Als wissenschaftlich interessierter und skeptischer Medienbeobachter hat man ja weitaus mehr mit PR zu tun als einem lieb ist, sei es nun in Form von biosemiotischem Darwin-bashing, quantenmystischer Eigen-PR a la Froböse oder überbordenden Homöopathenfantasien. Passend dazu lese ich gerade mit steigendem Entsetzen aber großem Gewinn Nick Davies, 2008: Flat Earth News. (Untertitel: An award-winning reporter exposes falsehood, distortion and propaganda in the global media). Und während ich also studiere, wie die Mechanismen der PR systematisch am Ende zu teils arg verzerrten Darstellungen in der Presse führen, passiert genau dieses.

Am Anfang stand eine noch relativ harmlose Pressemeldung des Massachusetts General Hospital vom 29. Dezember des Vorjahres. Forscher dieser Einrichtung hatten soeben in der Zeitschrift Pediatrics eine Studie publiziert, die die Einstellung von Amerikanern zu den Gefahren des “third-hand smoke” erhoben hatte.

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Diese per se wenig aufregende Pressemeldung führte anfangs zu ebenso wenig aufregenden Schlagzeilen, wie etwa der vom Boston Globe desselben Tages:

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Große Beachtung fand die Meldung erst, nachdem die New York Times ihr am 3. Jänner einen Artikel gewidmet hatte, in dem sie die “neue Gefahr” betonte.

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Sämtliche
Medien, die das Thema jetzt aufgriffen, kupferten mehr oder weniger
stark aus dem NYT-Artikel ab, peppten ihre Schlagzeilen dabei mitunter
noch etwas auf und verlagerten die inhaltliche Berichterstattung von
einer langweiligen Umfrage zu einer angeblich neuen und angeblich
“völlig unterschätzten” Gefahr. Zur Zeit stehen wir dabei etwa hier:

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Das
Problem dabei ist, dass die Gefahr weder wirklich neu ist (die erste
Studie, die unter ähnlichen Schlagzeilen verbreitet wurde, stammt aus
2004), noch dass man sie seriöserweise als “völlig unterschätzt”
bezeichnen kann. Wie groß die Gefahr nämlich tatsächlich ist,
wusste man bisher mangels epidemiologischer Untersuchungen nicht und
weiß man heute mangels epidemiologischer Untersuchungen immer noch
nicht. Es fehlte und fehlt also eine quantitative Risikoeinschätzung in
der Fachwelt, und folglich ist auch die Diagnose der “völligen
Unterschätzung” eine Nullnummer. Das galt bereits vor drei Jahren:

Though scientists have extensive evidence about the damage caused by
secondhand smoke, they know relatively little about the potential risks
of thirdhand exposure
, says Brett Singer, a scientist at California’s
Lawrence Berkeley Laboratory. “The million-dollar question is: How
dangerous is this?
” Singer says. “We can’t say for sure this is a
health hazard.” (Hervorhebung UB)

Dieses nette kleine Beispiel für verzerrende Berichterstattung im Wissenschaftsjournalismus hielt ich vorgestern für einen Blogeintrag geeignet – und Stefan Niggemeier gestern ebenfalls. Er konzentrierte seine Kritik dabei auf den Spiegel Online Artikel,
der ein “riesiges Problem” ortete und von dem das Zitat der “völlig
unterschätzten” Gefahr stammt. So etwas nennt man im allgemeinen Panikmache, und diese ist zwar ein verbreitetes Phänomen, aber nicht unbedingt Kernaufgabe von Wissenschaftsjournalismus.

Während etwa Klaus Taschwer, verantwortlicher Wissenschaftsredakteur des (Print-) Standard, sich dieser Sichtweise anschließt,
tut Markus Becker, Ressortleiter Wissenschaft bei Spiegel Online, genau das Gegenteil. Zwar hat er den inkriminierten Artikel nicht selbst verfasst, er
trägt aber die journalistische Verantwortung für dessen Publikation.
Herr Becker hält Niggemeiers Kritik für unberechtigt und kritisiert die
Kritik dort in einem Blogkommentar.
Nun, das ist sein gutes Recht, doch Herr Becker sah sich gleichzeitig
auch veranlasst, in diesem Kommentar eine recht uninformierte Tirade
gegen mein vorgestriges Posting und gegen mich selbst loszulassen.
Darauf möchte ich hier kurz replizieren:

Zum Abschluss verlinken Sie auf einen haarsträubenden Beitrag des
Bloggers und Universitätsprofessors Ulrich Berger. Darin stellt Herr
Berger unter anderem Zigarettenrauch mit Käse- und Fäkaliengeruch auf
eine Stufe und schreibt über Zigarettenrauch: „Die Dosis macht
bekanntlich das Gift.”

