Zum vieldiskutierten Thema “ORF und Bildungsauftrag” lieferte der staatliche Rundfunk heute wieder einmal ein Gustostückerl. Zu betrachten war dieses um 17:40 auf ORF 2, in der Sendung “Sommerzeit”, dem Nachfolger der streichelweichen Wohlfühlsendung “Willkommen Österreich”. Dort konnte der erstaunte Seher einen von ORF-Mitarbeiterin Catrin Jenni gestalteten Bericht über den “Forscher” Gerhard Pirchl und die Steinkreise vom Bürserberg sehen, die dieser dort entdeckt haben will. Glücklicherweise hat eine Bekannte die Sendung für mich aufgenommen.
Pirchl präsentierte, wie schon seinerzeit in der “Barbara Karlich Show”, wie sein Pendel zu schwingen beginnt, wenn er es über einen seiner magischen “Rätiasteine” hält. Wie schon damals half er dabei kräftig mit den Fingern nach. Kritische Kommentare der Sprecherin? Völlige Fehlanzeige! Stattdessen gab es für ein paar hunderttausend Seher dieses grotesk unkritischen Beitrags Volksverdummung in Reinkultur. Wertvolle Sendezeit, gefüllt mit esoterischem Schwachsinn. Hier nur eine kleine Auswahl des Textes der Sprecherin:
Bekannt ist, dass die Steinkreise als urgeschichtliche Kalender verwendet wurden. Vor allem zur Bestimmung der Jahreszeiten.
“Bekannt ist”, liebe Frau Jenni, dass Steine nach Pirchls Anweisungen mit dem Bagger aufgerichtet wurden. Bekannt ist auch, dass sich die mit der Sache befassten Archäologen einen Ast abgelacht haben.
Früher dürften die Menschen auf Energien sensibler reagiert haben.
Lassen Sie mich raten, das sind “feinstoffliche Energien”, die Sie meinen, oder?
Steine korridieren (!), also rosten an der Oberfläche. Deshalb strahlen sie ein bestimmtes Kraftfeld aus.
Ja, und was macht dann dieses “Kraftfeld”? Bringt es etwa gar Gehirnzellen zum Schmelzen?
Diese Kraftfelder rund um die Steinkreise könnten also eine Art Orientierungssystem gewesen sein. Archäologische Gutachten haben die Echtheit der Adern bereits bestätigt, doch die Forschung steckt hier noch in den Kinderschuhen.
Gutachten haben bestätigt, dass die Steine echte Steine sind. Ich bin überwältigt. Die Archäologen in ihren Kinderschuhen werden sich auch freuen, das zu hören.
Das möchten wir testen […]. Analytikerin Elisabeth Dornbierer misst die Ionisierung der Finger einer Probandin, das heißt, deren Energie.
Aha, ionisierte Finger, interessant… Vielleicht hätte es die Zuseher auch interessiert, dass die “Analytikerin” eine Heilkundlerin ist, die mit einem “GDV-Gerät” arbeitet, einer modernen Variante der längst diskreditierten Kirlianfotografie, mit der sie auch schon einem belebten Wässerchen und einem esoterischen Halskettchen “energetische Wirkung” bescheinigt hat.
Und so geht es in einer Tour. Zu bedenken gilt es dabei, dass dieses pseudowissenschaftliche Geschwurbel beileibe kein journalistisches Hoppala war, sondern bewusst und gewollt. Jede Google-Suche zu Pirchl und Bürserberg fördert nämlich bereits auf der ersten Seite soviel kritisches Material zutage, dass man es ohne Vorsatz nicht schafft, dieses vollkommen zu ignorieren.
Einer der kritischen Beiträge stammt von mir und ist vor sieben Monaten im Skeptiker erschienen. Den ganzen Artikel finden Sie unter diesem link (pdf), und den Pirchl betreffenden Ausschnitt gebe ich aus aktuellem Anlass hier wieder.
Gerhard Pirchl
Gerhard
Pirchl, ehemals ein erfolgreicher Unternehmer und bekannter Kunstsammler,
wollte es nach einer Herztransplantation erst einmal ruhiger angehen. Er
schnappte sich ein Pendel und wanderte über die Wiesen und Almen seiner Heimat.
Dabei, so seine Schilderung, machte er eine sensationelle Entdeckung. Die
unterirdischen „Adern”, die ihm sein Pendel anzeigte, waren gar keine
Wasseradern, sondern „Steinadern”. Unter der Erde vergraben fanden sich
unzählige kleine gelbe Kieselsteine, von Pirchl nach der Göttin Rätia
„Rätiasteine” getauft. Diese Steinchen, so der heute 66jährige Pirchl, strahlen
ein „längsdrehendes Kraftfeld” ab, und hintereinander aufgelegt verstärken sich
die Kraftfelder der Steine. Die so gebündelten Erdstrahlen fahren den
ahnungslosen Autofahrern mitten ins Hirn, zumindest den „adernsensitiven”. Die
Folge: Blackout und Autounfall. Die ASFINAG [die österreichische Autobahn- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG, die jahrelang Rutengeher zur “Entstörung” von Unfallhäufungspunkten einsetzte] teilte Pirchl Westösterreich zu. Der nahm sich zuerst die
berüchtigte Arlberg-Schnellstraße, die S16, vor. Erfolgreich natürlich, laut
Pirchl und laut ASFINAG.
