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“Wir werden auch Themen behandeln wie den iconic turn, also die Frage, ob es eine universale Bildwissenschaft gibt und was diese mit den Medien zu tun hat(245)”,

verspricht Hans-Ulrich Reck.

Die Antwort überlässt er seinem Freund Bazon Brock, der lakonisch zweierlei festhält:

“Der eigentliche iconic turn besteht darin, dass heute vor Gericht niemand mehr das Argument abgenommen wird, dass er durch Bilder getäuscht worden sei. Selbst in der Rechtsprechung geht man davon aus, dass jeder, der mit Photographie, Film, Fernsehen aufgewachsen ist, nicht mehr vor Gericht einklagen kann, dass zwischen dem im Reiseprospekt abgebildeten Hotel mit Sandstrand und dem real von ihm wahrgenommenen Hotel vor Ort eine einklagbare Differenz besteht.(267)”

Die andere Seite des iconic turn sieht Brock in der Schlacht um die Ausildungsprogramme, und damit geht es zurüpck zur Unvermeidlichkeit der Kunst:

“Die zu diskutierende Fragestellung wird in jedem Bildungs- und Kultusministerium aufgegrifffen, wenn intern entschieden werden soll, ob ein neu zu errichtender Lehrstuhl nun unter dem Titel Ästhetik, Kunstgeschichte, Bildwissenschaften, Medienanthropologie oder Kunstkritik ausgeschrieben werden soll. Jeder, der sich verführen lässt, unter dem Titel Medienwissenschaft als Professor anzutreten, muss mit der Zeit einsehen, dass sein Bemühen ohne Bezug auf die Kunst vergeblich sein wird. Sobald der Bezug zu Kunst ind erMedinekritik oder Medienanthropologie ausfällt, geht der Betreffende zurgrunde. Denn nur die Kunst handelt von Evidenzkritik als um im Bild selbst.(268)”

Diese Aussage erscheint ziemlich gewagt, wenn nicht geradewegs ignorant, angesichts der Fülle an Referenzen von Bildern auf Bilder, die auf Seiten wie Flickr oder Youtube kultiviert wird. Natürlich gelten dort nicht die Diskursregeln der beiden Herren. Aber Brock bleibt mit seinen Thesen ganz im Tenor der Buches.

Die rhetorische Frage im Titel des Buches beantwortet Reck umgehend auf Seite 11:

“Nur kunstphilosophisch, nicht schon bildtheoretisch kann der Eigensinn der Bilder in seiner ganzen Tragweite erfaßt werden. Denn an der Eigensinnigkeit der Bilder endet jede wissenschaftliche Paradigmatik und beginnt die Leidenschaft der Kunst, erst recht die Leidenschaftlichkeit im Umgang mit ihr.”

Nicht dass damit alle Rätsel gelöst wären, aber eben doch ein guter Teil der im Titel gestellten Frage. Mit der so erklärten Leidenschaftlichkeit reitet Reck durch das ganze Buch. Das hat die unangenehme Folge, dass fast durchgehend derselbe herrische und selbstgewisse Tonfall regiert. Der Autor hat alles schon immer richtig beieinander und ergeht sich in einer Sprache, die nicht eigentlich etwas zur Diskussion stellt oder zum Denken auffordert, sondern so als hätte er alles der Sekretärin diktiert im Leser den ergebenen Hörer sucht. Nicht zuletzt dieser unschönen Eigensinnigkeit ist es geschuldet, dass Reck in Fachkreisen, aber auch beim weiteren Publikum nie die Beachtung gefunden hat, die er vielleicht verdienen würde.

Es erfordert eine gewisse Mühe, sich von dem Stil des Autors frei zu machen, um unvoreingenommen nachzuvollziehen, was gesagt wird. Und das lohnt sich durchaus. Die Zielrichtung ist klar vorgegeben. Reck möchte, zusammen mit der Kunst in ihrer übergeordneten kritischen Position gegenüber den Bildern, den Vorrang der Kunstgeschichte gegenüber jeder denkbaren Bildwissenschaft bekräftigen. Er lässt kaum einen theoretischen Standpunkt aus, um das Fundament für seine Thesen zu legen. Seine Tour de Force durch die philosophischen Hintergründe führt über Merleau-Ponty, Bredekamp, Breidbach, Sartre, Piaget, Goodman, Bourdieu, Imdahl, Boehm, Sachs-Hombach und immer wieder zurück zu Reck, Reck, Reck. Um Thesen wie um Material ist der Autor nie verlegen, nur geht er auf seinem Weg nicht geradeaus voran, sondern sammelt auf, was sich am Rand und auch auf Umleitungen noch alles an Wichtigem oder nur Naheliegendem finden lässt.

Reck nimmt eine modernistische Position ein. Er setzt die Verweigerung des Künstlers gegen den plebejischen Glamour der Warenwelt; die Kraft der Avantgarden gegen die Vereinnahmung durch den globalen Kapitalismus; und Komplexität künstlerische Strategien gegen das schlicht Bildhafte.

Wo Reck dann aber die Strategien der Kunst zu sprechen kommt, bleiben seine Auskünfte oft vage. So etwa im Fall des Samplings. Es hätte sich angeboten, hier auf die seit einiger Zeit viel diskutierten Thesen von Nicolas Bourriaud zur relationalen Ästhetik und zur Kunst als Postproduction einzugehen. Aber die vielen Künstler der 90er Jahre, die sich so gut als Beispiel angeboten hätten, wie Sampling als künstlerische Strategie funktioniert und wohin es erweitert werden kann, bleiben weitgehend unerwähnt, sieht man von einem einzigen versteckten Hinweis auf Recks schweizer Landsmännin Pipilotti Rist ab. Stattdessen hält er sich lang mit philosophischen und technizistischen Deutungen dessen auf, was Sampling als Kulturtechnik bedeuten könnte, und zieht sich dabei selbst vom weiteren Umfeld der Kunst auf den Bereich des bloß Bildhaften zurück.

Am Ende gerät die Kunst weitgehend aus dem Blick, wenn Reck versucht, seine Thesen auf den aktuellen Stand der Bildpolitik nach dem zweiten Golfkrieg aufzurüsten. Diesem Bemühen schuldet sich wohl auch das eigentümliche Motiv des Buchtitels, das Usama Bin Laden im Visier einer Überwachungskamera zeigen soll.

In einem sogenannten „Theorie-Duett” mit Bazon Brock findet das Buch seinen Abschluss. Hier vollzieht sich tatsächlich eine erstaunliche Wandlung. Wenn Reck vor Publikum spricht – und das Duett gibt einen öffentlichen Dialog aus dem Jahr 2004 wieder – verändert sich sein Ton. An die Stelle des Behauptenden tritt der Lehrende, der sich bemüht, sein Wissen zu vermitteln und es auch kann, wenn er nur gefragt wird und sich nicht beim Schreiben selbst überlassen bleibt.

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Hans Ulrich Reck: Der Eigensinn der Bilder. Bildtheorie oder Kunstphilosophie? Fink Verlag 2007, € 27,90