Der neue “Skeptiker” ist eben erschienen. Er enthält zwei frei zugängliche Artikel zum Thema – Google aufgepasst – LHC, CERN, Schwarze Löcher und Weltuntergang, und auch ansonsten ist er wie immer lesenswert. (Das sagen übrigens auch andere.) Der dort abgedruckte vierte Teil meiner Serie Alternativwissenschaft in Österreich ist leider nicht online zugänglich. (Sehr wohl aber die Teile 1, 2 und 3.) Da ich ihn Nicht-Skeptiker-Abonnenten nicht vorenthalten will, steht er nun auch hier (Achtung: Überlänge, sechs DIN A4-Seiten). Er behandelt die Vorgänge rund um den sogenannten Gabriel-Chip, der böse Handystrahlen neutralisieren soll, und wie dieser zu seinem ominösen “amtlichen Wirknachweis” kam. (Die meisten Quellen sind bzw. waren im Netz zu finden, doch auf eine nachträgliche Verlinkung habe ich aus Bequemlichkeit verzichtet.)
Dr. Walter Medinger, Gutachter
Von Gießen sind es
immerhin 600 Kilometer bis nach Linz in Oberösterreich. Deshalb war Dr. Walter
Medinger auch dankbar, dass er bei seinem Bekannten zu Abend essen und in
dessen Haus auch übernachten konnte, bevor er die Heimreise antrat. Der Richter
am Gießener Landesgericht hatte dafür wenig Verständnis. Schließlich hatte Dr.
Medinger kurz zuvor vor Gericht ausgesagt, und zwar nicht als Zeuge dieses seines
Bekannten, der dort wegen Betrugs angeklagt war, sondern als unabhängiger Gutachter.
Wortreich hatte er erklärt, nach welchen komplizierten physikalischen Gesetzen
die vom Angeklagten hergestellten und um 300 Euro verkauften „Feldprozessoren” zur
Abwehr von „Handystrahlen” angeblich wirkten. Eine Menge High-Tech steckte laut
Angeklagtem in den Aluminiumplättchen, immerhin involvierte die Fertigung in
seiner Garage angeblich auch ein Gerät, das Gravitationswellen in Schallwellen
umwandelte. Zu einem weiteren Auftritt von Gutachter Medinger kam es nicht
mehr. Er wurde wegen Befangenheit abgelehnt und der Angeklagte, der schon
früher wirkungslose Tropfen an Krebspatienten verkauft hatte, erhielt sechs
Jahre Haft wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 28 Fällen.
Rechtsdrehendes Wasser, rechtsdrehende Wellen und der Gabriel-Chip
Diese unrühmliche
Episode datiert aus dem Jahr 2004. Warum ausgerechnet Walter Medinger ein
positives Gutachten zu einem Scharlatanprodukt gegen „Elektrosmog” verfassen
sollte, ist auf den ersten Blick nicht ganz einsichtig. Immerhin ist Medinger
weder Physiker noch Mediziner, sondern Chemiker. Insider wussten allerdings,
dass er schon zwei Jahre zuvor durch ein ähnliches Gutachten die Aufmerksamkeit
auf sich gezogen hatte. Damals hatte er die Wirkung eines anderen
Aluminiumplättchens gegen heimtückische Strahlen bestätigt. Zur Herstellung
dieser Plättchen waren zwar keine Gravitationswellen erforderlich, laut Patent
aber „rechtsdrehendes Wasser”, was in der Wissenschaft allerdings auch nicht
als explizites Qualitätskriterium gilt. Dafür gab es das Ding aber schon um
wohlfeile 30 Euro.
