Dies ist ein Gastbeitrag von Roland Leitner zum Vortrag von Rupert Sheldrake vom 5. Mai 2009 in Wien. Eine Einleitung zu diesem Beitrag finden Sie hier.
———————————————————————-
Rupert Sheldrake ist ein interessantes Phänomen; früher ein angesehener Entwicklungsbiologe mit einem Abschluss der Universität Cambridge und einem Fellowship der Royal Society, stieg er vor knapp 30 Jahren aus der aktiven Forschung aus und entwickelt seither Alternativmodelle „für das Leben, das Universum und den ganzen Rest”. Kernpunkt seiner Modelle ist die Annahme, dass Informationen, sobald sie erzeugt wurden, für das jeweilige System verfügbar bleiben, die Menge dieser Informationen stetig zunimmt. Vermittler der Informationen seien „morphische Felder”, die (ohne Energieaustausch) durch den Prozess der „morphischen Resonanz” die Entstehung von Komplexität in allen erdenklichen Ebenen beschleunigen.
Über Sheldrakes Person und Motivationen
generell wurde bereits
genug geschrieben
, daher möchte ich hier ein paar der Beispiele diskutieren, die Sheldrake in
seinem Vortrag als Belege für seine Hypothese genannt hat, und aufzeigen, dass
diese Phänomene entweder konventionell leicht erklärbar sind oder von ihm
falsch dargestellt wurden.
Als ein Beispiel für die Wirkung eines
„morphischen Feldes” nannte Sheldrake chemische Kristalle. Stoffe in Lösungen
können unter gegebenen Bedingungen ausfallen und geordnete, kristalline
Strukturen bilden. Der Prozess der Kristallisation ist für jede Substanz
unterschiedlich und von Parametern wie Löslichkeit, Temperatur und
Konzentration abhängig. Laut Sheldrake würde eine einmalig gelungene
Kristallisation ihre Information weiterreichen und folgende Kristallisationen
der gleichen Substanz auch an anderen Orten zunehmend beschleunigen. Es ist
richtig, dass ab dem Zeitpunkt einer gelungenen Kristallisation folgende
Kristallisationen schneller durchgeführt werden, allerdings ist der Grund dafür
trivial: Wie im Wissenschaftsbetrieb üblich, veröffentlichen Forscher nicht nur
ihre Ergebnisse, sondern auch die Methoden, mit denen sie diese erreicht haben.
Arbeitsschritte müssen soweit aufgeschlüsselt werden, dass fachlich geübte
Forscher diese „nachkochen” können. Wenn Sheldrake dies als Beleg für die Wirkung
von morphischer Resonanz anerkannt sehen will, müsste er zeigen, dass auch ohne
Wissen über die Kristallisationsparameter die Formierungskinetik von Kristallen
zunimmt – ein klassisches Beispiel für eine nicht-falsifizierbare Behauptung.
Sheldrake verweist aber hier lieber auf ein ähnliches Phänomen, den Anstieg der
Schmelztemperatur von synthetischen kristallinen Substanzen.
Er behauptet, er hätte wissenschaftliche
Lehrbücher und Publikationen der letzten 100 Jahre durchforstet und „1000e”
Schmelztabellen von unterschiedlichen Chemikalien verglichen. Dabei sei er auf
eine interessante Entdeckung gestoßen: Die Schmelztemperatur von kristallinen
Verbindungen, die natürlich vorkommen (wie die Salicylsäure, ein Bestandteil
der Weidenrinde) veränderte sich nie, die Schmelztemperatur von synthetisch
hergestellten Molekülen (wie Acetylsalicylsäure, einer modifizierten Version
der Salicylsäure, die erstmals 1853 hergestellt wurde) stieg laut Literatur
stetig an. Es wird mehr Energie benötigt, um die Gitterstruktur des Kristalls
zu brechen, was auf einen reineren Kristall hinweist. Für Sheldrake zeigt das
„morphische Resonanz” in Aktion: Die Information zur Kristallbildung ist bei
Naturstoffen schon so lange vorhanden, dass sie bereits ein lokales Optimum erreicht
hat. Bei synthetischen Stoffen, die erst seit kurzem existieren, häuft sich nun
die Information an, die Kristallisation verläuft dadurch schneller und reiner.