Dass
die Dosis das Gift macht, sollte sich auch bis in die deutschen
Wissenschaftsredaktionen herumgesprochen haben, ich wüsste nicht, was
an dieser Feststellung verwerflich sein sollte. Aber dass ich
Zigarettenrauch mit Käse- und Fäkaliengeruch “auf eine Stufe gestellt”
hätte, ist eine perfide Unterstellung. Dem Leser wird damit suggeriert,
ich hätte irgendwie die Gefahr von Zigarettenrauch der von
Käsegeruch gleichgesetzt. Aufmerksame Leser meines Beitrags werden
dagegen feststellen, dass ich den Vergleich benutzt habe, um die
inhaltliche Leere des auf ORF ON zitierten “stinkend =
hochgiftig”-Arguments deutlich zu machen.

Am Ende fragt Herr Berger, wo die epidemiologischen Studien zur Gefahr
durch Rauchrückstände sind. Offenbar hat er sich nicht einmal die Mühe
gemacht, einen Blick in das Paper von Winickoff et al. zu werfen,
obwohl wir sogar einen direkten Link auf die frei zugängliche
PDF-Version gesetzt hatten. Denn im dortigen Literaturapparat wäre er
durchaus fündig geworden.

Also diese Behauptungen sind nun wirklich peinlich.

Erstens
:
Ich bin zwar stets dankbar für Artikel, die ihre Quellen verlinken,
konnte den link beim Spiegel-Artikel aber leider nicht benutzen, da ich
bereits einen Tag vor dessen Veröffentlichung die Pediatrics-Studie studierte.

Zweitens
:
Im Gegensatz zu Markus Becker habe ich die Literaturangaben in dieser
Studie nicht nur wohlwollend zur Kenntnis genommen, sondern vom
Großteil dieser Literatur auch die Abstracts gelesen, und wo notwendig auch
den Volltext.

Drittens
: Eben weil ich mich auf diese Weise
informiert hatte, weiß ich, dass es genau gar keine epidemiologischen
Untersuchungen zu den Gefahren des third-hand smoking gibt. Wenn Herr
Becker also behauptet, ich hätte in den Literaturangaben fündig werden
müssen, dann möchte ich ihn höflichst ersuchen, doch eine entsprechende
Stelle zu nennen. Das würde dann eventuell auch Prof. Stanton Glantz von der UC San Francisco interessieren, der in einem gestrigen Artikel im Scientific American mit den Worten zitiert wird, er sei

not aware of any studies directly linking third-hand smoke to disease.

Kurz gesagt: si tacuisses, philosophus mansisses. Doch Herr Becker hat auch noch ein kleines ad hominem parat:

Es ist mir schleierhaft, warum Prof. Berger – nach eigenen Angaben
Spieltheoretiker mit mathematischer und wirtschaftswissenschaftlicher
Ausbildung – auf einem Gebiet polemisch aktiv wird, auf dem er
keinerlei Expertise besitzt und Letzteres mit seinen Aussagen auch
eindrucksvoll belegt.

Nun, und mir ist schleierhaft, wie ein leitender Wissenschaftsredakteur
mit einer Ausbildung in Anglistik, Geschichte und Literatur einem ihm
unbekannten Wissenschaftler und Blogger “keinerlei Expertise” vorwerfen
und gleichzeitig eindrucksvoll belegen kann, dass er sich bei seinen
Vorwürfen in keinster Weise von lästigen Fakten irritieren lässt.

Nun zurück zum Thema.

Wie
nicht anders zu erwarten, hat mein vorgestriger Beitrag den einen oder
anderen oberflächlichen Leser zu der (falschen) Mutmaßung veranlasst, ich wolle
die Schäden des Passivrauchens oder gar des Rauchens selbt verharmlosen. Auf der
Gegenseite hat mein Beitrag als Nebenwirkung auch
“Passivrauchschädenskeptiker” auf den Plan gerufen, die sich in den
Kommentaren über die “Mär” von der Schädlichkeit des Passivrauchens
auslassen. (Christian Reinboth hält hier wacker dagegen.)
Das Phänomen ist kein neues und tatsächlich gibt es seit vielen Jahren
heftige Diskussionen über die “wahre” Schädlichkeit des Passivrauchens.
Allerdings nicht in Fachkreisen, sondern vielmehr in den Medien und auf
einschlägigen Webseiten.