Die Rede ist hier von
dem als „Gabriel-Chip” bekannt gewordenen Aufkleber fürs Handy. Die Wirkung dieses Chips beruht angeblich
darauf, dass er die „schädlichen”, weil „linksdrehenden” Wellen der
Handystrahlung „auf rechts dreht”, womit sie „natürlichen”, also unschädlichen
Wellen entsprechen. Erfunden hat ihn der heute 78-jährige Salzburger
Franz Gabriel, der von seinen Anhängern als „Naturforscher” bezeichnet wird. In
Österreich ist dieser Begriff eine Art Sammelbezeichnung für Erfinder, die mit
der Wissenschaft eher auf Kriegsfuß stehen, nach jahrelanger eingehender
Beobachtung der Natur aber eine Eingebung haben, die sie schlagartig erkennen
lässt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Diese Erkenntnis wird dann flugs
in bare Münze umgesetzt. Manche dieser „Naturforscher” verkaufen „Freie-Energie”-Maschinen,
andere Wasserbelebungsgeräte und wieder andere eben „programmierte” Aluminiumfolien.
Wie alle modernen
„Handychips” schirmt das Gabriel-Plättchen natürlich keine Strahlung ab und
kann daher auch nichts gegen die thermischen Effekte der elektromagnetischen
Felder ausrichten. Die wären auch relativ einfach messbar und das würde das
Problem nach sich ziehen, dass man die behauptete Wirkung nachprüfen könnte. So
wird also von Herstellerseite angegeben, dass die angeblich besonders
schädlichen „athermischen Effekte” der Mobilfunkstrahlung, die in „linksdrehenden
Wellen” stecken sollen, durch den Aufkleber gewissermaßen „neutralisiert” werden.
Ein altes Ärgernis der Voodoo-Technik-Branche
war es, dass die Wirkung der wirkungslosen Produkte nur durch die sattsam
bekannten, zumeist aus der Alternativmedizin stammenden Quacksalbertests zu
belegen war. Entsprechend lesen sich die von den Firmen angeführten
Wirksamkeitsbelege üblicherweise wie ein Lexikon der Parawissenschaft:
Radiästhetische Tests mittels Pendel, Wünschelrute und Biotensor werden gefolgt
von Untersuchungen via Bioresonanzgerät; kinesiologische Muskeltests stehen neben
Belegen aus der Dunkelfeldmikroskopie und aus diversen Wasserkristallisationsfantasien.
Selbst die tendenziell eher leichtgläubige Kundschaft ist damit kaum noch zu
beeindrucken. Der Markt rief nach Studien, die zumindest den Anschein von
Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Glaubwürdigkeit boten. Und dieser Ruf
ereilte Dr. Walter Medinger.
Amtlicher Wirknachweis für Handy-Humbug
Medinger hatte in dieser
Hinsicht einen gewaltigen Vorteil. Er war nämlich nicht einfach irgendwer,
sondern seines Zeichens der Leiter der Abteilung Natur- und Umweltschutz im
Magistrat der Stadt Linz. Darüber hinaus war er auch Mitglied des
österreichischen Umweltrates und des Umweltausschusses des Österreichischen
Städtebundes sowie allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter
Sachverständiger für die Bereiche Umweltschutz und Chemie. Was Medinger befand,
das war quasi offizielle Behördenmeinung. Der vielbeworbene „amtliche
Wirknachweis” für den Gabriel-Chip verhalf der Firma Gabriel-Tech zu enormen
Umsätzen.
In
der ZEIT erschien dazu ein Artikel mit dem Titel „Humbug fürs Handy.
Mit obskurer Technik gegen den Elektrosmog versuchen Scharlatane Geld zu machen.”
In der FAZ hieß es „Humbug auf hoher Ebene. Purer Unfug: Der Gabriel-Chip als
„Handy-Strahlen-Neutralisator”“, und auch ein Beitrag
im FGF-Newsletter wurde mehr als deutlich. Schließlich interessierte sich sogar
das Fernsehen für den Chip. Allerdings nicht zur Freude der Hersteller – der
Bericht des ZDF-Magazins WISO trug den Titel „Folie schützt nicht vor
Handystrahlung“. Prof. Jiri Silny von der RWTH Aachen hatte den
Gabriel-Chip unter die Lupe genommen und keinerlei Effekte feststellen können.