Für dieses Phänomen existiert natürlich eine
viel nüchternere Erklärung: Chemische Synthese benötigt Ausgangssubstanzen,
deren Reinheit die des Endprodukts beeinflusst. Die Qualität der Ausgangsstoffe
hat sich aufgrund besserer Herstellungsverfahren, Qualitätssicherungsmaßnahmen
und down-stream Aufreinigungsverfahren stetig verbessert. Ob ein Stoff in 98%,
99% oder 99,999% Reinheit vorliegt, bestimmt den Grad der Verunreinigungen in
weiteren Arbeitsvorgängen. Diese verringern den Zusammenhalt der
Kristallstruktur und senken somit die Schmelztemperatur.
Leider hat sich Sheldrake nicht dazu bewegen lassen,
die Ergebnisse seiner Literaturrecherche in eine wissenschaftliche Arbeit zu
packen und diese zu veröffentliche, wahrscheinlich schon in Vorahnung auf
diesen relativ grundlegenden Kritikpunkt.
Da er „morphic resonance” als ein universelles
Phänomen sieht, brachte Sheldrake ein Beispiel aus der Intelligenzforschung,
den sogenannten Flynn
Effekt. Gemäß dem Politologen James Flynn steigt der durchschnittliche
Intelligenzquotient in den Industrieländern über Jahrzehnte stetig an.
Sheldrake erklärt dies so, dass aus den gelösten Aufgaben des IQ Tests eine
Strategie herausdestilliert und an die nächsten Testpersonen weitergereicht
wird, welche somit sukzessive immer bessere Testergebnisse liefern (ein Gruß an
das kollektive Unterbewusstsein Jungs).
Über die exakten Gründe hinter dem Flynn
Effekt wird in der Fachwelt rege diskutiert; als mögliche Erklärungen werden
eine verbesserte Ernährung genannt oder der Umstand, dass die Fähigkeiten, die
in einem IQ Test abgefragt werden, trainierbar sind und über die Jahre in den
Unterrichtslehrplan eingeflossen sind. Wichtig hier ist allerdings, dass die
Zunahme Mitte der 1990er zum Erliegen gekommen ist. Unabhängige Studien zeigen,
dass der IQ international wieder sinkt, ein Umstand, den Sheldrake
geflissentlich übersieht.
Gegen Ende seines Vortrags kam Sheldrake auf
das Gebiet zu sprechen, in dem er einst wissenschaftlich gearbeitet hatte, die
Entwicklungsbiologie. Diese stellt sich die Frage, wie sich Organismen aus ihrer
ursprünglich einzelligen Form Plastizität entwickeln, angefangen von der Vertikalachse,
die unseren Körper in rechts und links unterteilt, bis hin zu individuellen Gesichtszügen.
Die Steuerung dieser Prozesse wird durch die
DNA kodiert und durch morphogene Signalmoleküle vermittelt, die trotz ähnlich
klingenden Namens absolut nichts mit „morphischen Felden” zu tun haben. Diese Morphogene
(wie Bicoid oder Hedgehog)
diffundieren vom Produktionsort in die Umgebung ab. Dadurch entsteht ein
Gradient mit einer höheren Konzentration an Morphogenen in der Nähe der
Synthese und geringerer Konzentration in der Peripherie. Die Konzentration von
Morphogenen bestimmt die Expression unterschiedlicher Gene, die eine lokale
Differenzierung bewirken. (Anschaulich wird das durch das French Flag
Model dargestellt.) Somit entsteht ein Raumplan, in dem einzelne Zellen sehr
genaue Information erhalten, wo im Organismus sie sich befinden und welchen
Entwicklungsweg sie einschlagen müssen. Das Phänomen ist grundsätzlich gut
beschrieben und wurde auch 1995 mit einem Nobelpreis
gewürdigt. Anstatt das zu thematisieren, verfiel Sheldrake in eine Taktik, die
sonst vor allem bei religiösen Evolutionsleugnern beliebt ist: Er zeigte
eindrucksvolle Aufnahmen von komplexen Strukturen in der Natur:
Strahlentierchen, das Cytoskelett einer Säugerzelle, und unterlegte dies mit
der suggestiven Frage, ob all diese wunderbare Komplexität bloß in den schnöden
Genen stecken könne.
