Hin und wieder bekomme ich ja gehässige e-mails oder gutgemeinte Ratschläge
von Menschen, die mir dringend nahe legen, als Mathematiker bei meinen Zahlen
bzw. als Volkswirt bei Angebot und Nachfrage zu bleiben, anstatt unqualifiziert
über die bewundernswerten Errungenschaften der alternativen, komplementären,
integrativen und ganzheitlichen Medizin herzufallen, die die
“Schulmedizin” so alt aussehen lassen. Aber, entgegne ich dann –
sofern ich dazu noch Gelegenheit bekomme – die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage
lassen sich doch ganz hervorragend etwa am Beispiel des Markts für
medizinische Weiterbildung studieren.
Wissenschaft, dafür gibt es unzählige Beispiele, gilt dort manchen nicht als
Instrument zur Trennung der Spreu vom Weizen, sondern als marketingtechnischer
Hemmschuh. Private Weiterbildungsinstitute schießen wie die Schwammerl aus dem
Boden und selbst staatlich geförderte und vergleichsweise seriöse Institutionen
springen auf den Zug auf. Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen. Das WIFI
setzt nach
Astrologie und Tiertelepathie
neuerdings auf Kinesiologie
und Geistheiler-Ausbildung.
Beim LFI kann man lernen, wie man seine
Nahrungsmittelunverträglichkeiten mit
dem Pendel mutet und am BFI lassen sich gleich vier Kurse zur
Kinesiologie belegen, die sich dort “Touch
for Health” nennt. Die übliche Rechtfertigung für die
Hokuspokus-Ausbildungen: Es gibt ein entsprechendes Gewerbe.
Nicht viel besser sieht es in der Österreichischen Ärztekammer aus.
Kaum wird eine „alternative” Heilmethode populär, gibt es auch schon ein
ÖÄK-Diplom dafür, Wirksamkeitsnachweis hin oder her. Wie
Mediziner mit Esoterik zertifiziert punkten können, beschrieb die Wiener
Zeitung vergangenen Samstag sehr eindringlich.
Nachdem sich die Esoterik in Form von öffentlich geförderten Humbug-Kursen
im Umkreis von Wirtschafts- und Ärztekammer erfolgreich breit gemacht hat,
schleicht sie sich an die Universitäten ran. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat
die universitäre Aus- und Weiterbildung immer noch die höchste Reputation. Da
sich Reputation in klingende Münze verwandeln lässt, verwundert es nicht, dass
besonders die Alternativmedizin mit aller Macht dorthin drängt, wo eigentlich
jene wissenschaftliche und evidenzbasierte Medizin beheimatet sind, die sie
insgeheim als ihren natürlichen Feind betrachtet.
Stellenweise ist ihr das bereits gelungen. Im Rahmen der sommerlichen “Kinderuni”
konnten unsere Kleinen im Vorjahr lernen, “wie
dich die homöopathischen Globuli gesund machen können”. Und an der MedUni
Wien hören angehende Ärzte Vorlesungen über Pharmakologie, während der
Dozent im Nachbarhörsaal die “geistartige Kraft” von wirkstofflosen
Zuckerkügelchen im Rahmen des Homöopathiekurses
beschwört.
Als Heilslehre, die seit über 200 Jahren weder eine
wissenschaftlich-theoretische Basis noch einen überzeugenden Nachweis einer
spezifischen Wirkung liefern kann, hat die Homöopathie natürlich ihre liebe Not
mit der Wissenschaft. Ein paar weniger bekannte britische Universitäten wagte
vor einiger Zeit dennoch den Schritt in die lukrativ erscheinende Zukunft mit
Master of Science Kursen in Homöopathie. Die Wissenschaft krümmte sich vor
Schmerz, “Science
degrees without the science” titelte Nature damals. Heute rudern
diese Unis wieder zurück.
“Wo Master
draufsteht, muss auch ein Master drin sein” wird Friedrich
Faulhammer, Leiter der Hochschulsektion im Wissenschaftsministerium, im
gestrigen Standard zitiert. Was also ist wirklich drin, in jenen
Unilehrgängen wo Master draufsteht?
Ein solcher mit einem “Master of Science” (MSc) abschließender
Lehrgang ist an der Donau-Uni Krems zu finden. Es handelt sich im Kern
um einen Homöopathie-Lehrgang, der dort euphemistisch “Natural
Medicine” genannt wird. In einem anderen MSc-Lehrgang
der Donau-Uni wird Studierenden der Verlauf der zwölf Meridiane erläutert – ein
vitalistisches Konzept, das aus wissenschaftlicher Sicht seinen ontologischen
Status mit Einhörnern teilt.
