Mit diesem provozierenden Thema begann im überfüllten Audimax des Grimmzentrums am Mittwoch, den 29. September 2010, unter der Leitung von Jun. Prof. Dr. Meik Zülsdorf-Kersting (Osnabrück) die Eröffnungsveranstaltung der Geschichtsdidaktiker im Rahmen des 48. Historikertages vor und mit einer interessierten Zuhörerschaft.
Von Bernhard Schell
In seinem Einleitungsreferat machte Prof. Dr. Meik Zülsdorf-Kersting (Foto links) deutlich, dass sich die Geschichtsdidaktiker noch immer uneinig sind, was eigentlich guter Geschichtsunterricht ist.
Über schlechten Unterricht sei die Forschung sich schnell einig, aber die fachwissenschaftliche Kontroverse über das „gut” sei noch lange nicht abgeschlossen. Umstritten ist ebenfalls, welche Ziele im Geschichtsunterricht erreicht werden sollen. Seit ca. 30 Jahren hat die deutsche Geschichtsdidaktik ihre Grenzen ausgeweitet, vernachlässigte dabei aber – bis auf wenige Ausnahmen wie z.B. Peter Gautschi – die empirische Unterrichtsforschung. Wie die eigentlichen Akteure des Geschichtsunterrichts, Schüler und Lehrer, die Qualität guten Unterrichts einschätzen, lässt sich allenfalls erahnen. In der Forschung sei man sich daher auch einig, dass sich die Geschichtsdidaktik wieder verstärkt diesem Bereich zuwenden müsse. Diese Sektion fühlt sich dieser Vorgehensweise verpflichtet und möchte mittels eines Unterrichtsmitschnitts einen Dialog zwischen unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen.
Die Geschichtsdidaktik hat die empirische Unterrichtsforschung jahrzehntelang vernachlässigt.
Der darauf folgende elf-minütige Unterrichtsmitschnitt war Teil einer aufgezeichneten Doppelstunde innerhalb der Unterrichtseinheit „Oktoberrevolution 1917″ in einem Leistungskurs der Jahrgangsstufe 12. Die 25 Schülerinnen und Schüler eines Osnabrücker Gymnasiums hatten als Thema der Doppelstunde die Frage, ob die Ereignisse von 1917 in Petrograd ein Putsch oder eine Revolution waren. Mit diesem Unterrichtsmitschnitt wurden die Grenzen bisheriger Methodenzugänge gleich in zweifacher Hinsicht überschritten. Zum einen wurde der Unterricht videografiert, transkribiert und analysiert. Zum anderen standen die Hauptakteure, Schüler und Lehrer, in Interviews Rede und Antwort. Das Ziel dabei war, methodische Engführungen zu vermeiden und durch den mehrdimensionalen Zugang eine fachspezifische Diskussion über Qualitätsmerkmale von Geschichtsunterricht anzustoßen. Die Interviews fanden noch am gleichen Tag statt und dauerten 30 Minuten.
Reflektion aus Lehrerperspektive
Im Anschluss an den Videoausschnitt betrachtete Dr. Holger Thünemann (Münster) die Sequenz aus der Perspektive des interviewten Lehrers. Die Befragung startete mit der Wahrnehmung des Ablaufs. Hier überwogen, was verständlich für einen Lehrer ist, zuerst die fachunspezifischen Kategorien, wie z.B. die Erarbeitung der Hausarbeiten, die Unterrichtsbeteiligung u.Ä. Erst mit zunehmender Dauer traten die fachspezifischen Aspekte in den Vordergrund.
Die große Herausforderung: Schüler zu historischem Denken anregen.
Dabei war dem Kollegen wichtig, Sachkenntnis zu vermitteln, dies ist mit Sicherheit eines der Hauptziele seines Unterrichts. Wichtig war ihm aber ebenso, die Schüler vom „Olymp” ihres „momentanen gut-bundesrepublikanischen” Standpunktes herunterzuholen und zu historischem Denken zu bringen. Höhepunkt in dieser Hinsicht war dann auch der Vergleich der russischen Oktoberrevolution mit der französischen Revolution, der von Schülerseite kam.
Trotz dieser Selbstreflexion trat beim Lehrer immer wieder starke Verunsicherung hervor, ob die Schülerinnen und Schüler seine Qualitätsmerkmale teilten, oder ob eher fachunspezifische Merkmale in den Vordergrund gerückt würden, wie z.B. die Noten. Insgesamt ist für ihn aber eine personenorientierte Förderung historischen Denkens von überragender Bedeutung.
Unterrichtsanalyse aus Schülerperspektive
Nach kurzer Diskussionsrunde beleuchtete Dr. Johannes Meyer-Hamme (Hamburg) den Unterricht aus Schülerperspektive. Zentrale Frage war dabei, welche Perspektiven Schüler einnehmen. Vier Schülerinnen und Schüler wurden befragt, nachdem sie sich freiwillig gemeldet hatten. Nicht nur das Leistungsspektrum war damit nicht komplett abgedeckt, was allerdings so gewollt war. Überraschend dabei war, dass sich überwiegend Mädchen gemeldet hatten, obwohl gerade diese Zielgruppe vorher im Unterricht eher zurückhaltend agiert hatte. Auffallend war die Heterogenität der Schülerantworten. Je nach Leistungsstand hatten sie auch unterschiedliche Qualitätskriterien. Karla (die Namen wurden von den Interviewern kodiert), eine eher schwache Schülerin, hatte als zentrales Kriterium den Wissenserwerb, während für Johanna, eine sehr aktive Schülerin, „Geschichte erleben” im Mittelpunkt stand.
Wie repräsentativ waren die ausgewählten Schülerinterviews?
Unterschiedliche Bedürfnisse sollten daher auch so wahrgenommen und berücksichtigt werden. Allerdings stellte sich für viele Besucher danach die Frage, wie repräsentativ denn diese vier Schülerinterviews seien und ob das erzielte Ergebnis den große Aufwand rechtfertige.
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