Jugendliche erforschen die Vergangenheit, so lautete das Novum des diesjährigen Historikertags in Berlin. Zum 48. Mal treffen sich Historiker, in diesem Jahr in Berlin, um zusammen mit Geschichtslehrern, Studenten, Schülern und Interessierten mehr über Geschichte zu erfahren. In den meisten Fällen jedoch spielen Schüler eine nur nebensächliche Rolle bei solchen Tagungen, da es meist ihre Aufgabe ist, geduldige Zuhörer zu mimen.

Von Klaus Körmös

Anders aber in diesem Jahr! Zum ersten Mal in der Geschichte der Historikertagungen sollten Schüler und angehende Studenten das Programm für vier ganze Stunden mit ihren Berichten, Erkenntnissen und Projekten füllen und so auch aus Sicht der Schüler einen Beitrag zum Historikertag leisten.

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In seiner Eröffnungsrede betonte Prof. Dr. Karl Heinrich Pohl, dass die Unbefangenheit und Sorglosigkeit der Schüler in Bezug auf die Geschichte in vielerlei Hinsicht von Vorteil sei.
Sowohl die Schüler selbst als auch der Verband profitierten von dieser Kooperation ungemein und deshalb sollte dieses Experiment, das Schüler über ihre Geschichtsprojekte und Erfahrungen erzählen lässt, in die Wege geleitet werden und es sollte Einzug ins Programm der Historikertage finden.

Dass dieser Workshop etwas Besonderes war, sah man sogleich an der Anzahl von Zuhörern und Zuhörerinnen: Ein voller Hörsaal, bunt gemischt in Alter und Geschlecht, konnte von den beiden Moderatorinnen Katja Köhr und Katja Faussner begrüßt werden.

Historische Projektarbeit von und mit Schülern

Der gesamte Ablauf wurde im Folgenden vorgestellt: „Historische Projektarbeit in Aktion”, „Schüler entdecken Geschichte”, „Schüler als Forscher” und „Geschichte macht Spaß – aber als Beruf?”. Gleich zu Beginn wurde ein Film gezeigt, in dem Schüler einer 9. Klasse aus Hamburg dabei begleitet wurden, wie sie mit Hilfe ihres Lehrers am Geschichtswettbewerb der Körber-Stiftung teilnahmen und was bzw. vor allem wie sie dabei gearbeitet haben. Als erstes kleines Highlight konnte man hierzu die drei Protagonisten des Filmes Tobias Meier, Laura Neumann und Marieke Schimowski im Hörsaal begrüßen. Nicht nur, dass diese drei nochmals live von ihren Erfahrungen erzählen konnten, auch wurde den Zuhörern die Möglichkeit geboten, direkte Fragen an die Personen zu stellen und somit auch vor Ort die Eindrücke aus dem Film nochmal zu diskutieren.

Zeitaufwändige Recherche gehört zur geschichtlichen Projektarbeit dazu. Die Schüler haben dennoch (oder deswegen) großen Spaß!

Aus ihrem Vortrag konnte man ersehen, wie die drei Hamburger recherchierten und wo sie ihr Weg hinführte und noch hinführen wird, da sie mit ihrem Projekt noch nicht ganz fertig sind. Von ihrem Lehrer bekamen sie ein Thema vorgeschlagen, das den Namen „Skandal im Spielhaus” trägt. In diesem „Skandal” geht es um das Theaterstück „Die Verbrecher” von Ferdinand Brückner, das von Homosexualität und Abtreibung handelt und im Jahre 1927 spielt. „Skandal” nannte man es, da es in Vorstellungen öfters zu Zwischenfällen kam, weil die breite Masse an Zuhörern diese Themen als Tabus betrachteten und der NSDAP Themen wie Homosexualität ein Dorn im Auge waren. In der Regel manifestierten sich die Störungen in Ausschreitungen bei den einzelnen Aufführungen.

Doch trotz allem Zeitaufwand, Stress und der aufwändigen Recherche würden alle drei Teilnehmer dieses Projekt wieder starten, da es ihrer Meinung nach weitaus besser und effektiver als Schulunterricht sei und sie in kurzer Zeit doch viel für sich herausfinden konnten.

Die Ohrfeige, die Deutschland brauchte

Auch eine weitere Gruppe aus Schülern stellte ihr Projekt und ihre Erfahrungen vor. Die zweite Schülergruppe bestand ebenfalls aus drei Teilnehmern. Philipp-Donatus Götther, Helge Jonas Pösche und Lara Sophia Schmitz sichteten in nur zwei Tagen eine Vielzahl an Informationen aus dem Berliner Stadtarchiv über „Die Ohrfeige, die Deutschland brauchte”. Die Rede ist hier von Beate Klarsfeld, die dem Bundespräsidenten Kurt Georg Kiesinger am 7.11.1968 mitten auf der Bühne einer Podiumsdiskussion eine Ohrfeige gab und somit zu etwas zweifelhaftem Ruhm gelangte.

