Der Weltklimavertrag von Paris, der am 4. November in Kraft tritt, wird uns jahrzehntelang begleiten. Wird er den Klimaschutz voranbringen? Es ist höchste Zeit, einen Blick in den Vertragstext zu werfen. Ein multimediales Projekt soll das erleichtern.
Heute tritt der Weltklimavertrag in Kraft, den 195 Staaten vor knapp einem Jahr in Paris verabschiedet haben. Für das In-Kraft-Treten gab es zwei Bedingungen: Mindestens 55 Staaten müssen das Vertragswerk ratifizieren, und sie müssen zusammen für mindestens 55 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sein. Die USA und China haben das Pariser Abkommen erstaunlich schnell als Recht anerkannt, die EU folgte einige Wochen später. Am 5. Oktober waren beide Quoren erfüllt, und so tritt der Vertrag nun, 30 Tage später, als verbindliches Regelwerk in Kraft. Er gilt nur für die Staaten, die ihn ratifiziert haben, aber das werden sicher bald noch mehr. Die Vereinten Nationen präsentieren auf dieser Website den Stand der Dinge.
Das Paris Agreement, wie der Vertrag genannt wird, bleibt an vielen Stellen vage und sieht auch keine Sanktionen vor, falls die ehrgeizigen Klimaschutzziele nicht erreicht werden. Aber es gibt politischen Akteuren neue Werkzeuge an die Hand – bessere als die beiden bisherigen Klimaverträge (die Rahmenkonvention vom Erdgipfel in Rio 1992 und das Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1997, dessen Nachfolger nie in Kraft getreten ist und nun vermutlich einfach links liegen gelassen wird). Kristin Reißig von der Umweltschutzorganisation WWF in Berlin freut sich zum Beispiel über die Formulierung in Artikel 2, Absatz 1c des Abkommens. Dort steht, dass die globalen Finanzströme so gestaltet werden müssen, dass die Ziele des Vertrags erfüllt werden. Das klingt vage, aber es setzt die Politik unter Zugzwang, denn sie muss nun erkären, wie das aussehen soll. Der WWF macht dazu zwei Vorschläge, die zügig umgesetzt werden könnten: Die Staaten investieren stärker in erneuerbare Energien und führen Marktregeln ein, die das Klimarisiko von Investitionen besser abbilden – und dadurch letztlich klimaschädliche Produkte verteuern. „Mit dieser Formulierung im Vertrag können wir gut arbeiten“, sagt Reißig.
Mehr Transparenz im Journalismus
Kristin Reißig gehört zu den Fachleuten, die ich gerade für ein Projekt zum Weltklimavertrag um Rat bitte. Ich möchte den sperrigen Vertragstext mit digitalen Mitteln lesbar machen; die Nutzer sollen ihn – journalistisch angeleitet oder auf eigene Faust – erkunden und verstehen können. Vielleicht wirkt das der Skepsis entgegen, mit der viele Menschen journalistische Berichte verfolgen. Im besten Fall habe ich am Ende auch eine Vorstellung davon, wie man mit anderen sperrigen Texten umgehen kann. Ich hätte gerne die Mittel, um beispielsweise den Aufbau eines Fachartikels von Albert Einstein zu erklären oder die letzten Änderungen im Freihandelsabkommen CETA. Auch Urteilsbegründungen, behördliche Gutachten und Koalitionsverträge warten darauf, im Volltext erschlossen zu werden.
Mein Pilotprojekt zum Weltklimavertrag wird von der Robert Bosch Stiftung in ihrer „Masterclass Wissenschaftsjournalismus“ gefördert. Ich arbeite mit den Kollegen Georg Dahm und Denis Dilba vom multimedialen Wissenschaftsmagazin „Substanz“ und den Designern Tom Duscher und Konrad Rappaport des Science Communication Labs aus Kiel zusammen. In einem halben Jahr wollen wir unseren multimedialen Zugang zum Weltklimavertrag präsentieren.
Mehr Vertrauen zwischen den Staaten
Und was steht im Pariser Abkommen? Die Staaten wollen zwei Ziele parallel verfolgen: den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen und zugleich die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Staaten (typischerweise Entwicklungsländer, die wenig Treibhausgase emittieren) auf die kommenden Naturkatastrophen vorzubereiten. Wie das genau gehen soll, steht nicht im Vertrag, und manche Wissenschaftler halten das Temperaturziel auch für illusorisch. Deutschland hat seine Emissionen seit 1990 um 27 Prozent gesenkt, das meiste davon gleich nach der Wiedervereinigung. In den vergangenen zehn Jahren gingen die Emissionen um etwa ein Prozent im Jahr zurück. Um die Ziele des Weltklimavertrags zu erreichen, müssten es künftig vier bis acht Prozent im Jahr sein. Der Streit zwischen den Bundesministerien, über den zum Beispiel “Spiegel Online” berichtet, macht keine großen Hoffnungen, dieses Tempo zu erreichen.
Der Weltklimarat IPCC will in den kommenden zwei Jahren den Forschungsstand zu solchen drastischen Minderungen auf rund 200 Seiten zusammenfassen, beschloss das Gremium im Oktober. Aber in der „NZZ am Sonntag“ fordert Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik mit seinem Kollegen Stefan Schäfer vom Institute for Advanced Sustainability Studies schon einmal, die umstrittene und riskante CO2-Entnahme gründlicher zu erforschen, weil man auf negative Emissionen angewiesen sein werde, wenn man es mit dem Weltklimavertrag ernst meine.
Immerhin eins steht seit dem Klimagipfel von Paris fest: Die Staaten der Welt werden künftig über solche Fragen beraten. Sie haben sich verpflichtet, alle zwei Jahre über ihre Bemühungen offen und ehrlich Auskunft zu geben. Das ist neu, denn wenn man die Berichte künftig bewerten kann, steigt der politische Druck. Die Kriterien für die Berichte sollen übrigens beim Klimagipfel in Marrakesch ausgehandelt werden, der am Montag beginnt. Auch wenn Berichtskriterien nach bürokratischer Langweile klingen, darf man gespannt sein. Denn nur aussagekräftige und vergleichbare Berichte werden dem Pariser Abkommen zur Wirkung verhelfen.
Nachtrag: In der “Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht” gibt es übrigens auch einen Beitrag von mir.
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