Die Zweifler können auf den ersten Blick erstaunlich überzeugend wirken, und während ich früher tatsächlich eine heimliche Sympathie für derlei Argumente hatte, bin ich inzwischen – nach einer längeren Recherche der Für und Wider – vom Gegenteil überzeugt. Meine Gründe dafür habe ich kurz in einer e-mail zusammengefasst, die ich Anfang Dezember einer Bekannten geschickt hatte, und die ich aus Bequemlichkeit hier einfach einkopiere. Anlass war, dass mir jene Bekannte einen Artikel des Technikphilosophen Prof. Günter Ropohl zugeschickt hatte, der den Titel “Passivrauchen als statistisches Konstrukt” trägt. In meiner e-mail habe ich erklärt, dass ich Ropohls Ansicht nicht teile, und die folgenden Gründe dafür genannt:

—————————————–

1. Ich kenne mehrere solcher Artikel wie jenen von Ropohl. Sie sind in
der Argumentation einander alle sehr ähnlich, weil sie sich an denselben
Informationsquellen bedienen. Diese Quellen wiederum werden zumindest
teilweise von der Tabakindustrie gespeist. Dazu gibt es inzwischen
Untersuchungen
.

2. Typisch ist etwa der Hinweis auf wissenschaftliche “Dissidenten”, die
angeblich totgeschwiegen werden. Ropohl zitiert Enstrom/Kabat 2003.
Dabei weiß man inzwischen, dass diese Studie nicht nur schwere
methodische Mängel hatte, sondern auch, dass Enstrom verschwiegen hatte,
dass er seit Jahren von der Tabakindustrie gesponsert worden war.

3. Ebenfalls ganz typisch ist die Behauptung, dass in der Epidemiologie
Risikofaktoren mit einem relativen Risiko (RR) unter 2,0 generell nicht
weiter beachtet werden. Die Behauptung muss jeden verwundern, der schon
mit epidemiologischen Studien zu tun hatte. Das wird üblicherweise durch
Zitate belegt, u.a. aus Taubes 1995, den auch Ropohl zitiert. Bei
näherer Betrachtung erweisen sich diese Zitate als aus dem Kontext
gerissen und bewusst missverstanden
. Sie gelten für kleine RRs, für die
nur eine einzige epidemiologische Studie vorliegt.

4. Ropohl argumentiert und zitiert extrem selektiv. Z.B. das Herumreiten
auf festgelegten Grenzwerten zu Niktoin am Arbeitsplatz ist sehr seltsam
– als ob diese Grenzwerte die wissenschaftliche Wahrheit verkörpern
würden. Alleine zum Lungenkrebsrisiko von nichtrauchenden Partnern von
Rauchern gibt es über 50 Studien und ein paar Metaanalysen, die
insgesamt klar auf ein RR von etwa 1,25 hinauslaufen. Die kann man nicht
durch den Hinweis auf allgemeine Schwächen der Epidemiologie einfach
wegwischen. Dazu kommt, dass völlig unterschiedliche methodologische
Ansätze alle dasselbe Bild ergeben. Biologische Plausibilität liegt auch
vor. Die Evidenz ist m.E. unübersehbar, wenn man unvoreingenommen
analysiert.

5. Ropohls eigene Zahlen widersprechen seiner Botschaft. Auf S. 53
mokiert er sich darüber, dass Passivraucher durchschnittlich “nur” eine
tägliche Dosis von etwa 0,15 Zigaretten einatmen und meint, dass das RR
bei solch geringen Dosen vernachlässigbar bzw. “überhaupt nicht mehr
messbar” sei. Nun, bekanntermaßen liegt das RR eines langjährigen Aktivrauchers bei etwa 30. Legt man 20 Zigaretten täglich für den
Aktivraucher zugrunde, so ist das das 133-fache des Passivrauchers.
Dieser müsste bei linearer Dosis-Wirkung Beziehung also ein RR von etwa
1,22 haben. Das stimmt mit den im Bereich 1,2 bis 1,3 angegebenen RRs
sehr gut überein, die Ropohl eigentlich widerlegen will.