Von der
Feldkohärenz zur Feldgradientendivergenz
Die Innovation von
Walter Medinger war ein neuartiges physikalisches Testverfahren, das auf der
Messung der vertikalen Komponente der magnetischen Flussdichte des
Erdmagnetfeldes beruhte. Medingers Idee war, dass Handys und andere strahlende
Geräte nicht durch ihre Strahlung selbst den Menschen schädigen, sondern
dadurch, dass sie das natürliche Erdmagnetfeld störten. Dabei sei nicht die
Stärke des Magnetfeldes ausschlaggebend, sondern wie abrupt sich dieses
zwischen benachbarten Punkten ändere. Eine funktionierende Schutzvorrichtung
wie der Gabriel-Chip, so Medinger, könne diese starken räumlichen Schwankungen
mildern und somit einen „Magnetfeldausgleich” bewirken. Um diesen
festzustellen, wird mittels Magnetometer auf einer Versuchsfläche von einem
Quadratmeter an elf mal elf Gitterpunkten die vertikale Flussdichte bestimmt,
zuerst ohne Handy, dann mit Handy ohne Chip und schließlich mit Handy plus
Chip. Die Werte werden mittels Software räumlich interpoliert, mit Niveaulinien
versehen und bunt eingefärbt. Das Ganze sieht dann aus wie eine Wetterkarte und
wird von Medinger als „Feldkohärenzmuster” (FKM) bezeichnet.
Die beiden
„Wetterkarten” mit und ohne Handychip werden dann quasi übereinandergelegt, die
Differenz der beiden wird errechnet und das Ergebnis mit dem Hintergrundbild
ohne Handy verglichen. Leider geschieht dieser Vergleich meist rein subjektiv
durch Interpretation der bunten „Wetterkarten”. Da kommt ein Tief, pardon, eine
„Störzone” von Nordwesten, zieht aber nach Intervention mittels Handychip nach
Süden ab. Da werden Bereiche mit mildem Klima („Magnetfeldausgleich”) gelobt,
während in anderen Gewitter („Störzonen”) drohen.
In manchen Messgutachten
wird zur Objektivierung dieser allzu offensichtlich dubiosen Vergleichsmethode
ein „Ausgleichsindex” ermittelt, dessen genaue Definition allerdings nebulos
bleibt. Da ist von diversen „Filtern” die Rede, die die Messdaten passieren
müssen, ohne dass klar ist, was da aus welchen Gründen weggefiltert wird. Eine weitere
Variante, die manchmal eingesetzt wird, ist die folgende: Von den beiden
„Wetterkarten” mit und ohne Schutzchip wird die Schwankungsstärke innerhalb des
Messquadrats festgestellt. Dazu berechnet eine spezielle Software zuerst den
sogenannten Gradienten des Feldes und mittels einer weiteren Formel etwas, was
sich Divergenz nennt. Das Ergebnis heißt dann „Feldgradientendivergenz” (FGD).
Diese FGD ist nun aber wiederum keine Zahl, sondern wie die ursprüngliche
Flussdichte ein Skalarfeld, also eine „Wetterkarte”. Womit wir wieder beim
selben Problem wie oben geschildert landen.
Die Krux an dem
Messverfahren ist tatsächlich eine vierfache: Erstens ist die Feststellung
eines „Magnetfeldausgleichs” anhand des subjektiven Vergleichs bunter Bildchen
keine nachvollziehbare Methode. Zweitens ist völlig unklar, ob etwaige
Messdifferenzen statistisch signifikant sind. Eine statistische Analyse ist
aber unmöglich, da im Normalfall nur Einzelmessungen, noch dazu in stets
derselben Reihenfolge, durchgeführt werden. Drittens beruht die Berechnung der
FGD auf einem Feld, das durch numerische Interpolation aus einzelnen
Messpunkten gewonnen wurde. Da es aber unzählige verschiedene
Interpolationsverfahren gibt, sind sämtliche daraus gewonnenen Daten zu einem
Gutteil Artefakte der eingesetzten Software und damit insgesamt unbrauchbar. Das
merkt man den bunten Bildern auch an. Die „Höhenlinien” der FGD-Bilder zeigen
typischerweise eine Menge von „Berggipfeln” und „Talsenken” an, die alle hübsch
aufgereiht ausgerechnet an den Messpunkten liegen. Das vierte Problem ist auch
nicht zu unterschätzen: Selbst wenn ein „Magnetfeldausgleich” tatsächlich stattgefunden
hätte, so fehlt jedweder seriöse Beleg dafür, dass dieser irgendeine Auswirkung
auf das Wohlbefinden oder die Gesundheit von Menschen hat. Wohlgemerkt: Wir
sprechen hier über „Ausgleiche” eines statischen Magnetfeldes in der
Größenordnung der Messtoleranz eines guten Magnetometers.