Die
Entstörung nach der Pirchl-Methode ist arbeitsaufwändig. Alle paar Meter müssen
Steine im Boden vergraben werden, deren Kraftfeld dem störenden genau entgegenwirkt.
Die Richtung des Kraftfeldes bestimmt Pirchl über die Drehrichtung seines Pendels.
Wie das geht, demonstrierte er vor den Fernsehkameras der „Barbara Karlich Show”.
Die zeigten in gnadenloser Nahaufnahme, wie Pirchls Pendel die Drehrichtung
änderte, als er es über einen Rätiastein hinweg bewegte. Dass er für diesen
Effekt kräftig mit der Pendelhand rudern musste, versuchte er gar nicht erst zu
verbergen, was selbst die nicht gerade für ihre beinharte Kritik bekannte
Gastgeberin zu dem verwunderten Ausruf veranlasste „Das haben Sie jetzt aber
mit der Hand gemacht!”
Der
technische Fortschritt macht auch vor der Esoterik nicht Halt. Um Störzonen zu
finden muss Pirchl die Straße nicht mehr zu Fuß abschreiten. Er braust mit
seinem Geländewagen dahin und lässt das Pendel neben dem Lenkrad baumeln. Nach
Monaten des mühsamen händischen Vergrabens von Kieselsteinen neben Autobahnen
und Schnellstraßen entdeckte Pirchl, dass auch die Entstörung im Eilzugtempo
machbar ist. Tatsächlich entwickelte er den sogenannten „Entstörungswagen”.
Eine Handvoll Rätiasteine im Auto dient dabei als „Kraftfeldkompensator”. Die
Entstörung des strahlenden Straßenuntergrundes erfolgt genial einfach durch das
Befahren der Strecke mit dem Entstörungswagen.(i) Dass
das alles sehr ernst gemeint ist, merkte der Vorarlberger Künstler Ulrich
Gabriel, der dazu einen satirischen Zeitungsartikel verfasst hatte. Ihm
flatterte eine Klage wegen übler Nachrede ins Haus.(ii)
Die Steinkreise vom Bürserberg
Von
allen Entstörmeistern ist Gerhard Pirchl mit Abstand der bekannteste. Das liegt
nicht nur daran, dass ihm das Magazin ZEIT-Wissen im Jänner 2007 einen ausführlichen
Artikel (iii) widmete, sondern vor allem an seiner denkwürdigsten „Entdeckung”. Auf der Tschengla,
einem Hochplateau der Vorarlberger Alpen nahe der Gemeinde Bürserberg, will Pirchl
nämlich anno 2002 nichts weniger als einen prähistorischen Kultplatz entdeckt
haben, in seiner Bedeutung Carnac und Stonehenge ebenbürtig. Die Adern, die er
dort oben ortete, liefen nämlich sternförmig zusammen; bis zu 56 Stück trafen
sich in einem einzigen Punkt. Die Strahlung dieses Kraftplatzes war so
intensiv, dass das Pendel noch in 20 km Entfernung ausschlug. Damit nicht genug,
entdeckte Pirchl kreisförmig um diesen Kreuzungspunkt angeordnete Felsblöcke.
Keine Frage, ein Steinkreis, errichtet von geheimnisvollen Vorarlberger
Urvölkern! Es blieb auch nicht bei nur einem Steinkreis, nein, es fanden sich über
40 weitere, und alle waren sie auf sternförmigen Adern aus Rätiasteinen
errichtet. Das „Geheimnis Adernsterne” war geboren und das gleichnamige Buch (iv) folgte im Oktober 2004 nach. Auch der ORF und 3sat ließen sich nicht lumpen und
strahlten eine unkritische „Dokumentation”, koproduziert von Pirchl, zu den
Steinkreisen aus.
Die
Gemeinde Bürserberg witterte touristische Morgenluft. Tausende von zahlungskräftigen
Touristen aus aller Welt sollten auf die Tschengla strömen und voll Ehrfurcht
die prähistorischen Megalithe bestaunen. Dafür wurden weder Kosten noch Mühen gescheut.
Vorsorglich stellte man auf der Tschengla schon Hinweisschilder auf und richtete
eine Webseite ein, auf der von einem „megalithischen Himmelsobservatorium” die
Rede war und die „Weltsensation” als „folgenreicher als die Entdeckung des Ötzi”
angepriesen wurde. Über € 60.000 aus Fördermitteln der EU trieben das Projekt
Steinkreise voran. Spirituelle Pfade wurden angelegt, Broschüren gedruckt und
Baggerarbeiten auf der Tschengla finanziert. Dabei wurden „umgefallene” Steine
aufgerichtet, unpassende weggeräumt und verloren gegangene ersetzt, so dass die
Steinkreise am Ende auch für jedermann als solche erkennbar waren. Spötter
witzelten bereits über den geplanten „Obelixpark”, doch der Bürgermeister war
begeistert und Pirchl war zufrieden.