Sheldrake ist ein wahrlich interessanter
Mensch. Er hebt sich vom Gros der Alternativwissenschafter ab, indem er
mitunter wissenschaftliche Literatur zitiert und auch selbst Versuche
durchführt. Diese scheinbare Seriosität eröffnet ihm eine Zuhörerschaft, die
sonst nicht so bereitwillig für esoterische Konzepte zu haben ist. Sheldrake
bietet in deren Augen eine massentaugliche Alternative zum materialistischen
Weltbild, in dem Atome, Gene und Technik Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sind.
Genauer betrachtet erschließen sich jedoch Probleme: Die von ihm angeführten
Beispiele aus der wissenschaftlichen Literatur sind alt und oft mangelhaft
referenziert, wodurch eine Überprüfung seiner Behauptungen und der Qualität der
Studien schwer möglich ist. Simple Experimente aus lang vergangenen Tagen
(„Warum finden Ratten schneller durch ein Labyrinth, wenn ihre Eltern bereits
durch dasselbe Labyrinth mussten?”) könnte er ohne großen Aufwand
reproduzieren, Störfaktoren eliminieren und die Ergebnisse der
wissenschaftlichen Fachwelt präsentieren. Zum anderen konnten seine selbst durchgeführten
Studien zu Telepathie („Fühlen Menschen, ob sie beobachtet werden?”… er sagt Ja), nicht mit positivem
Ergebnis reproduziert werden. Auf seiner Website bietet er weitere
Experimente in Richtung Telepathie an, die allerdings von den Besuchern selbst
durchzuführen sind. Er weist zwar darauf hin, dass Testpersonen absichtlich
schwindeln könnten und die Experimente damit nicht repräsentativ seien, aber
der Fehler liegt hier tiefer: Da nur solche Personen seine Website
frequentieren, die grundsätzlich paranormalen Ideen gegenüber aufgeschlossen
sind, sind diese auch bereitwilliger, positive Ergebnisse überzubewerten und
negative wegzurationalisieren. Um die Befangenheit zu umgehen, sind echte
Versuche dieser Art auch mehrfach verblindet. Somit bleibt der schale
Beigeschmack, dass hier mutwillig unbrauchbare Daten generiert werden, um
unkritische Leser zu beeindrucken. Da er gleichzeitig vorgibt, auf der Suche
nach aktiven Wissenschaftern zu sein, die seine Hypothesen seriös experimentell
untermauern sollten, ist diese Praktik auch wenig hilfreich.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass
Sheldrake nicht mehr auf dem neuesten Stand der Wissenschaft ist. Er sieht die
Entstehung von Plastizität und komplexen Formen in der Biologie noch immer als
Problem an – das ist jedoch einer der ergiebigsten Zweige der heutigen Entwicklungsbiologie.
Seine Behauptung, zur Entwicklung von komplexen Strukturen würde eine
übersinnliche Erklärung benötigt, steht in krassem Widerspruch zu Ergebnissen,
die jahrzehntelange Forschung an knock-out und transgenen Tiermodellen
geliefert hat.
Das größte Problem Sheldrakes ist allerdings
die Inkonsequenz, seine Ideen praktisch umzusetzen. Er findet in allen
Bereichen der Natur Beispiele für „morphic resonance”, formuliert ein hurtiges
Konzept für ein Experiment, lässt dieses dann im Raum stehen und springt in den
nächsten Fachbereich; von physikalischer Chemie zu Entwicklungsbiologie, von
Intelligenzforschung zu Ethologie. In keinem Feld bringt er es fertig, eine
Serie gut durchdachter Experimente zu designen, die es wert sind, die
Null-Hypothese – also die Irrelevanz von „morphischer Resonanz” – anzuzweifeln.
Stattdessen liefert er ausladende Erklärungen, warum niemand seine Experimente
durchführen möchte und sucht die Schuld beim System, bei den Hochschulen und
bei all denen, die die Qualität seiner Methoden kritisieren.
Sheldrakes Bestreben, eine spirituelle Wende
in der Wissenschaft einzuleiten, scheitert an der Hürde, die so oft aufkommt,
wenn der Wunsch der alleinige Vater des Gedankens ist: an mangelnder
Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und seinen Anhängern.
Kommentare (18)