6. Ropohl bezeichnet die Pötschke-Langer-Studie als völlig unplausibel und stützt
sich dabei auf die Zahlen aus Tabelle 1 seines Artikels, die eine geringere Mortalität
von Passivrauchern zeigen. Das ist schon beinahe lächerlich. Ropohl weiß
sehr wohl, dass reine Passivraucher keine Aktivraucher sein können, letztere
aber bekanntermaßen die Mortalität in den Gesamtzahlen erhöhen. Dieses
Argument ist manipulativ.

—————————————–

Soviel zum Passivrauchen. Sollte es einmal epidemiologische Daten zum Dritthandrauchen geben, werde ich hier darüber berichten. Hoffentlich dann als Ex-Raucher…

Kommentare (24)

  1. #1 Daniel
    8. Januar 2009

    Die Aussage “Nur die Dosis macht das Gift” ist IMO durchaus berechtigt zu kritisieren. Sie haben ja selbst die Aussage des Prof. IrgendwasmitW im Sinne von “was mies riecht ist auch gefährlich” als Platitüde gebrandmarkt nur um dann selbst eine ebensolche nachzulegen.
    Und eine die inhaltlich recht unangebracht ist, denn die Studie stellt ja auch zurecht fest “there is no safe level of exposure to tabacco fumes”. (ist aus dem Gedächtnis zitiert).
    Davon abgesehen darf man dem Spiegel auch durchaus zugutehalten dass er trotz der fragwürdigen Wahl der Vokabeln “riesig” und “völlig unterschätzt” im ersten Absatz einen insgesamt durchaus sachlichen und korrekten Artikel zum Thema zustande gebracht hat, was man von der NYT und den anderen die bei ihr abgeschrieben haben nicht grade behaupten kann.

  2. #2 F.Alfonzo
    8. Januar 2009

    In einem Wort (aus dem Mund eines Laien, der wohl noch einige Zeit mit den Links beschäftigt sein wird): Eindrucksvoll!

    Wenn Sie gestatten, möchte ich auch mal einen Klugscheissersatz im Sinne von “Als Spieltheoretiker/Professor sollten Sie wissen, dass [random content]…” äußern:

    Als Spieltheoretiker sollten Sie wissen, dass jede Sau, die durch’s Dorf gejagt wird von den Medien aus Gründen des Wettbewerbs möglichst dramatisch in Szene gesetzt werden muss; und selbstverständlich wird ein Journalist/ eine Redaktion nicht unmittelbar nach Veröffentlichung eines Artikels zugeben, dass man etwas über’s Ziel hinausgeschossen ist, vor allem dann nicht, wenn die Konkurrenz den gleichen Fehler begangen hat.
    Man steigert die Panik in Erwartung der Arbeit des feindlichen Journalisten-Kollegen ins unermessliche, findet sich dann aber später in einer Situation wieder, in der alle Informationen ‘common knowledge’ sind und niemand ein Interesse hat, von seiner Panikmacher-Meinung abzuweichen.
    Irgendwie interessant, so lange man den Unsinn nicht lesen muss 😉

    P.S.: Keine Sorge, der Vorwurf der mangelnden Expertise ist grundsätzlich lächerlich, wenn er von einem Journalisten kommt. Jedenfalls ist mir bisher noch kein entlastendes Beispiel bekannt geworden. Und ja: Bin selbst Journalist 😉

  3. #3 Tilman
    8. Januar 2009

    lustig finde ich wiedermal, dass eine diskussion über ein interessantes und wichtiges thema in ein nebensächliches geplänkel mit ad hominem argumenten abgleitet, was ja vom spiegel bzw dem becker ausgeht. hat das der spiegel /becker nötig?

    im übrigen teile ich die meinung (auch wenn ich die studien nicht gelesen habe), dass passivrauchen schädlich ist. von der feuerwehr kenne ich die schwarz/weiß-trennung. also nie die durch qualm und rauch verschmutzte kleidung mit sauberer kleidung in kontakt bringen. das praktiziere ich fast genauso, wenn meine kleidung, die ich trage, nach zigarettenqualm stinkt. nicht nur wegen dem geruch, sondern auch, weil ich eigentlich mit den stoffen aus dem zigarettenzeugs nicht in kontakt kommen will …

