Was bisher geschah:
Anfang Februar machte Florian Freistetter uns in einem ausführlichen und lesenswerten Beitrag auf ein ungewöhnliches Forschungsgebiet aufmerksam, dem sich das Europäische Zentrum für Umweltmedizin (EZU) verschrieben hat: Die Radiästhesie, also das Wünschelrutengehen. Florian bezeichnete die Forschung am EZU als pseudowissenschaftlich und wunderte sich darüber, dass ein solches Institut als Teil der NÖ Landesakademie mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird. Das EZU vermittelt “seriöse” Rutengeher an Privatpersonen, die für € 150,- ihre Wohnung auf “Störzonen” untersuchen lassen wollen.
Wenig später meldete sich Dr. Engelbert Dechant, EZU-Leiter und Ko-Autor der EZU-Wünschelrutenstudie bei Florian. Seine Entgegnung wurde von Florian Anfang März online gestellt und kommentiert. Dr. Dechant trifft in seiner Replik folgende Aussage (Hervorhebung UB):
“Am Beginn jeder seriösen Forschungsarbeit steht auch heute noch immer
die exakt dokumentierte Beobachtung und Dokumentation. Seit Übernahme
des EZU habe ich neben der Ausweitung der Forschungsgebiete genau diese
wissenschaftliche Ausrichtung für den Bereich Radiaesthesie
vorangetrieben. Deshalb haben wir an den Beginn der Studie für die NÖ
Wohnbauforschung die Qualitätssicherung der Rutengeher gestellt. Der
genaue Ablauf ist publiziert und kann auf unserer Homepage
nachvollzogen werden. Damit ist gleichzeitig ein starkes Argument für
das Phänomen an sich erbracht worden.”
Auf der Suche nach den “starken Argumenten” habe ich die hier als Beleg angeführte Wünschelrutenstudie des EZU im Detail studiert. Die Resultate sind erschreckend.
Die 65-seitige Langfassung der Studie besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden sechs Vorversuche dokumentiert, deren angeblicher Erfolg dann den Hauptteil der Studie legitimiert, bei dem Rutengeher die Schlafräume von Versuchspersonen ausmuteten und “geopathogene” Zonen aufspürten. Aus diesen Daten wurde eine Art epidemiologische Fall-Kontroll-Studie gebastelt, die ein angeblich erhöhtes Riskio für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beim Schlaf auf “Störzonen” ergab. Die Hauptstudie ist methodisch äußerst mangelhaft, was erklärt, warum sie seit Fertigstellung nirgendwo publiziert wurde. Es besteht der Verdacht, dass nicht “Störzonen” zu Krankheiten führen, sondern umgekehrt. In diesem Beitrag möchte ich allerdings im Detail nur auf die Vorversuche eingehen, deren Ergebnis für die Interpretation der in der Hauptstudie erhobenen Daten entscheidend ist.
Die vom EZU durchgeführte Hauptstudie ist nämlich von vornherein nur dann sinnvoll, wenn eine ausreichende Validität und Reliabilität der Rutengeher-Untersuchungen vorliegt. Die Vorversuche waren dazu konzipiert, dies zu prüfen.
Laut Studienautoren waren die Vorversuche erfolgreich und die Hauptstudie dadurch legitimiert. Meine eigenen Schlussfolgerungen sind diese:
1. Die in den Vorversuchen erhaltenen Daten sind teilweise unbrauchbar.
2. Die statistische Analyse der Daten ist so schwer mangelhaft, dass die Resultate komplett verfälscht und ins Gegenteil verkehrt sind.
3. Wertet man den brauchbaren Anteil der Daten korrekt aus, so deuten sämtliche Resultate darauf hin, dass das Rutengehen zur Auffindung von die Gesundheit beeinträchtigenden Zonen eine nicht valide Methode ist.
4. Die Ergebnisse der Hauptstudie des EZU sind damit wertlos.
Hier die Details (Achtung: Grundkenntnisse in Statistik notwendig):
(1) Vorversuche 1 & 2: Übereinstimmung zwischen Rutengehern
1.1 Interrater-Reliabilität
In
den ersten beiden Vorversuchen ging es um die sogenannte
Interrater-Reliabilität, also um die “Übereinstimmung zwischen
verschiedenen Bewertern” innerhalb einer Gruppe von Rutengehern. Die
Fragestellung ist dabei die folgende: Liefern verschiedene Rutengeher
bei der Mutung von “Störzonen” auch tendenziell dieselben Ergebnisse?
Zu beachten ist, dass eine etwaige Übereinstimmung noch gar
nichts über die Validität der Mutungen aussagt. Wenn also etwa bei drei
Rutengehern übereinstimmend die Rute an einem bestimmten Platz
ausschlägt, dann heißt das noch lange nicht, dass es dort tatsächlich
“Erdstrahlen” oder eine “geopathogene Zone” gibt. Es könnte z.B. sein,
dass die Rute (via Erwartungshaltung und Ideomotoreffekt) dort
ausschlägt, weil alle Rutengeher erwarten, dass sie an diesem Platz
ausschlagen “müsste” – etwa über einem verdächtigen “Krebsbett”. Eine
hohe Interrater-Reliabilität ist also keineswegs eine hinreichende,
aber natürlich eine notwendige Voraussetzung, um das Rutengehen als
Testmethode einsetzen zu können.
1.2 Cohens Kappa
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