Berücksichtigt man dann
noch, dass die gesundheitliche Relevanz von etwaigen athermischen Effekten von
Mobilfunkstrahlung nach derzeitigem Wissensstand ohnehin noch Spekulation ist,
so ist es nicht weiter verwunderlich, dass Experten für elektromagnetische Felder
die Vorgänge rund um den Gabriel-Chip etwa so beurteilen: Ein unbrauchbares
Messverfahren attestiert einem Aufkleber zum Schutz vor einer imaginären Gefahr
eine nicht vorhandene Wirkung.
Den Technikern im Linzer
Umweltamt war die Sache suspekt und die negative Presse konnte das Magistrat
schon gar nicht brauchen. Nach seinem rasanten Aufstieg in den Vorstand eines Vereins namens Gabriel-Forschungsgesellschaft
wurde Medinger schließlich bis auf weiteres karenziert – mit Rückkehrrecht. Er
ging nach Graz und gründete dort gemeinsam mit Wolfgang Homann als
kaufmännischem Leiter eine Firma mit dem hochtrabenden Namen „International
Institute for Research on Electromagnetic Compatibility” (IIREC). Hauptgeschäftsfeld
des IIREC: Gutachten für alle erdenklichen Anhänger, Aufkleber, Folien,
Kästchen etc. zum Schutz vor Strahlen und zur „Entstörung” der Umgebung.
Zweites Standbein: die IIREC-Akademie mit ihrem Angebot an Schulungen von
„Messpartnern” im einzigartigen IIREC-Messverfahren mit bunten Bildchen. IIREC-Seminare
über athermische Effekte und was diese angeblich am Menschen anrichten wurden
flugs von der Ärztekammer als Fortbildung approbiert. Gleichzeitig warfen
Medinger und Homann auch ein Buch auf den Markt, das mit dem peinlichen Titel
„Rechtsherum tanzt die Natur” den eingebildeten „rechtsdrehenden Wellen” des
Gabriel-Chips zur Anerkennung verhelfen sollte. Mit Erfolg – kurze Zeit später erhielt
das IIREC von der österreichischen Wirtschaftskammer die Anerkennung als
„Technisches Büro für Elektromagnetischen Schutz und Umwelt”.
Wenige Wochen nach dem erfolglosen
Auftritt Medingers vor dem Gießener Landesgericht reagierte der Hauptverband der Gerichtssachverständigen
Österreichs. Medingers Kompetenzen als Sachverständiger wurden allerdings nicht
etwa beschnitten, sondern im Gegenteil sogar ausgeweitet. In
einem atemberaubenden Willkürakt wurde er zum ersten gerichtlichen Sachverständigen
Österreichs für die „Untersuchung und Beurteilung biologisch wirksamer
Störungen in elektromagnetischen Feldern und Medien sowie zur Wirkung von
Schutzmitteln” bestellt – also sozusagen zum Sachverständigen für
Erdstrahlen und Handychips.
Ein „amtlicher
Wirknachweis” klingt schon recht gut, doch ein „wissenschaftlicher Wirknachweis”
wäre noch besser. So oder so ähnlich dachte wohl die Firma Gabriel-Tech, als sie
stolz darauf verwies, dass bereits eine wissenschaftliche Doppelblindstudie
unter Leitung des Medizinphysikers Dr.