Mentale Felder und Neutronenstrahlung
Die
Wissenschaft wollte nicht so fröhlich mitmachen, wie man sich das gewünscht hatte.
So kam es, dass die „wissenschaftlichen Tagungen” 2003 und 2004 zu den Bürserberger
Steinkreisen zwar kaum Wissenschaftler aufweisen konnten, aber dafür jede Menge
Hobbyarchäologen, Freizeitastronomen und Rutengeher (v). Letztere traten in den üblichen pseudowissenschaftlichen Einkleidungen je nach
Ausrichtung als „Radiästheten”, „Geomanten” oder „Baubiologen” auf. Ihre
Ausführungen bezogen sich allerdings kaum auf die Steinkreise selbst; eher
nutzte jeder von ihnen die Gelegenheit, seine persönliche Erdstrahlentheorie
vorzutragen. So waren es einmal „mentale Felder”, die das Pendel zucken ließen,
dann wieder „Neutronenstrahlung” oder „Resonanzen”, die kein Messgerät sondern
nur der strahlenfühlige Mensch wahrnehmen könne. Da durfte freilich auch der
umtriebige Physiker Konstantin Meyl nicht fehlen, der wie immer seine
Skalarwellentheorie propagierte.
Mit
dem Projekt wuchs dann schließlich auch die Kritik. Historiker und Archäologen
wiesen auf die mangelnde Dokumentation der Steinkreise vor den Baggerarbeiten
hin und bemängelten das Fehlen jedweder wissenschaftlicher Belege für die
aufgestellten Behauptungen. Die Grünen brachten im Landtag eine dringliche
Anfrage ein. Andere fanden noch deutlichere Worte. Für den Historiker Manfred
Tschaikner waren die angeblichen Steinkreise ein „Anlass zur Heiterkeit” aus
dem Reich der Esoterik (vi). Der
Landtagsabgeordnete und studierte Physiker Siegfried Neyer ortete „esoterischen
Unfug” und eine „Volksverblödung ersten Ranges” (vii). Rüdiger
Krause, Archäologe von der Universität Frankfurt, sprach von einer
„Riesenverarschung” und von „Betrug” (viii), der Biologe Alois Reutterer von „reinster Scharlatanerie” (ix). Pirchl wiederum sah sich einer „Hexenjagd” ausgesetzt, verlangte
Entschuldigungen und drohte mit Klagen. Das Angebot, einen kontrollierten
wissenschaftlichen Test durchzuführen, lehnte er empört ab. Stattdessen fand er
eine Schweizer Therapeutin, die seine Fähigkeiten mittels der „GDV-Technologie”
bestätigte, einer moderneren Variante der längst diskreditierten Kirlianfotografie.
Am
Ende entschieden die Touristen – durch ihr massenhaftes Ausbleiben. Das touristische
Projekt geriet zum gewaltigen Flop. 120 Steinkreisbesucher zählte man im Sommer
2005, obwohl Pirchl darauf beharrt, es seien über 200 gewesen (x). Zuwenige jedenfalls, befand die Gemeinde, und beendete das Projekt. Die
Finanzmittel wandern seither wieder in Kanalarbeiten und Schneekanonen.
Ötzis Steinzeit-GPS
Gerhard
Pirchl ist keiner, der leicht aufgibt. Er will unzählige weitere Spuren aus der
Vorzeit entdeckt haben. Grundrisse von rätischen Siedlungen genauso wie
gewaltige rätische Schriftzeichen, die in Form von Adern aus Rätiasteinen im
Boden versteckt sind, hat er ausgependelt (xi). Den
Sinn und Zweck der ganzen Anlage hat er ebenfalls herausgefunden. Es handle
sich um eine Orientierungshilfe für Wanderer und Seefahrer, quasi ein
Steinzeit-GPS, meint Pirchl, der mit dieser Theorie gerade auf Vortragstour
ist. Sogar Ötzi selbst habe sich mit einem Pendel in den Alpen orientiert.
Pirchl hat einen Koautor gefunden und ein neues Buch geschrieben, einen
Bildband mit dem etwas sperrigen Titel “Das
Rätiastein GPS oder die Wiederentdeckung eines 6000 Jahre alten
Navigationssystems im Mittelmeer” (xii). Die Wissenschaft kann ihn gern haben, und den Spöttern wird er es schon noch
zeigen. “Da wird vielen Neidern und Skeptikern der Mund offen
bleiben” kündigte Pirchl die nächste große Sensation an. Das war im Oktober
2006. Die Skeptiker warten.
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