In kurzer Zeit konnten diese drei Jugendlichen eine beeindruckende Menge an Informationen und Hintergrundwissen zusammentragen und mit Hilfe einer Powerpoint-Präsentation dem Zuhörer ein sehr gutes Bild dieses doch sehr kuriosen Ereignisses der deutschen Geschichte übermitteln.

Im Anschluss an ihre Präsentation eröffneten die Jugendliche eine Diskussionsrunde, in der darüber geredet werden sollte, ob die Ohrfeige ethisch vertretbar sei oder ob Beate Klarsfeld nicht doch einen großen Fehler begangen habe. Im Verlaufe der Diskussion stellte sich sehr deutlich heraus, dass sich in diesem Falle die Geister scheiden und man – wie so oft in der Geschichte – nicht auf eine sogenannte „Wahrheit” oder Antwort kommt. Sowohl Befürworter als auch Gegensprecher fanden sich unter den antwortenden Schülern und so blieb den Referenten dann nur noch, abschließend den Lebenslauf ihrer beiden Protagonisten zu skizzieren. Kiesinger ist mittlerweile gestorben und Klarsfeld, die in die französische Ehrenlegion aufgenommen wurde, lebt in Paris.

Im Anschluss an diese Gruppe kamen die Bundessieger des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten zu Wort, stellten ihre Projekte vor und gaben ihre Ergebnisse wieder. Giovanna-Beatrice Carlesso, Bettina Frevert und Rahul Kulka erzählten über ihre teils vollkommen unbekannten, teils einfach nur vergessenen Helden und ihre Projektarbeit im Zuge des Bundeswettbewerbs.

Der “perfekte” Held ist eine Illusion.

Als wohl wichtigste Erkenntnis bei allen drei Referenten sind die Worte „Held” und „vergessen” herauszuheben. Alle drei waren und sind sich einig darüber, dass ein perfekter Held nur die Erfindung eines totalitären Regimes ist. Zudem verstehen die drei nicht, wie ihre Protagonisten, die sie sich ausgesucht haben, in Vergessenheit geraten konnten. Ob Hans Beimler oder Theodor Mögling, beide sollten nicht vergessen werden, genauso wenig wie die „Helden der Arbeit”, was eine Benennung für Arbeiter und Errungenschaft in der DDR war.

Durch kurze Vorträge und Zwischenfragen erkannte man sehr schnell das enorme Maß an Arbeit, das jeder einzelne in seine Arbeit investiert hatte. Zum Schluss unterstrichen die drei noch, dass sie jedem ans Herz legen, sich bei diesem Wettbewerb einzuschreiben und mitzumachen, da es eine enorme Bereicherung für jeden persönlich sei.

Der letzte Punkt von Schülerseite war ein Vortrag von Niklas Plätzer, der über seine besonderen Erfahrungen und seine intensiven Recherchen über Adam von Trott zu Solz berichtete, gespickt mit Bildern der Witwe zu Solz und ergänzt von einem mehr als leidenschaftlichen Plädoyer für Wikipedia.

Seiner Ansicht nach sollte jeder anfangen, über Themen seiner Wahl zu schreiben und diese auf Wikipedia zu verbreiten, da es nicht nur gilt, Infomaterial zu sammeln und zu verarbeiten, sondern auch sein eigenes Wissen zu verbreiten und der breiten Masse zugänglich zu machen.
Wikipedia reiße Grenzen ein, da jeder schreiben kann, ob Taxifahrer oder Professor, es komme nur auf den Inhalt und die Qualität des Artikels an, so Plätzer, selbst ein begeisterter Wikipedianer.

Podiumsdiskussion zum Abschluss

Nach einer 45-minütigen Pause fand eine Podiumsdiskussion statt, bei der ehemalige Geschichtsstudenten über ihren Berufsweg und ihre Erfahrungen im Berufsleben erzählten.
In der folgenden Diskussionsrunde konnte der Mythos, dass Geisteswissenschaftler nur schwer einen Job bekommen, aus der Welt geschafft werden. Betont wurde genauso die Tatsachen, dass man sein Studiums nach den je eigenen Stärken und Interessen auswählen sollte und dass man das Geschichtsstudium fast in allen Lebenslagen und Situationen nach dem Studium benutzen kann.

Denn wie sagte schon ein Professor eines Teilnehmers der Podiumsdiskussion? „Sie müssen ein Prinzip verstehen! Sie müssen die Vergangenheit kennen, um die Zukunft zu verstehen und die Gegenwart zu begreifen!” Nicht nur Historiker und Lehrer profitieren von diesen Historikertagen. Auch die Schüler bereichern ihn ungemein mit ihrer Gestaltung und der aktiven Teilnahme.

(Redaktion: KP/MS)