  4. #4 wolfgang
    8. Januar 2009

    eines ist mal klar- Nichtraucher die passiv mitrauchen müssen (seit 1.1.09 in Ö üblich, dass in Gasthäusern zuerst der Raucherbereich durchquert werden muss um dann neben dem WC im Hinterstübchen zu ein paar Nichtraucherplätzen zu gelangen) leiden unter dem Rauch- es ist zunächst eine Belästigung.
    Das gilt auch für third hand smoking. Meine Söhne haben offenbar Freunde, die sehr viel rauchen (sie selbst rauchen gelegentlich eine Wasserpfeife- ist auch schädlich) – da passiert es, dass das stinkende Gwand am Balkon ausgelüftet werden muss, ansonsten wäre es auch eine Belästigung der Geruchsnerven.

    Es ist aber nicht jede Belästigung gleich toxisch- obwohl beim Passivrauch plausible Daten gibt (unter Berücksichtigung der Rauchtemperatur, Enzyminduktion der Raucher etc pp).

    Aber reicht nicht bereits eine erhebliche Belästigung von Mitmenschen durch Raucher aus, zumindest in öffentlichen Gebäuden, Tankstellen Gasthäusern etc aus um dort ja zu einem Rauchstopp zu sagen?

    Falls ich je zu einem Lungenca kommen sollte- ich könnte nicht feststellen wie. Manigfaltige Belastungen als Kind Belastung passiv Vater Pfeifenraucher Mutter Zigaretten (beide wenig). Als Student ca 4 Jahre aktiver Raucher, aber zusätzlich jahrelang in toxischen Abgasen gestanden im Chemie Labor (mit schlechten Abzügen).

    Also für eine Passivrauchstudie bin ich ein idealer Bias Faktor.

  5. #5 Joerg
    8. Januar 2009

    Als Spieltheoretiker sollten Sie wissen, dass jede Sau, die durch’s Dorf gejagt wird von den Medien aus Gründen des Wettbewerbs möglichst dramatisch in Szene gesetzt werden muss; und selbstverständlich wird ein Journalist/ eine Redaktion nicht unmittelbar nach Veröffentlichung eines Artikels zugeben, dass man etwas über’s Ziel hinausgeschossen ist, vor allem dann nicht, wenn die Konkurrenz den gleichen Fehler begangen hat.

    Und, weil man das nicht weiß, darf man es nicht kritisieren? Und warum gibt man einen Fehler nicht zu, hat man als Journalist Anstand und Integrität abgeben müssen?

    Irgendwie interessant, so lange man den Unsinn nicht lesen muss 😉

    Und solange man als Wissenschaftler/Journalist keine Verantwortung für die richtige Darstellung von Erkenntnissen übernehmen möchte

  6. #6 Ulrich Berger
    8. Januar 2009

    @ Daniel:
    Worin genau besteht bei “die Dosis macht das Gift” die Platitüde? “No safe level” ist eine Leerformel, die je nach Auslegung entweder trivial oder falsch ist.

  7. #7 Der Bo
    8. Januar 2009

    ” Die Aussage “Nur die Dosis macht das Gift” ist IMO durchaus berechtigt zu kritisieren. Sie haben ja selbst die Aussage des Prof. IrgendwasmitW im Sinne von “was mies riecht ist auch gefährlich” als Platitüde gebrandmarkt nur um dann selbst eine ebensolche nachzulegen. ”

    Nur mal so am Rande. “Nur die Dosis macht das Gift” ist keine Platitüde sondern DER Grundsatz der Toxikologie. Ob ein Stoff giftig auf den Mensch wirkt oder nicht hängt in allen Fällen fast allein von der Dosis ab, die man aufnimmt. Wer in seinem Leben eine einzelne Zigarette geraucht hat braucht nicht zu fürchten im Alter an Lungenkrebs zu sterben, weil der Körper damit fertig wird. Toxisch wird ein Stoff dann, wenn der Mensch eine entsprechende Dosis aufnimmt, mit der der Körper nicht mehr fertig wird. Und es gibt bei allen Stoffen eine toxische Dosis, das gilt für Nikotin genau so wie für Speisesalz oder Zucker. “Nur die Dosis macht das Gift”

  8. #8 Selene
    8. Januar 2009

    Für Kanzerogene gilt der Satz in dieser Einfachheit nicht, weswegen es ja in der Regel für Kanzerogene keine echten Grenzwerte oder NOAEL gibt.
    Da es keine unwirksame Dosis gibt, behilft man sich mit unit risk / statistischen Wahrscheinlickeiten.

