– Zwischen Anspruch und Wirklichkeit –

Von Maria Neumann

Die Idee der humanitären Entwicklungsarbeit entstand in der späten Kolonialzeit und beschreibt einen Umbruch im Denken und Handeln der Kolonialherren, später im Postkolonialismus auch im Verhältnis der Entwicklungshelfer zur afrikanischen Bevölkerung. Fortan wurde der antirassistische Impetus, die humanitäre Hilfe im Gegensatz zur Beherrschung der Kolonialstaaten hervorgehoben. Als wegweisend für diesen Prozess sind dabei die Arbeiten und Konzepte von Anthropologen wie Bronislaw Malinowski oder Lucien Lévy Bruhl im frühen 20. Jahrhundert zu betrachten. Sie stellten die biologisch-rassistischen Argumente, auf denen die Beziehungen zwischen Europa und dem südlichen Afrika bis dahin vorwiegend beruhten, zurück und beriefen sich vor allem auf kulturelle Grenzen und Unterschiede, aus denen die Forderung nach Hilfe zur Selbsthilfe erwuchs.

Trotz dieser zunächst fortschrittlich erscheinenden Zäsuren gilt es, neben den Brüchen mit alten Traditionen auch auf die Kontinuitäten innerhalb dieser Prozesse hinzuweisen. Außerdem sollte man fragen, inwiefern die neuen ideellen Grundlagen und Methoden moderne Abgrenzungsmechanismen produzierten, dementsprechend kulturrassistische Differenzierungen förderten und die europäische Vorstellung von der Unterlegenheit der Afrikaner weiterhin implizierten und legitimierten.

Das hier besprochene Panel setzte sich insgesamt aus fünf Vorträgen zusammen, in denen unterschiedliche Ansätze internationaler Entwicklungsarbeit zwischen 1920 und 1990 vorgestellt wurden.

Katholische Missionsarbeit in Afrika zwischen den Kriegen

Der erste Referent, Richard Hölzl, stellte Auszüge aus seiner Habilitationsarbeit an der Universität Göttingen vor, in der er sich mit den Spezifika katholischer Missionsarbeit im südlichen Afrika der Zwischenkriegszeit auseinandersetzt. Insbesondere hob Hölzl die zentrale Rolle der Mission beim Wissenstransfer sowie bei der Vermittlung zwischen staatlichen Institutionen und Bevölkerung hervor. Dabei fragte er aber auch nach ihren Motiven und ideologischen Grundlagen. Ziel aller Missionsarbeit in Afrika ist ursprünglich die Konversion heidnischer Stämme oder Gruppen. Im 20. Jahrhundert etablierten sich aber neue Technologien des Helfens und somit auch der Mission selbst, die mit Blick auf die Gesamtdiskussion berücksichtigt werden müssen.

Im 20. Jahrhundert etablierten sich aber neue Technologien des Helfens

Fortan versuchten katholische wie protestantische Missionare, die Bevölkerungsgruppen als solche verstärkt hervorzuheben, in der Hoffnung, dass diese im Zuge missionarischer Arbeit und Fürsorge eine höhere Kulturstufe erlangen könnten. Die Bevölkerung selbst blieb dabei ein passiver Akteur, der auf den rechten Pfad geleitet würde und den ihm zustehenden Platz in der „Völkerfamilie” zugesichert bekam. Die Missionsmedizin erlangte im Verlauf dieser Bemühungen eine wichtige Bedeutung.

Die Europäer überzeugten die einheimische Bevölkerung mit einer überlegenen Diagnosefähigkeit oder Hygiene. Gleichzeitig wurden ihre Erfahrungen für das europäische Publikum medial aufgearbeitet und neue Stereotypen – wie etwa das Bild vom kranken, Schmerz leidenden Afrikaner – produziert. Auf diese Weise erlangten die einzelnen Aufgabenbereiche, insbesondere der missionarischen Mediziner, einen transnationalen Charakter und somit eine globale Dimension.

Rasse | Rassismus

Der nächste Redner, Hubertus Büschel, Juniorprofessor an der Universität Gießen, leitete zu den anthropologischen Definitionen von Rasse und Rassismus über. Auch er hob noch einmal hervor, dass seit dem beginnenden 20. Jahrhundert die Tendenz zu beobachten sei, die Eingeborenenmentalität in der Entwicklungsarbeit mehr zu berücksichtigen und Unterschiede zu Europa zu akzeptieren.

Die politische Unabhängigkeitserklärung ehemaliger Kolonialstaaten bedeutet nicht automatisch das Ende des Rassismus

Büschel warnte jedoch eindringlich davor, die Unabhängigkeitserklärung ehemaliger afrikanischer Kolonialstaaten und die damit einhergehende Auflösung der Dichotomie zwischen herrschenden Europäern und beherrschten Afrikanern mit einem Ende rassistischer Schlussfolgerungen gleichzusetzen.

Vielmehr hätten nach 1945 neue Rassismuskonzepte die biologischen Thesen abgelöst. Die Existenz von Hunger auf dem afrikanischen Kontinent beispielsweise wurde auf ethnische, kulturelle Andersartigkeit der dortigen Bevölkerung zurückgeführt. Auch die humanitäre Anthropologie bedingte die soziale Exklusion, wenn die ethnischen Anlagen als nicht entwicklungsfähig erschienen. Folglich durften ausgegrenzte Gruppen, wie Büschel am Beispiel der Masai belegt, nicht am „Fortschritt” partizipieren, es wurden gar Zwangsmethoden und Gewaltmaßnahmen eingesetzt, um den Eigenwillen der Betroffenen zu brechen. Der kulturelle Rassismus unterscheidet sich dabei nur insofern vom biologisch-körperlichen Rassismus, dass er grundsätzlich als veränderlich vorausgesetzt wird.