Lebrecht von Klitzing im Gange sei. Der Abschluss der Studie verzögerte sich, doch
endlich konnte das Gabriel-Service-Center verkünden: „Umfangreiche
Doppelblindstudie beweist die Wirkung des Gabriel-Chip“.
Der interessierte Leser konnte diese Studie sogar herunterladen, und –
Überraschung! Als Leiter der Studie fungierte kein Dr. von Klitzing mehr,
sondern ein gewisser Dr. Medinger vom IIREC. Erstellt hatte er diese Studie
gemeinsam mit der „Ganzheitsmedizinerin”
und ärztlichen Leiterin des IIREC, Dr. Elisabeth Plank.
In
den folgenden Monaten war das IIREC so fleißig, dass es zu einer ernsthaften Konkurrenz
zum IBBU von Dr. Kempe und ihrem Bioresonanzkästchen (siehe Teil 1 dieser
Serie) heranwuchs. Ein IIREC Zertifikat besitzen inzwischen etwa der vor
Erdstrahlen schützende Airdoc Raumharmonisierer und der Airdoc Handychip, ein
Bett namens „Guten Morgen” mit positiven Auswirkungen auf Wasseradern, der
Kosmische UMH-Energetisator, die TerraPro Energieauflage, der JFR-Feldformer,
der Aulterra Neutralizer Handychip, die Zone030 Ausgleichsfolie, der Vita
Tronic Strahlenharmonisierer, die BiCoTec Wirkträger und ein Handychip namens
„Der Goldene Punkt”. Letzterer ist übrigens eine Erfindung eines alten
Bekannten von Dr. Medinger, nämlich von Herrn Gabriel selbst.
Longitudinale
Wellen und wissenschaftliche Märchen
„Nichts ist so
praktisch wie eine gute Theorie.” Das dachte sich wahrscheinlich auch
Walter Medinger, als er daran ging, die bunten Bildchen seines Messverfahrens
auch mit einem wissenschaftlich klingenden Märchen vom Wirkprinzip des
Gabriel-Chips zu untermauern. Von Medingers theoretisch-wissenschaftlicher
Expertise konnte sich der interessierte Laie bereits 2003 ein erstes Bild
machen. Im Mitteilungsblatt des Wünschelrutengängervereins namens Österreichischer
Verband für Radiästhesie und Geobiologie fand sich Medingers Bericht über „Harmonikale
Strukturen in morphogenetischen Feldern“. Konkreter zur Sache kam Medinger
aber im Rahmen des Johannes-Kepler-Symposiums
für Mathematik an der Uni
Linz, wo sein Vortrag betitelt war mit „Stören Funkwellen biologisch
relevante Information? Messergebnisse im Magnetfeld und ein physikalisches
Modell dazu“. Das Abstract zu
diesem Vortrag erklärt: „Mit der skalaren, also sich in
internen Ladungs- und Stromdichten von Medien äußernden Elektrizität und ihren
biologischen Wirkungen muss auch bei verschwindender Feldstärke gerechnet
werden.“
Diese
Formulierung könnte allerdings auch den gebildeten Laien einigermaßen verwirren.
Was nämlich „skalare Elektrizität” sein soll, ist unklar. Zwar sind einige
physikalische Größen aus dem Bereich der Elektrizität tatsächlich skalare (also
richtungslose) Größen, die Wortwahl erinnert aber auch ein wenig an die in
Esoterik- und Alternativmedizin-Kreisen sehr beliebten longitudinalen elektromagnetischen
„Skalarwellen” des Herrn Prof. Konstantin Meyl, die angeblich schon Nikola
Tesla entdeckt haben soll, die aber leider mit dem Makel der Nichtexistenz
behaftet sind.
Meyl
ist für Medinger jedenfalls kein Unbekannter, traten doch beide gemeinsam 2005
beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Energetische und
Informationsmedizin zum Thema „Energetisiertes
und Informiertes Wasser” auf, wo Medinger über „Neue Messverfahren zur
Wirkung von elektromagnetischen Feldern und Wellen auf Wasser” referierte.