  9. #9 Der Bo
    8. Januar 2009

    Oh, mein Fehler, hab gedacht die Ausnahme läge nur bei mutagenen Stoffen.

    Bin beim Stöbern auf eine sehr interessante Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung gstoßen. Allerdings aus dem Jahr 2005, aktuelleres hab ich nicht gefunden.Hier wird sehr schön erklärt wie man heutzutage mit kanzerogenen und mutagenen Stoffen umgeht. Kann man sich mal durchlesen wenn man sich dafür interessiert.

    https://tinyurl.com/7c73tm

  10. #10 F.Alfonzo
    8. Januar 2009

    @ Joerg:

    Sie verstehen mich falsch: Man darf alles kritisieren, vor allem dann, wenn man zur aussterbenden Art der Journalisten mit Anstand und Integrität gehört. Aber es gibt einen Grund dafür, warum diese Art ausstirbt: Es ist halt wesentlich einfacher, press releases zu kopieren und seinen eigenen Unsinn dazuzudichten, als selbst zu recherchieren. Forschung ist teuer und anstrengend. Ein Journalist kann sein Gehalt auch damit verdienen, dass er grundsätzlich langweilige Forschungsergebnisse zur Massenvernichtungswaffe aufbläst. Das gibt evtl. sogar die Titelstory für die BILD.
    Einen Fehler gibt ein Journalist deshalb nicht zu, weil, wie erwähnt, ein Fehler nur dann ein Fehler ist, wenn die Öffentlichkeit (sprich: die ganzen Hirnamputierten, die sich aus Spon und Bild ihr Weltbild zusammenbasteln) hinterfragt, ob der Journalist, der sie hier mit Informationen versorgt eigentlich selbst von irgendetwas irgendeine Ahnung hat.

    F.Alfonzo

  11. #11 Selene6696
    8. Januar 2009

    @Bo

    Es gilt für gentoxische Kanzerogene nicht. Teilweise wird gentoxisch und mutagen synonym verwendet, für andere sind Mutagene nur DNA-verändernd. Spindelgifte sind nach manchen Definitionen nicht mutagen, aber Genotoxisch, da sie das Genom einer Zelle verändern.

    Kanzerogene, deren kanzerogener Mechanismus nicht gentoxisch ist, Dioxine zB, haben sehr wohl eine Wirkungsschwelle und damit auch eine ungefährliche Dosis.
    Die meisten Kanzerogene haben jedoch sowohl initiierende und promovierende Eigenschaften, daher gibt es nur ganz wenige, bei denen der Satz von Paracelsus wirklich gilt.

  12. #12 Rose
    8. Januar 2009

    @Ulrich Berger:
    Danke – nach den seltsamen Verschwörungs-Trollen, die sich zuletzt im Parallel-Thread tummelten, bin ich für Ihre Klarstellung echt dankbar. Denn dass sich die dort vorgebrachten Pseudoargumente schlecht mit Ihrer intellektuellen Redlichkeit vertragen, habe ich zwar vermutet, aber es bestätigt zu sehen, macht mich trotzdem froh. 🙂

  13. #13 Joerg
    8. Januar 2009

    F.Alonzo: Ja da haben sie schon recht, aber das war schon so oft Thema auf ScienceBlogs, das ich das als bekannt vorausgesetzt habe 😉
    Dennoch warum sollte man den Umstand hinnehmen? Genau dazu sind Blogs da, stetigen Gegenwind zu liefern statt in Fatalismus zu verfallen.

  14. #14 Tobias H.
    8. Januar 2009

    Kleine Korinthenkackerei am Rande: Die gestrige Aussage “Und den Ausdruck “thirdhand smoke” haben die Autoren extra für diese Studie erfunden.” stimmt nicht. Im verlinkten Artikel der USA Today von 2006 taucht dieser Begriff ebenfalls auf, er ist also durchaus ein gängiger Begriff in diesem Zusammenhang.
    Ändert aber nichts an der Richtigkeit der Kritik, dass SpOn diese Umfrage von Winickoff et al. verwurstet hat. 🙂

  15. #15 Ulrich Berger
    8. Januar 2009

    @ Tobias H.:
    Das stimmt. Die Autoren hatten den Begriff definiert und erklärt warum sie ihn benutzen. Das habe ich wohl als “erfunden” missverstanden. Sie wollten den Begriff anscheinend populärer machen – das ist ihnen jedenfalls gelungen.