Was ist Reichtum?

Daniel Speich, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich, präsentierte im Anschluss an diese anthropologischen Einblicke die makroökonomische Theorie, welche zwar nicht auf rassistischen Motiven beruht, aber trotzdem nicht minder problematisch erscheint. Die Makroökonomie geht von einer prinzipiellen Gleichheit aller Kollektive aus und begründet Ungleichheiten des Wohlstandsniveaus mit unterschiedlichen Realisierungsgraden. Grundlage für diesen Vergleich sind die Daten, die sich aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergeben.

Bei den afrikanischen Masai gilt als reich, wer die größte Kuhherde besitzt.

Diese Ergebnisse eignen sich aber nur sehr schlecht dazu, den tatsächlichen Wohlstand eines Individuums darzustellen. Ein einfaches Beispiel kann das belegen: Während Reichtum in Deutschland beispielsweise am Einkommen einer Person gemessen wird, gilt bei den afrikanischen Masai als reich, wer die größte Kuhherde besitzt. Dieses Bild beweist, dass Entwicklung nicht einfach durch monetäre Werte ausgedrückt werden kann, sondern auch kulturelle Aspekte einzubeziehen sind. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung kann Ungleichheiten folglich akzeptieren, schließt aber natürliche Faktoren als Erklärungsansatz für Unterschiede aus und kann somit die Diskrepanz zwischen entwickelten und unterentwickelten Volkswirtschaften, die im Zuge dieser Bezeichnung erneut einer Differenzierung unterliegen, nur unzulänglich erklären.

Entwicklungsländer im Kalten Krieg

Young Sun Hong, gegenwärtig am Centre of European Studies in Harvard tätig, machte in ihrem Beitrag die Bedeutung der Entwicklungsländer als Nebenkriegsschauplätze im Kalten Krieg deutlich, wobei sie insbesondere das Verhalten der beiden deutschen Staaten schilderte. Neben den Sicherheitsfragen, die mit Zusicherung humanitärer Hilfe beantwortet werden konnten, nutzte die DDR-Regierung ihre medizinische Entwicklungsarbeit im Bereich public health beispielsweise auch für propagandistische Zwecke im eigenen Land.

Abschließend und an die medizinischen Themenfelder anknüpfend, referierte Marcel Dreier, Doktorand an der Universität Basel, über die Afrikanisierung eines Spitals in Tansania, das sich, soviel sei vorweggenommen, noch immer in schweizerischer Trägerschaft befindet. Schon der Begriff der Afrikanisierung verweist auf die Bedeutung von Rasse innerhalb dieses Prozesses. Das hier exemplarisch vorgestellte St. Francis Hospital ist ursprünglich eine spätkoloniale Einrichtung. Im Hospital arbeiten seit der Gründung auch schweizerische Mediziner. Im Zuge der Afrikanisierung wurden zunehmend auch afrikanische Ärzte ausgebildet und insbesondere entsprechend der lokalen Bedürfnisse geschult.

1985 erhielt ein afrikanischer Arzt bei gleicher Stundenzahl nur ein Fünftel des Gehalts seines europäischen Kollegen im selben Krankenhaus.

Dennoch herrschen im Spital weiterhin Rassismen vor. Europäische Ärzte beispielsweise haben materielle Vorteile, 1985 erhielt ein afrikanischer Arzt bei gleicher Stundenzahl nur ein Fünftel des Gehalts seines europäischen Kollegen im selben Krankenhaus. Die Afrikanisierung greift daher vorwiegend bei den stereotypen Problemen Afrikas wie der Armut, die von den Einheimischen selbst gelöst werden soll. Zudem torpediert die Regierung Tansanias noch immer weitere Afrikanisierungsprozesse, da dann der Abzug von Entwicklungsgeldern droht.

Die vorangegangenen Fallbeispiele und Diskussionsansätze lassen erahnen, was für eine Fülle weiterer Fragen und Problemstellungen die humanitäre Hilfe aufwirft und dass es zudem unbedingt notwenig erscheint, sie in einem globalen Rahmen zu verorten um ihrer Komplexität überhaupt gerecht werden zu können. Des Weiteren belegten die Beiträge sehr deutlich, dass neben den praktischen, medizinischen, materiellen Überlegungen auch moralische Komponenten in die Debatte einfließen.

Diese zentralen Punkte hat Patrick Harris, Professor für Afrikanische Geschichte an der Universität Basel, in seinen Schlusskommentar mit aufgenommen. Er führte die vorherigen Vorträge auf die eigentlichen Motive und damit verbunden auch auf die Machtinteressen humanitärer Entwicklung zurück, wobei sich die Bedeutung von Rassismen als Abgrenzungs- und Ausgrenzungsmechanismen sowie Mittel der Hierarchisierung oder als System der Abhängigkeiten immer wieder herauskristallisierte. Marcel Dreier hat es so formuliert: Der Inhalt von Rasse wird heute damit definiert, wie groß die Wahrscheinlichkeit/Gefahr ist als primitiv zu gelten/eingeordnet zu werden. Solange diese Regel Gültigkeit hat, existiert auch Rassismus, wenngleich in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Forschung selbst hat die Problematik der Differenzierung, in der es vielleicht nicht mehr den Eingeborenen oder den Missionar gibt, am eigenen Leib selbst erfahren. Sie fokussiert auf die Entwicklungshelfer – human wäre eine Gleichberechtigung beider Seiten, die möglicherweise einmal zusammenwachsen, doch deren Miteinander oder Nebeneinander in erster Linie auf gegenseitigem Respekt gründen muss.

(Redaktion: KP/MS)