Im „wissenschaftlichen Anhang” des Gabriel-Handbuchs „Mobilfunkstrahlung
stört ein Jahrmillionen altes Gleichgewicht“, verfasst von Dr. Medinger,
findet sich auch tatsächlich ein Abschnitt über „longitudinale (Teslasche)
elektromagnetische Wellen“.
Der Homepage des IIREC
kann man auch entnehmen, was es mit Wasser so auf sich haben soll: „Wasser ist nicht nur der stoffliche
Hauptbestandteil biologischer Gewebe, sondern auch ein hervorragender Speicher
für elektromagnetisch codierte Information. Das IIREC hat ein Verfahren
entwickelt, mit dem diese Information „gelesen” werden kann.” Nun
ist der erste Satz in dieser kühnen Behauptung freilich Pseudophysik der
übelsten Sorte. Was das für den zweiten Satz bedeutet, kann sich der geneigte Leser
denken. Als Beleg für diesen Humbug beruft sich das IIREC auf den britischen Elektroingenieur Cyril Smith. Dieser
bestimmt die „Resonanzfrequenzen” des Wassers gerne mit einem Pendel, erklärt
das Arzt-Patient-Globuli-System der Homöopathie bevorzugt als „verschränktes
makroskopisches Quantensystem” und referiert über „Effekte von Skalarwellen auf
biologische Systeme”.
Russische Quacksalber und Quanten-Biocomputer
In einem Schreiben an
das österreichische Technologieministerium zitiert Medinger aber nicht nur
Cyril Smith als „führenden Experten für Elektrosensibilität”, sondern beruft
sich auch auf Resultate, die auf der Jahrestagung 2003 des Arbeitskreises
Biopsychophysik vorgetragen wurden. Dort durften u. a. so illustre Herren
wie etwa Peter Gariaev vortragen, der
von Medinger auch im Gabriel-Handbuch zitiert wird. Gariaev will mit Hilfe
eines „Quanten-Biocomputers” herausgefunden haben, dass menschliche Gene „mittels
Schall- und Lichtwellen” miteinander kommunizieren und dabei „4-dimensionale
epigenetische Information” übertragen. Die biopsychophysikalische Jahrestagung
fand übrigens in Linz statt, und zwar „mit Unterstützung aus städtischen
Umweltschutzmitteln“.
Medinger
beruft sich in seinen „wissenschaftlichen” Erörterungen weiters auf
den russischen Astrophysiker Nikolai Kozyrev, der nach traumatischen Jahren im
Gulag eine Theorie entwickelte, nach der Sterne deshalb leuchten, weil sie Zeit
in Energie verwandeln. Eine weitere Quelle Medingers sind die russischen
Physiker Schipow und Akimow, deren Wirken bereits in einem Artikel in der FAZ
gewürdigt wurde, betitelt mit „Russische Quacksalber heilen das Ozonloch –
In Russland blüht die Pseudowissenschaft“.
Der aus der
Quantenphysik bekannte „Aharonov-Bohm Effekt” wird zur Unterstützung einer
krausen Idee bemüht, die in den Kreisen der „Neuen Physik” so beliebt ist, dass
Prof. Gerhard Bruhn von der TU Darmstadt dazu eigens eine Richtigstellung auf
seiner Homepage platziert hat. Als nächstes muss auch die an sich seriöse, aber
spekulative Theorie der „Mikrodynamik” von Prof. Werner Hofer von der Universität
Liverpool als Beleg für Medingers Ausführungen über die wundersame Wirkung des
Gabriel-Chips herhalten. Prof. Hofer selbst ist davon weniger begeistert, er schrieb
mir, er halte dies für „eine Irreführung”.