  16. #16 Catherina
    8. Januar 2009

    das eigentliche Problem ist doch, dass der Artikel wirklich nicht die Gefahren des Third Hand Smokes untersucht, sondern nur die Meinungen dazu und zu einem Rauchverbot zu hause. Der Rest ist Meinungsmache und Medienhype.

    Den Artikel gibt es hier: https://pediatrics.aappublications.org/cgi/content/abstract/123/1/e74

    Die Leserbriefe dazu hier:
    https://pediatrics.aappublications.org/cgi/eletters/123/1/e74

    Wer Lust hat kann sich in der selben Ausgabe von Pediatrics den (leider nicht besonders gut geratenen) Verriss von Bob Sears’ Vaccine Book und alternative Impfempfehlung (von Paul Offit, dem Dark Overlord of Vaccinology und Charlotte Moser, als unbekannte Koautorin konsequent von Kommentatoren ignoriert) durchlesen. Lustig.

  17. #17 F.Alfonzo
    10. Januar 2009

    @ Joerg:

    Ich glaube ich verstehe Ihr Anliegen jetzt (was ewig währt…)…
    Mein Komentar an Herrn Berger bzgl. Spieltheorie war keineswegs belehrend gemeint (Gott bewahre), sondern eher ‘unterhaltend’. Vielleicht auch als Anregung für folgende Diskussionen.

    Ich finde es einfach interessant, wie Massenmedien bestimmte Themen behandeln… und bin mir sicher, dass die Tendenz zur ‘Panikmache’ mit dem Wettbewerb um die ‘schlechteste Titelstory’ zu tun hat….
    Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Journalisten faktisch keine andere Möglichkeit haben, als so zu berichten… zumindst nicht, wenn sie ihren Job behalten möchten. Sie verstehen?

    Grüße,
    F.Alfonzo

  18. #18 Al Bore
    10. Januar 2009

    Etwas off topic: Danke für den Hinweis in der Einleitung auf “Flat Earth News” von Nick Davies. Es ist (offenbar ganz aktuell) auch als Taschenbuch erschienen, hab sofort zugeschlagen. Für weitere Literaturhinweise zum Themenkreis Wunschdenken und Medienwahrheit wäre ich sehr dankbar. Insbesondere würden mich mal repräsentative Zahlen zum Wahlverhalten von Journalisten interessieren. Es geisterte mal die Behauptung herum, zwei Drittel (der deutschen) Journalisten wählten grün.

  19. #19 Gralki
    13. Januar 2009

    Hallo,

    es ist ja ein lustvolles deja-vu Ereignis endlich mal wieder eine pralle Passivrauchdebatte zu erleben.

    Ich weiß nicht, ob Passivrauchen schädlich ist oder nicht, aber ich bin relativ sicher, dass dies niemand jemals wissen wird.

    Empirisch nachweisbar wäre es erst, wenn ein Arzt auf den Totenschein „Tod durch Passivrauchen“ schreiben würde. Aber ich vermute, darauf werden wir sehr lange warten müssen.

    Methodisch türmen sich riesige Probleme auf, würde man versuchen, die Gefährlichkeit empirisch zu belegen.

    Schon die Frage, wer nun eigentlich Passivraucher ist, könnte eine hochkarätige Gruppe von Wissenschaftlern lange Zeit beschäftigen.

    Ist Passivraucher jemand der seit Jahrzehnten mit einem stark rauchenden Ehepartner verheiratet ist? Und ist er es auch, wenn man weiß, dass er vor drei Jahren selbst ein moderater Raucher war? Ist Passivraucher einer, der auf der Autobahn auf der Gegenfahrbahn einen Fahrer rauchen sieht? Und wie ist es, wenn das Auto ein Cabrio ist? Und werde ich zum Passivraucher wenn ich auf Bahnsteig Nr. 3 stehe und auf Bahnsteig Nr. 7 zündet sich jemand eine Zigarette an um mich umzubringen?

