien besser bewerten zu können. Antes setzt sich beispielsweise dafür ein, dass Forscher ihre Studienpläne vorab registrieren, um nicht hinterher die Analyse ändern, weil die Ergebnisse nicht so ausgefallen sind wie erwartet.

Viele Möglichkeiten des wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Das Themenspektrum reicht auf der Konferenz in Amsterdam noch viel weiter: Es geht um dreiste Fälschungen und um Onlineportale wie PubPeer, auf denen man seinen Verdacht anonym äußern kann. Es geht darum, wie man Fachartikel mit falschen Ergebnissen klar und für alle sichtbar zurückzieht. Und es geht um Experimente aus der Medizin und Psychologie, die sich in Wiederholungen nicht bestätigen lassen. Die Tagung ist die fünfte ihrer Art und die bisher größte. Die Sorgen wachsen. „Die Selbstkorrektur der Wissenschaft reicht nicht aus, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu sichern“, sagt José van Dijck, die Präsidentin der niederländischen Königlichen Akademie der Wissenschaften.

Immun gegen wissenschaftliches Fehlverhalten sei niemand, heißt es auf der Konferenz. Die Probleme träten in renommierten Einrichtungen ebenso auf wie in unbekannten. Ein großer Teil der Probleme geht auf das Anreizsystem der Wissenschaft zurück: Forscher müssen möglichst viele Arbeiten in möglichst angesehenen Fachjournalen veröffentlichen, um Karriere zu machen – „publish or perish“ lautet das Motto. Pluspunkte erwirbt man sich mit spektakulären Resultaten. Zu dieser Frage gibt es schon eine Reihe von Lösungsvorschlägen: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft lässt zum Beispiel schon seit einigen Jahren bei Förderanträgen nur noch fünf beispielhafte Literaturangaben zu, um nicht die schiere Menge der Publikationen zu belohnen.

Mehr Daten für eine bessere Forschung

Doch um Fehlverhalten vorzubeugen, wird in Amsterdam immer wieder auch die Schulung junger Wissenschaftler diskutiert. Nicht, dass sie nicht lernen würden, wie man forscht. Die Frage ist vielmehr, was ihnen als Vorbild vorgelebt wird. Eine große Rolle spiele das soziale Umfeld im Labor, vermutet der Tagungspräsident Lex Bouter von der Freien Universität Amsterdam. Wie groß ist der Wettbewerb im Team? Wie offen gehen die Kollegen mit ihren Daten um? Werden Einwände ernst genommen oder abgetan?

Es gibt erste Versuche, das Klima in einer Forschergruppe oder an einem Institut vergleichbar zu erfassen. Eine in den USA entwickelte Umfrage („Source“ genannt) soll zum Beispiel helfen, Problemfelder im eigenen Haus zu ermitteln. Bouter will sie an den vier Universitäten Amsterdams einsetzen, um zu testen, ob sich die Situation verbessern lässt, wenn man Doktormütter und -väter für ihre Aufgabe als Betreuer ausbildet. „Man braucht hierzulande für alles einen Schein“, sagt Bouter. „Aber nicht, um einen Doktoranden zu betreuen.“ Es ist einer der ersten Versuche, die Forschung zur wissenschaftlichen Integrität auf eine solide Basis zu stellen. Denn auch das ist auf der Konferenz im Amsterdam zu beobachten: Man will sich nicht mehr auf kleine Umfragen und aufgearbeitete Einzelfälle verlassen – denn man weiß ja, wie unzuverlässig diese Erkenntnisse sind.

Kommentare (4)

  1. #1 Laie
    9. Juni 2017

    Der Artikel enthält die Ursache: Da die Quantität zählt, d.h. die Anzahl der Publikationen und die Referenzlisten, so kommt es wohl auf den tatsächlichen Inhalt weniger an.

    Wenn junge Forscher so erzogen wurden, dann bitte nicht über den Output wundern!

  2. #2 Dichter
    10. Juni 2017

    In Frankreich gibt es die Academie Francais.
    In Deutschland gibt es das Frauenhofer Institut für die Wirtschaft.
    Man sollte ein Institut für Publikationen schaffen, das unabhängig von Sponsoren ist. Und wenn eine Publikation dessen Gütesigel bekommt, dann hat man schon einmal eine Richtschnur.

  3. #3 shader
    10. Juni 2017

    In diesem „publish or perish“ sehe ich wirklich ein massives Problem. Teilweise habe ich das bei meiner Promotion vor gut 15 Jahren erlebt. Gut, es ist schon richtig was man damals sagte, wenn man etwas nicht publiziert, ist es für die Wissenschaft nicht existent. Und durch die Publikationen kommt man zu Kontakten und andere Wissenschaftler und Teams setzen sich mit den Ergebnissen auseinander. Das hilft auch für die eigene Arbeit weiter.

    Aber der Schwerpunkt hat sich immer mehr in die Quantität verschoben. Und ich glaube, dass selbst Wissenschaftler in der ersten Reihe die negativen Wirkungen dieser Entwicklung unterschätzt haben. Ermutigend ist es, dass es in jüngster Zeit auch wieder Gegentrends gibt, die mehr auf Qualität achten.

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