Die Firma Gabriel-Tech
ist inzwischen zurückgerudert. Zwar prangt das „amtlich bescheinigt” sogar mit
Rufzeichen auf ihrer Webseite, gleichzeitig distanziert sie sich aber von
esoterischen Wirkprinzipien und von Medingers „rechtsdrehenden” Wellen: Die Gabriel-Chips neutralisieren nicht und drehen auch
nichts herum, weder Wellen noch Frequenzen. […] Vorneweg soll erwähnt werden,
dass Gabriel-Chips nicht mit “Orgon-Strahlen” oder
“Bioenergetischen Feldern” oder “Tesla-Generatoren” etc.
bestrahlt werden. Auch werden keine “kristallinen oder silikaten oder
naturidentischen Stoffe” eingeprägt. Nach einem etwas verworrenen Versuch, die
Wirkung des Chips esoterikfrei zu erklären („Simulation einer Wechselwirkung
aus Elektrosmog-Einflüssen mit denen eines natürlichen Informationsumfeldes“),
folgt sofort wieder ein Sprung ins Fettnäpfchen, als man sich ausgerechnet auf
Rutengänger-Guru Dr. Hartmann und die amerikanische Oberquacksalberin Hulda
Clark beruft.
Radiästhesie, Geomantie und Glimmerplättchen
Die Rutengänger-Mythen
vom „Hartmann-Gitter” und den „Benker-Kuben” bemühte auch Walter Medinger schon
in seinen Gutachten. Dazu passt eine im Web zu findende Passage, in der Medinger
seinen Zugang zur Forschung beschreibt: „Über die Neue Medizin und die Beschäftigung mit dem Werk V. Schaubergers
(der ja einige Zeit in Linz gelebt hatte) gelangte ich zu den staunenswerten
Eigenschaften des Wassers und über die Baubiologie und den „Elektrosmog” zur
Radiästhesie und Geomantie, die ich seit einem halben Jahr als Ergänzung
schulwissenschaftlicher Methoden heranziehe.“
Tiefe Einblicke in die
Anfänge von Medingers experimenteller Forschung finden sich in einem
Diskussionsforum: „Walter hatte eine
Störung im Magnetfeldverlauf in seiner Wohnung mit dem Magnetometer
festgestellt und sorgfältig den Feldverlauf gemessen. Durch numerische
Integration konnte er daraus das Vektorpotenzial errechnen. Schließlich hat er
das Ganze mit einem kleinen Kästchen aus Aluminiumbastelpapier und in den
Maßverhältnissen der biblischen Bundeslade, in das er Glimmerplättchen eingeklebt
hat, entstört.“
Medingers
Partner Wolfgang Homann führt inzwischen die Geschäfte der BiCoTec GmbH, deren
Anti-Elektrosmog-„Wirkträger” natürlich IIREC-zertifiziert sind und Elisabeth
Plank gründete ein „Institut für Bioelektrizität und Medizinische
Raumkohärenzforschung”, dessen Agenden auch unschwer zu erraten sind. Dieses
bildete gemeinsam mit dem IIREC die Plattform QEresearch, wobei das Q zwar nicht
für „Quacksalberei” steht, aber für „Quantenbiologie”, was in etwa dasselbe
ist.
Das
IIREC selbst hat mittlerweile nach Israel expandiert, wo die Tochterfirma die
in Graz begutachteten Entstörfolien gleich selbst vermarktet. Walter Medingers
Erhebung zum Sachverständigen für Handychips wurde zwar inzwischen rückgängig
gemacht, er selbst firmiert trotzdem neuerdings als „Biophysiker” und bietet
für schlanke 330 Euro einen Kurs in „Tiefen-Mathematik”, die etwas mit dem
„Global Scaling” von Dr. Hartmut Müller zu tun haben soll. Dr. Müller wiederum
hält als Gastreferent des IIREC Seminare zu genau dieser Thematik ab.
Aufmerksame
Leser werden sich daran erinnern, Hartmut Müller bereits in Teil 2 dieser Serie
begegnet zu sein – er ist der Erfinder der kosmischen „Lottoprognose”, der vor
ein paar Jahren die Donau-Uni Krems mit seiner Quantenteleportation beglückte
und der Menschheit „Biohandys” versprach. Auf die Biohandys wartet die
Menschheit zwar immer noch, doch eines ist gewiss: Wenn sie kommen, dann nicht
ohne goldenen Gabriel-Biochip mit IIREC-Zertifikat.
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