    Die Passivrauchdiskussion wurde durch eine Veröffentlichung des Heidelberger Krebsforschungsinstituts angestoßen, an der kein einziger Krebsforscher des Instituts beteiligt war. Hier wurde zum ersten Mal in einer Broschüre behauptet, jedes Jahr würden 3300 Menschen durch Passivrauchen sterben. Herausgegeben ist diese Broschüre von Frau Pötschke-Langer, ebenfalls keine Krebsforscherin. Der Aufsatz war eher populärwissenschaftlich, jedenfalls verzichteten die Autoren (die Professoren Becher und Keil mit ihren aus ihren Kliniken mitgebrachten Mitarbeitern) auf die bei wissenschaftlichen Aufsätzen sonst übliche peer-review Prozedur.

    Natürlich behaupten sie in den ersten Zeilen ihres recht kurzen Aufsatzes, dass die Gefährlichkeit des Passivrauchens hinreichend belegt sei. Die daraufhin angegebenen Literaturstellen sind fast alle über google scholar einzusehen. Die so gefundenen Arbeiten sind in ihren Ergebnissen jedoch nach meiner Einschätzung viel vorsichtiger, zurückhaltender und keineswegs eindeutig. Wohl aber methodisch meist problematisch.

    Wie sind denn die Autoren dieser Studie nun auf eine so präzise Zahl von 3300 Passivrauchtoten gekommen und warum haben sie nicht einmal ein Konfidenzintervall angegeben?

    Ganz einfach: sie haben eine Formel entwickelt, die natürlich niemals in der Wirklichkeit überprüft, geschweige denn widerlegt werden kann (siehe oben). Und bei berechneten Ergebnissen können Vertrauensintervalle natürlich nicht berechnet werden. Da die Zahl jedoch so überaus präzise war, haben alle diesem Aufsatz geglaubt – besonders Journalisten!

    Ich habe vor einiger Zeit das Krebsforschungsinstitut gebeten, mir mitzuteilen, wie diese Formel aufgebaut ist. Anstelle einer Antwort habe ich einige Tage später zwar keine Antwort, wohl aber noch einmal 15 Exemplare der Broschüre erhalten.

    Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um die Diskussion um das Passivrauchen etwas obskur zu finden.

    Ich glaube (Glauben kann man nicht beweisen), dass die Gefahr größer ist, im Bodensee von einem weißen Hai zerfleischt zu werden, als durch den Rauch rauchender Gästen in einer Gaststätte zu Schaden zu kommen.

    Heinz Gralki

  20. #20 Wolfgang Flamme
    14. Januar 2009

    Raucher sind einfach Mutanten. Nichtraucher gehen bekanntermaßen schon an Metastasen elend zugrunde, wenn sie sich einem Zigarettenautomaten auf weniger als 738m nähern (541m bei Inversionslage).

  21. #21 Florian
    23. März 2009

    “…Passivraucher durchschnittlich “nur” eine tägliche Dosis von etwa 0,15 Zigaretten einatmen (…) bekanntermaßen liegt das RR eines langjährigen Aktivrauchers bei etwa 30. Legt man 20 Zigaretten täglich für den Aktivraucher zugrunde, so ist das das 133-fache des Passivrauchers. Dieser müsste bei linearer Dosis-Wirkung Beziehung also ein RR von etwa 1,22 haben.”

    Die Rechnung versteh ich nicht so ganz. Ich komm bei den Zahlen auf ein RR von 0,225 für den Passivraucher!?

  22. #22 Ulrich Berger
    23. März 2009

    @ Florian:

    Wenn das RR nicht erhöht ist, beträgt es 1,00. Ein RR von 30 ist also um das 29fache erhöht. Das entsprechende RR des Passivrauchers wäre dann 1 + (29/133) = ca. 1,22.

  23. #23 Florian
    23. März 2009

    Okay, jetzt passts.
    Danke!

  24. #24 Peter Schneider
    19. Februar 2010

    Ich möchte einmal zu denken geben, dass sich Nikotin auf Wänden und Kleidern ablagern kann. Hier kommt es dann mit chemischen Stoffen aus der Umgebungsluft zu weiteren Reaktionen. Wir sprechen also nicht von “absorbiertem Rauch”, sondern durchaus von sehr bedenklichen neugebildeten Nitrosaminen. Siehe auch: https://www.organische-chemie.ch/chemie/2010/feb/rauch.shtm

    Daher muss Zigarettenqualm unter Umständen anders bewertet werden als die Ablagerungen auf Wänden.

    Völlig neutral betrachtet. Aber offen gesagt: es ist nicht zuviel verlangt, dass Raucher auf Balkonen ihrem Hobby fröhnen…