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Keines der großen Bücher von W.J.T.Mitchell wurde je ins Deutsche übersetzt, weder die Iconology von 1986, noch Picture Theory von 1994. Beide Werke geistern seither also kleine Unbekannte durch die hiesigen Leselisten zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaft, ohne wirklich wahrgenommen zu werden. Und das nicht von ungefähr.
Nun legt der Suhrkamp-Verlag eine Auswahl von Aufsätzen Mitchells unter dem etwas irreführenden Titel Bildtheorie auf deutsch vor. Das passt in ein akademisches Umfeld, das hierzulande seit ein paar Jahren Zeit debattiert, wie eine Bildwissenschaft zu gründen wäre. Aber gerade die große Theorie dazu liefert Mitchell nicht, und zwar ganz bewusst nicht. Dazu ist er immer ein viel zu unentschiedener Autor gewesen. Den etwas großspurigen Titeln seiner beiden ersten Bücher zum Trotz hat er nie eine geschlossenes theoretisches Gebäude entwickelt.
Iconology nimmt den Titel Panofskys auf, um gegen dessen Methode der Ikonologie oder besser deren zu naive Lesarten zu argumentieren. Der vorgelegte Band übernimmt daraus die Einleitung und das erste Kapitel. Die von Mitchell so genannte Picture Theory, aus der die Seiten 35-102 übersetzt sind, ist ebenfalls keine Theorie der Bilder, sondern vagabundiert um das im Titel benannte Thema herum. Dass Mitchell zu keinen in sich geschlossenen Aussagegebäude kommt, hängt wohl auch damit zusammen, dass er nicht das Risiko auf sich nehmen wollte, sich mit Festlegungen allzu angreifbar zu machen. So schillert bei ihm das Begriffs-Paar picture und image zwischen materiellen Bild-Dingen und allerlei visuellen Inhalten oder geistigen Vorstellungsbildern. Mitchell hat stets mehr Energie darauf verwandt, andere Theorien zu sezieren, als einen eigenen Ansatz dagegen zu setzen. So behalten alle seine Ausführung etwas Vorläufiges.

Ich bin mir voll und ganz darüber im klaren, dass ich meine den Status des Text/Bilds betreffenden Behauptungen nicht im entferntesten bewiesen habe

, sagt er selbst an einer Stelle und benennt dabei ein grundsätzliches Dilemma.
Berühmt ist Mitchell als derjenige, der die Figur der Turns erstmals auf die Bilder angewandt hat, indem er vom Pictorial Turn sprach. Aber auch hier hat man es nicht mit einer entschiedenen Losung zu tun. Statt dessen zeigt sich dieselbe zögerliche Haltung, die Mitchell insgesamt kennzeichnet. Sie zeigt sich am besten in seiner eigenen Kritik des von ihm geprägten Pictorial Turn:

Zunächst wollte ich nicht behaupten, das moderne Zeitalter sei in einzigartiger Weise besessen vom Sehen und der visuellen Repräsentation. Vielmehr wollte ich die Vorstellung einer ‘Wendung zum Visuellen’ oder zum Bild als einen Gemeinplatz anerkennen, als etwas, das salopp und gedankenlos über unsere Zeit gesagt und sowohl von denen, die diese Vorstellung bejahen, als auch von denen, die sie ablehnen, gewöhnlich mit unreflektierter Zustimmung akzeptiert wird.

Das Zaudern, das Zögerliche, das Zweifelnde mag Mitchell von der philosophischen Vorgehensweise Wittgensteins übernommen haben, auf den er sich an vielen Stellen bezieht. Was sich beim späten Wittgenstein aber als immer wieder auf dieselben Sätze zurückkommendes Mäandern äußert, gerät Mitchell zu einer teils unentschiedenen, teils selbstzerstörerischen Pose. Damit erklärt sich zum Teil, warum er nie übersetzt wurde.

Der Rest der Erklärung ergibt sich aus einem ganz anderen Grund: Mitchell war zu früh.
Das wird besonders deutlich, wenn man die beiden Aufsätze zur Gründung der Disziplin Visual Culture betrachtet. Bei dem einen handelt sich um eine 2002 vorgelegte Kritik des in den Vereinigten Staaten zu der Zeit etablierten Faches. Aufschlussreich wird diese Kritik im Vergleich mit dem Thesenpapier Was ist visuelle Kultur?. Im Gegensatz zu den anderen Texten des Buches war dieser ursprünglich als eine interne Notiz für die Arbeitsgruppe zur Gründung des Fachs gedacht. Und zwar im Jahr 1993! Damals legte Mitchell das Fundament für die amerikanische Variante der Bildwissenschaften gearbeitet hat. Manch ein Versuch, dasselbe in Deutschland zu wiederholen, hätte gut daran getan, sich seine Blaupausen etwas genauer anzusehen. Das kann nun nachgeholt werden. So erscheint die Auswahl seiner Schriften gerade rechtzeitig, um der deutsche Debatte den amerikanischen Stand der frühen 90er vorzuführen.
Aber auch hier herrschen Mitchells fortwährende Zweifel am Sinn des Faches. Sie gehorchen nicht etwa einem durchgehend destruktiven Impuls, sondern rühren zu einem guten Teil vom Respekt vor den Bildern her. Mitchell hegt den gut begründeten Verdacht, dass Sprache allzu gern ins Terrain der Bilder vorstößt und dabei leichter zu Blindheit als zu Erkenntnis führt.

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W.J.T Mitchell: Bildtheorie. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2008, 32,80€