Grenzen wurden in der europäischen Geschichte seit jeher gezogen, wobei mit ihrer Funktion der territorialen Abgrenzung zu einem anderen Raum eine damit vollzogene kulturelle Bestimmung einhergeht. Die Grenze als solche ist demnach tief im europäischen Bewusstsein und in der Geistesgeschichte verwurzelt. Insbesondere im Kontakt mit anderen, fremden Kulturen und als Mechanismus der Unterwerfung führte die geometrische Auffassung von Grenze (Territorialität und Linearität) oftmals zu konfliktträchtigen Grenzmissverständnissen. Fraglich bleibt, inwieweit die Wissenschaft von einer Akzeptanz der europäischen Grenzziehung bei Völkern sprechen kann, denen die Vorstellung der Grenze als machtpolitisches Ordnungsmuster vollkommen fremd war. Der bisher vorherrschende Eurozentrismus erweist sich im Kontext der Globalgeschichtsschreibung daher als ebenso unerlässlich wie ungeeignet.

i-4acc4d6a35c89cb4f77bf0a7905fa215-Grenzgebiet.jpgVon Nicole Güther

Die Genese der Grenze in ihrer europäischen Auffassung ist mit Ausnahme des römischen Limes und der chinesischen Mauer ein Produkt der Entstehung neuzeitlicher Staatlichkeit und fast allen außereuropäischen Kulturen vollkommen fremd. Ihre eigene Begrenzung auf den europäischen/westlichen Kulturraum klassifiziert sie zu einem europäischen Phänomen. Das historische Bedürfnis nach Abgrenzung und der damit erhofften Sicherung des als Eigentum empfundenen Raumes unterliegt währenddessen einem Paradox: die wider die Natur von Menschenhand geschaffene Begrenzung provoziert mit ihrer Existenz einen sie wiederum bedrohenden Konflikt. Ihr Export über den Seeweg in alle Teile der Welt schuf bis in unsere Tage bekannte Auseinandersetzungen.

Die Sektion „Grenzmissverständnisse in der Globalgeschichte” nimmt in vier Vorträgen das diesjährige Thema des 48. Historikertages „Über Grenzen” in seiner räumlichen als auch symbolisch-sozialen Auffassung auf.

Leider blieb unklar, worin sich “Grenzmissverständnisse” von “kriegerischen Grenzkonflikten” unterscheiden.

Vorgestellt wurde die Problematik anhand der europäischen Kolonisation in Teilen Asiens, Afrikas und Australiens im Zeitraum zwischen 1500 und 1900. Die globalgeschichtliche Perspektive, die bewusst den europäischen Raum verließ, verdeutlicht den kulturellen Konflikt als maßgeblich. Zum besseren Verständnis der Beiträge wurde es leider versäumt, den zentralen Begriff des „Grenzmissverständnisses” hinsichtlich der referierten Themenbereiche genau zu definieren. So blieb unklar, inwiefern Grenzmissverständnisse sich von Grenzkonflikten kriegerischer Natur unterscheiden.

Dr. Stefanie Michels (Frankfurt/Main) Beschreibung der Grenze als Ordnungsmuster deutscher Kolonialpolitik in Afrika charakterisiert jene gar als Ort des gegenseitigen Kontakts. In krasser Ablehnung der physischen Bedeutung einer auf Karten sichtbaren Abgrenzung verwies sie auf die rein symbolische Bedeutung, wie sie sich in Kleidung ausdrückt (so verzichtete Michels gar auf Nennung des thematisierten Landes, dies konnte sich nur aus genauer Kenntnis afrikanischer Geschichte erschließen). Ihr Vortrag machte jedoch auch deutlich, dass eine Grenze unterschiedlich erfahrbar ist.

Grenze als Kontaktzone von Kulturen

Grenzmissverständnis im kulturell-soziologischen Verhältnis (Religion, Klasse, Rasse) war auch im Vortrag von Prof. Norbert Finzsch von der Universität Köln grundlegend. Grenze als Kontaktzone unterschiedlich kulturell geprägter Gruppen erscheint demnach schon im Akt der Genese als Grund des Scheiterns, im Falle Australiens gar als genozidal.

Dr. Alexander Drost von der Universität Jena referierte über die Grenzerfahrung der Indigenen auf den Molukken (ehemals Gewürzinsel nahe Neuguinea) und resümierte die Problematik als Folge der unterschiedlichen Herrschaftskonzepte und Raumordnungsmuster naturverbundener Urvölker. Eine nicht klar bestimmbare räumliche Trennung wie im Inselreich Südostasiens erfährt demnach einen, vielleicht umso stärker kulturell erfahrbaren Grenzkonflikt. Die als materiell, ideell und ideologisch erfassbare Grenze europäischer Prägung manifestiert sich traditionell auch sprachlich und belegt einmal mehr die Bedingtheit durch den europäischen Denkrahmen.

(Redaktion: KP/MS)