Wer zufällig vor ein paar Tagen die Shaolin-Folge von “Galileo Mystery” auf ProSieben gesehen hat und das fertige Produkt mit dem dazugehörigen Insider-Bericht von Dr. Hümmler vergleicht, der bekommt einen interessanten Einblick in die Mechanismen des Quoten-TV. Allerdings: ProSieben ist ein Privatsender, die dürfen das. Der ORF dagegen ist ein öffentlich-rechtlicher Sender mit Bildungsauftrag. Mit “Newton” hat er eine eigene Wissenschaftssendung. Zumindest wird das behauptet. Jetzt gibt es erste Hinweise darauf, dass wir es in Zukunft mit einer Art “Newton Mystery” zu tun haben könnten. Lesen Sie dazu unseren
Gastbeitrag von Florian Aigner.
„Neues aus der Welt der Wissenschaft” – das ist die prächtigstrahlende Tagline des ORF-Wissenschaftsmagazins Newton. Dass es dem ORF in Wirklichkeit nicht darum geht, die umwälzendsten Neuigkeiten der aktuellen akademischen Forschung zu präsentieren, kann man ja noch verstehen. Auch ein öffentlicher Fernsehsender will gute Einschaltquoten haben und verlegt sich gerne auf peppiges Infotainment. Dass die massentauglichen Themen nicht unbedingt die wissenschaftlich gehaltvollsten sind, ist klar. Wenn man auf der Suche nach Massentauglichkeit aber plötzlich die Wissenschaft völlig aus den Augen verliert und sich in tiefdunkelster Esoterik verirrt, hat man irgendetwas dramatisch falsch gemacht.
Am Samstag, dem 4. April wurde in „Newton” das Thema „Telepathie” behandelt. Können Menschen einander telepathisch Gedanken mitteilen? Spüren wir, wenn wir von hinten angestarrt werden? Solche Fragen sind zweifellos eine wissenschaftliche Untersuchung wert – und sie wurden auch schon oft genug sorgfältig wissenschaftlich untersucht. Ein echter Hinweis auf die Existenz irgendwelcher übersinnlichen Kräfte fehlt freilich nach wie vor, aber davon lässt sich die Newton-Redaktion im ORF nicht ablenken. Vom seriösen Overvoice des Beitrages wird eine überraschende Revolution des wissenschaftlichen Weltbildes durch die Telepathie verkündet, also muss es wohl stimmen. Einige querköpfig-konservative Skeptiker mag es zwar geben, die Telepathie noch immer nicht akzeptieren, aber im Grunde, so die zentrale Aussage des ORF-Beitrages, sei übersinnliche Informationsübertragung eine nachgewiesene Tatsache.
„Ein Experiment deutscher Forscher hat nun vor kurzem die Wissenschaft aufgerüttelt und veranlasst, Telepathie ernst zu nehmen” schreibt der ORF auch im Internet. Gemeint ist eine deutsche Studie des „Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene”, in der telepathische Gedankenübertragung untersucht wurde: Testpersonen – die Gedankensender – sahen sich kurze Videoclips an, deren Bilder sich dadurch in die Köpfe anderer Testpersonen – Gedankenempfänger – übertragen sollten. Die Empfängerpersonen wurden danach mit vier Filmen konfrontiert, von denen einer der zu übertragene Videoclip war. Sie wurden aufgefordert, die Ähnlichkeit der Filme mit ihren „empfangenen” Gedanken zu bewerten. Bei vier Filmen ist damit zu rechnen, dass in einem Viertel der Fälle der richtige Film an erster Stelle gereiht wird. Tatsächlich war das bei 120 Versuchen in 32% aller Fälle so. Damit wurde der Erwartungswert um beinahe zwei Standardabweichungen übertroffen – das ist ganz nett, aber alles andere als ein wissenschaftlicher Beweis. Sieht man sich die Zahlen genauer an, stellt man fest: In fast genau der Hälfte der Fälle wurde die richtige Lösung auf den Plätzen 1 und 2, in der anderen Hälfte der Fälle auf den Plätzen 3 oder 4 gereiht. Die Behauptung, es handle sich hier um wissenschaftlich nachgewiesene Telepathie löst sich ganz von selbst fast so rückstandsfrei in Luft auf wie der öffentliche Bildungsauftrag des Staatssenders ORF.
Auch der britische Ex-Wissenschaftler Rupert Sheldrake darf in so einer Sendung nicht fehlen. Sheldrake war Biochemiker und Zellbiologe, bis er sich der Esoterik zuwandte und die „morphogenetischen Felder” erfand, die angeblich Lebewesen und Natur unsichtbar miteinander verbinden. Unsere Gedanken, meint Sheldrake, reichen aus unserem Körper hinaus und sind ganzheitlich miteinander verbunden. Dass seine spektakulären Behauptungen (etwa über Hunde, die spüren, wann ihr Herrchen nach Hause kommt, oder die Fähigkeit zu fühlen, dass man von hinten angestarrt wird) zwar tatsächlich gut überprüfbar sind, bisher aber keineswegs bestätigt werden konnten, ist offenbar weder für Sheldrake selbst noch für die Newton-Redaktion ein Problem.
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