Wie geht das eigentlich, eine ganz neue Forschungsgruppe aufbauen?

Simon Alberti, von dem im letzten Eintrag bereits die Rede war, hat die letzten viereinhalb Jahre in den USA gearbeitet. Im Labor der Zellbiologin Susan Lindqvist hat er als Post-Doc über Prionen geforscht, Proteine also, die sich auffällig oft “falsch” falten. Sie kommen nicht etwa nur in Zellen von Säugetieren vor, wo die abnormale Form bekanntlich an der Entstehung von Rinderwahnsinn bei Kühen und der Creutzfeld-Jakob-Krankheit bei Menschen beteiligt ist. Nein, sie gehören wahrscheinlich auch zum Inventar vieler anderer, vielleicht sogar aller Lebewesen. Nachgewiesen sind sie jedenfalls in Hefe.

Um herauszufinden, wozu Prionen normalerweise gut sind, ist das praktisch: Die einzelligen Hefen lassen sich ganz einfach züchten. Binnen weniger Stunden ist eine neue Generation herangewachsen, sodass sich vererbte Eigenschaften und Veränderungen schnell finden lassen. Vor allem aber ist die Prionen-Falschfaltung sogar mit bloßem Auge sofort erkennbar, obwohl die Proteine selbst eigentlich viel zu klein sind dafür: Hat die Mehrheit der in den Zellen herumschwimmenden Prionenproteine Knäuelform, sind die Hefe-Kolonien rot, liegen überwiegend Prionen-Bündel vor, sind sie weiß.

(Hefen riechen außerdem gut – im Gegensatz etwa zu anderen, in der Forschung gern genutzten Einzellern wie Darmbakterien. Aber das nur nebenbei.)

Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass man sie gut mitnehmen kann, wenn man seine Zelte an einer neuen Forschungsstätte aufschlägt. Vorausgesetzt, die vorherigen Hefe-Halter lassen ihre Zöglinge ziehen. “Manche Chefs hüten ihr Material eifersüchtig, aber das war bei meiner früheren Chefin in Cambridge zum Glück nicht der Fall”, sagt Simon Alberti, “sonst hätte ich hier erst einmal zwei Jahre lang nur Hefen gezüchtet, bevor ich hätte beginnen können.”

Die Hefen reisten aber nicht im Container mit Kleidern und Möbeln über den Atlantik, sondern mit Glycerin als Frostschutz bei minus 80 Grad tiefgekühlt und in vier kubikmetergroße Styroporkisten mit Trockeneis verpackt. Eine Zitterpartie, denn wären sie irgendwo unterwegs hängen geblieben und aufgetaut, hätte dies ebenfalls einen Neubeginn bedeutet.

Natürlich war es mit den Hefen nicht getan. Maschinen mussten her, ein Brutschrank zum Beispiel, in dem die Hefen bei 30 Grad gedeihen, Zentrifugen, Computer, Pipetten und Petrischalen. Und Menschen, die damit arbeiten. Bis jetzt besteht die Gruppe aus der technischen Assistentin Doris Richter und aus der Doktorandin Liliana Malinovska. Letztere fängt gerade damit an, in einem weiteren Lebewesen nach Prionproteinen zu suchen, wo sie wahrscheinlich auch vorkommen: in dem Schleimpilz Dictyostelium, von Lili liebevoll “Dicty” genannt. Weitere Doktoranden werden im Herbst zu der Gruppe stoßen.

Doris und Lili haben gerade Filzstifte und Taschenrechner eingekauft. Jetzt bespricht Doris mit Simon die Ergebnisse eines Tests, den sie gerade beendet hat: Stücke von Erbmaterial, die in die Hefen eingesetzt werden sollen, hat sie darauf hin überprüft, ob es sich um die richtigen Stücke handelt. Leider negativ. Vor dem wissenschaftlichen Gipfelsturm kommen die Mühen der Ebene.

Kommentare (2)

  1. #1 Florian
    Juni 15, 2010

    wissenschaftler schicken die lustigsten dinge per post.
    wir haben mal einen ca 80 mikrometer grossen pantoffel [ein pantoffel, in den gerade ein pantoffeltierchen reinpasst] verschickt. den sieht man mit blossem auge nicht mal. die deutsche post bestand aber darauf, dass wir ihn so einpacken, dass er auch bei einem sturz aus 20 metern nicht kaputtgeht.
    wir haben ihn nach italien geschickt und nach ein paar wochen mal nachgefragt, ob er denn ankam, der nano-pantoffel. “aeh, wir glauben schon…”. man sieht ihn ja eben nicht.

  2. #2 Dr. AW Sommer
    Juni 16, 2010

    Sehr geehrte Frau Sütterlin!

    Ihre Liveberichte aus der Welt der Wissenschaft gefallen mir gut. Ich habe die Seite gleich mit einem Lesezeichen versehen und werde in Zukunft regelmäßiger Gast sein.
    Wenn man in der Presse von den Forschungsetats der Universitäten liest, fragt man sich manchmal, ob das denn alles auch nötig und nutzbringend ist. An Grundlagenforschung denkt dabei kaum jemand.
    Weiterhin viel Erfolg und noch mehr unterhaltsame Beiträge.

    Noch eine Frage: Sehen Sie eigentlich wirklich so aus wie auf dem Foto links oben?

    Hochachtungsvoll,

    Ihr Dr. AW Sommer