Die universitäre Konkurrenz lauert in Wien. Seit fünf Jahren leistet man
sich dort eine akkreditierte Privatuniversität
für Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM-Uni, wo unter
anderem die Feinheiten der Zungendiagnose erörtert werden. Geröteter
Zungengrund, so erfährt man aus einem Interview
mit dem Rektor, deute auf eine Schwäche des Nieren-Yin hin, was oft zu
Onanierzwang führe.
Von der TCM ist es nicht weit zum Feng-Shui, was uns zur Donau-Uni
zurück führt. Deren 2007 von mir gescholtene Feng-Shui-Lehrgang ist in der
neuesten Variante zum “Universitätslehrgang
für Lebensraummanagement und interkulturelle Philosophie” mutiert;
inhaltlich hat sich dabei wenig geändert. Der Lehrgangsleiter verweist auf
Ausbildungen in Feng-Shui, Geomantie und chinesischer Astrologie. Unterrichten
dürfen den Lehrgang nach wie vor u.a. ein Astrologe
und zwei Träger falscher Doktortitel.
Das Ergebnis sind groteske studentische Abschlussarbeiten wie etwa jene über
die Yin-Yang-Formel
und die Quantentheorie im Feng-Shui. Es herrscht das GIGO-Prinzip.
Mit TCM, Homöopathie und Feng-Shui sind in die Unis drängende
wissenschaftsferne Konzepte keineswegs erschöpft. Aus Kärnten belästigt man den
Akkreditierungsrat mit der gloriosen Idee einer Privatuni für
Tibetische Medizin; dabei war jener gerade schwer damit beschäftigt,
die Donau-Uni-Abspaltung namens Danube
Private University abzuwehren, der ein lukratives Doktoratsstudium der
Schönen Künste “für die Generation 50+” vorschwebte.
Den Vogel abgeschossen hat allerdings das Grazer Interuniversitäre Kolleg.
Zur Erinnerung:
1. Der wissenschaftliche Leiter dieser Einrichtung prahlt auf der
Interuni-Webseite mit einer
Auszeichung durch eine berüchtigte
Titelmühle.
2. Der medizinische Leiter des Kollegs firmiert seit 2001 mit Artikel und
Interview als HIV/AIDS-Skeptiker auf der Webseite einer einschlägig
bekannten Gruppe
von AIDS-Spinnern.
3. Einer der Lehrenden,
ein israelischer Kinderarzt, erlangte durch einen Artikel traurige Berühmtheit,
in dem er die Lehre des antisemitischen
Krebspfuschers Ryke Geerd Hamer lobte.
4. Einem Ko-Autor dieses Artikels und bis vor kurzem noch Lehrkraft am
Kolleg wurde aufgrund seiner “therapeutischen”
Vaginalmassagen in Dänemark die Lizenz entzogen.
Dieses Interuniversitäre Kolleg also präsentiert nun stolz einen neuen MSc-Lehrgang mit dem Schwerpunkt „energy
medicine”, in dessen naturwissenschaftlichen Grundlagen auch die „Physik
der Feinstofflichkeit” auf dem Programm steht. Als Kooperationspartner hat
man die DGEIM gewonnen, also die “Deutsche
Gesellschaft für Energetische und Informationsmedizin”, auf deren
letztem Kongress u.a. Methoden zur “Erzeugung von informiertem Wasser für
besondere Heilungsanwendungen” präsentiert wurden.
Zur “Energiemedizin” zählen die obskursten Methoden, von Bioresonanz über Kirlianfotografie
bis zur Wasserbelebung.
Ihre “Theorien” beruhen auf pseudowissenschaftlichem Humbug wie “Skalarwellen”,
“Informationsfeldern” und “Heilschwingungen”. Sie sind nicht nur
unwissenschaftlich, sondern schlicht antiwissenschaftlich.
Wohlgemerkt: wir sprechen hier nicht von einem privaten Kurs eines obskuren
Esoterikvereins, sondern von einem hochoffiziellen “Lehrgang
universitären Charakters“, der mit der Verleihung eines akademischen
Grades eines MSc laut österreichischem Universitätsstudiengesetz
abschließt.
Wer rettet die medizinische Wissenschaft vor solchen “Meistern”? In den
Rektoraten, Senaten und Uniräten sollte man sich jedenfalls gut überlegen, ob
man mit der zunehmenden Kommerzialisierung der universitären Ausbildung
langfristig statt Wissenschaft nicht saure Wiesen schafft. Denn Beispiele wie
Donau-Uni, TCM-Privatuni und Interuniversitäres Kolleg zeigen: Hogwarts ist
überall.
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